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Gründer übers Kulturschiff „Stubnitz“„Das Schiff als Gedankenmodell“

Vor 30 Jahren verwandelte Urs „Blo“ Blaser den DDR-Hochseetrawler „Stubnitz“ in ein Kulturschiff. Seither hat sich viel geändert.

Für ihn ist die „Stubnitz“ vor allem ein akustischer Raum: Urs Blaser Foto: Miguel Ferraz
André Zuschlag
Interview von André Zuschlag

taz: Herr Blaser, kann man Sie als Kapitän der „Stubnitz“ ansprechen?

Urs Blaser: Naja, ich bin kein Nautiker. Der Begriff Schiffsleiter trifft es besser.

Wie kamen Sie Anfang der 90er auf die Idee, Schiffsleiter eines alten Hochseetrawlers der DDR zu werden und daraus einen Kulturort zu machen?

Ich hatte zuvor in einem Kollektiv gearbeitet. Wir haben alte heruntergekommene Indus­trieräume gestaltet. Also, die Idee war: Landschaften in Industriegebäuden aufzubauen, um audiovisuell und mechanisch performen zu können. Überall in den europäischen Metropolen gab es noch leerstehende Räume, die haben wir vitalisiert. Zum Teil war das damals dann der Startpunkt einer langfristigen Nutzung der Räume durch Leute von vor Ort. Daraus sind Kulturzentren entstanden.

Und dann wollten Sie das auch aus einem verlassenen Schiff machen?

Wir waren je nach Projekt mit drei bis fünf LKW, in dem das ganze Equipment steckte, von Metropole zu Metropole gefahren. Ich hatte zwei Tonnen Tontechnik hinten drin. Und von Raum zu Raum waren es mit der Zeit 200.000 Kilometer, die ich abgefahren bin. Es war jedes Mal eine große logistische Herausforderung, einen Raum von Null auf in Funktion zu bringen.

Klingt nach einer ziemlichen Plackerei.

Es war super anstrengend, aber es hat auch Spaß gemacht. Ich war noch jung und die Energie hat nicht gefehlt. Aber gleichzeitig hatte ich zu überlegen begonnen, wie ein Raum aussehen müsste, mit dem ich mich längerfristig beschäftigen möchte.

Ein fahrtüchtiges Schiff sollte es unbedingt sein, weil: Im Gegensatz zu einem Gebäude sind Sie immerhin noch ein wenig mobil?

Aus den zuvor gemachten Erfahrungen heraus gab es den Gedanken, dass ein Schiff in der Lage sein könnte, ein Setup von einer Kulturregion in die andere zu bringen und sofort einsatzbereit zu sein. Der für mich spannende Aspekt daran war ja zuvor auch schon: In verschiedenen Regionen mit Kultur- und Musikszenen zusammenarbeiten. Das Schiff war ein Gedankenmodell, um sich den beschriebenen Aufwand zu sparen, aber dennoch in eine Region eintauchen und den örtlichen Initiativen den kleinen roten Teppich auszurollen zu können.

Im Interview: Urs Blaser

Urs Blaser ist 1960 in Bern geboren. Ende der 1970er begann er mit Kunstkollektiven durch Europa zu reisen, um in verlassenen Industriegebäuden temporäre Kunst- und Musikinstallationen aufzubauen. Nebenher schloss er eine Ausbildung zum diplomierten Krankenpfleger ab. 1991 gestaltete er das ehemalige Kühlschiff der DDR-Hochsee-Fischfangflotte, die „MS Stubnitz“, zu einer mobilen Plattform für Musik, kulturelle Veranstaltungen, Dokumentation und Kommunikation um.

Dann war das Ende der DDR in diesem Kontext ein Glücksfall.

Ich kannte Ostdeutschland von innen nur ein bisschen, aber die Aufbruchstimmung Anfang der 90er war toll. Zur Wendezeit war ich in Berlin. Als die Währungsreform kam, funktionierten viele Wirtschaftszweige in ihrer bisherigen Form nicht mehr. Eben auch bei der Schifffahrt. Dann standen 40 bis 50 Schiffe in Rostock einfach herum – das hatte ich mitbekommen. Ich dachte mir: Das passiert die nächsten 500 Jahre nicht mehr, dass im deutschsprachigen Raum gut gebaute Seeschiffe auf Halde stehen. 1994 haben wir die erste Tour gemacht.

