Große Koalition in Thüringen: Erfolgreich beendet
Zehn Monate lang arbeiteten Rot-Rot-Grün und die CDU in Thüringen gezwungenermaßen zusammen. Am Montag