Und wie war das?

Am Anfang sehr schwierig. Dann hat es eine Zeit lang richtig floriert. Es gab verwaiste Kaianlagen, die wir in den Hafenmetropolen anlaufen konnten – wohlgemerkt mitten in den Citys. Inzwischen ist das städtebaulich alles weg. Die Kommunen waren auch offen für solche Projekte. Vorher habe ich in einem Europa zu arbeiten begonnen, als alle Grenzen noch strikt waren und wo du lückenlos alle Gegenstände beim Grenzübertritt auflisten musstet, die du bei dir hattest, um sie wieder ausführen zu können. Und dann plötzlich war überall eine große Offenheit für Besuch aus anderen Ländern. Wir haben das Schiff ungefähr 120 Mal von einem Ort in einen anderen gefahren. Danach ist das dann immer schwieriger geworden.

Wieso?

Einerseits weil die Regulierung von öffentlichen Veranstaltungen auf die vorhandene Baukultur spezifiziert wurde. Das ist total inkompatibel geworden: Die Reglementierungen sind immer weiter auseinandergegangen und wir haben ja versucht, mit einer Location eine Brücke zu bauen. Es wurde immer schwieriger, Zulassungen für Veranstaltungen zu bekommen.

War die Offenheit irgendwann auch weg?

Wir haben in Rostock eine jährliche Projektförderung bekommen, aber irgendwann mehrten sich die Stimmen, die das hinterfragten, eben weil wir ja viel mit dem Schiff in anderen Regionen unterwegs waren. Aber die Zeit davor hat mich schwer geprägt, weil ich gemerkt habe, dass Musikkultur durchaus etwas spezifisch Regionales ist.

Heute auch noch?

Ja.

Aber die Welt ist globalisierter geworden.

Man denkt es und im Mainstream ist es globalisiert, aber darunter eigentlich nicht. Die dänische Musikszene hat ein cutting edge zwischen Rock und Jazz, das gibt es sonst nirgends. Die französische Musikkultur ist unglaublich vielfältig. Zu den interessantesten Musikprojekten der Gegenwart gehören auch welche, die nicht von ihrer Musik leben und auch nicht touren wollen. Die treten in ihrer Region auf und die kennt man außerhalb davon nicht. Es gibt heute mehr neue spannende Musik als je zuvor. Niemals zuvor war das so vielseitig. Aber ist auch immer schwieriger geworden, diese Sachen zu finden. Das Internet reflektiert primär den Kommerz, also hast du da mehr und mehr redundante Informationen, die – kulturell gesehen – völlig überflüssig sind.

Aber Sie interessiert noch das Neue?

Ich bin da vielleicht auch etwas kritischer geworden. Jüngere in ihrer Musikentwicklung stoßen auf etwas, dass sie total gut finden und ich stehe da und sage: Das ist doch nur ein schlechtes Cover einer tollen Band, die es vor 20 Jahren gab. Aber doch, natürlich, bei der aktuellen Musik liegt meine Motivation.

Wie war denn Ihre Musikentwicklung?

Ich bin als Säugling unter einem Flügel groß geworden. Später war ich im Chor, spielte dann Flöte – da hatte ich einen Hang zu den französischen Impressionisten. Dann bin ich relativ schnell in die Breite gegangen mit den ganzen Jazz-Sachen. Und immer stärker in die Elektro-Akustik, die ich extrem bereichernd empfand und die zu meinem Hauptfokus geworden ist.

War das noch in Bern, wo Sie geboren sind?

Ich bin teils in Bern, teils etwas außerhalb von Bern aufgewachsen, aber dann früh zuhause ausgezogen. Ich hab mich für Musik interessiert und begriffen, dass dafür Bern besser ist als das Umland der Stadt. Und als Bern zu überschaubar geworden ist, schaute ich halt in die nächstgrößere Metropole.

Nun ist der Beginn der Stubnitz als Kulturort rund drei Jahrzehnte her und praktisch durchgehend war er finanziell in seiner Existenz bedroht. Nervt das Sie nicht irgendwann?

Nein. Das Ende war eigentlich immer absehbar und stand als Drohkulisse vor uns. Man lernt damit umzugehen. Solange du motiviert arbeitest, kannst du mit dir im Reinen sein: Entweder reicht es oder es reicht nicht. Das ist ein bisschen wie das Leben überhaupt: Die meisten leben nicht mit dem Bewusstsein des Endes.

Sie schon?

Ich habe mal eine vierjährige Diplomausbildung in der Krankenpflege in Bern gemacht und …

Warum haben Sie aufgehört?

Die Auseinandersetzung auf der menschlichen Ebene hat mich total interessiert, aber bevor mir die Schicksale gleichgültig werden, höre ich auf. Letztlich hat mich Musik mehr interessiert. Aber was ich sagen wollte: Da habe ich auch gelernt, dass das Leben eine Virengemeinschaft ist. Dass alles ein Ende haben kann, ist immanent. Das habe ich vielleicht mehr verinnerlicht, als es üblich ist. Aber das Medizinische ist weiter ein Thema, das mich sehr beschäftigt. Und da betrachte ich manche Dinge vielleicht anders als der Normalbürger.

Was meinen Sie?

Da habe ich schon den Eindruck, dass wir gerade sehr einseitig auf Probleme blicken. Das ist sehr wenig interdisziplinär. Virologen und Epidemiologen zu hören, ist gut, aber es ist genauso wichtig, einen gesundheitswissenschaftlichen Standpunkt anzuhören. Genauso Psychologen und noch ganz viele mehr. Wer größere Entscheidungen verantworten will, muss viele Blickwinkel einholen. Das ist mir gerade zu einseitig. Auch der Fokus auf Immunsysteme kommt derzeit zu kurz, hat aber das Potential, ganz viele Schäden zu mindern.

So läuft es auf der Stubnitz auch, oder? Das ist ja ein ziemlich großes Kollektiv, manche kümmern sich um Musik, andere erhalten das Schiff als Denkmal. Da muss man auch alles im Blick haben.

Es gibt im kulturellem Betrieb ungefähr zehn Gewerke, ebenso viele bei Instandhaltung und Betrieb des Schiffes. Wir haben immer Personen gehabt, die im Prinzip ihre Erfahrungen aufgebaut, aber davon nicht ihren Lebensunterhalt finanzieren konnten. An einem durchschnittlichen Tag kommen etwa 20 Personen an Bord, um Arbeiten zu erledigen. Einer ist regelmäßig da; der nächste kommt, wenn’s nötig ist. Vielleicht auch nur eine Woche im Jahr. Pro Jahr sind das etwa 200 Leute. Wenn grundlegende Entscheidungen getroffen werden müssen, dann müssen alle Seiten angehört werden, um abzuwägen.

Was ist für Sie die Stubnitz? Ein Kollektiv? Ein Ort für Kunst? Ein Museum?

In erster Linie ein akustischer Raum, aus meinem ganz persönlichen Blickwinkel. In der ganzen Projektarbeit ist das mein Hobby geblieben. Wenn ich zwei oder drei Produktionen pro Woche betreut habe, war das eher der kleine Teil der Arbeit auf dem Tisch.

Wohnen Sie die meiste Zeit auf dem Schiff?

Früher waren es sechs Nächte die Woche, jetzt gerade bin ich die Hälfte der Woche hier, die andere Hälfte der Woche in Rostock. Meine Lebenspartnerin hat überwiegend unsere vier gemeinsamen Kinder großgezogen. Jetzt ist unsere Jüngste dabei auszuziehen. Nachdem nun die alternative Kultur dezimiert wurde, versuche ich dieser Realität zu begegnen. Mit ungewissem Ausgang.

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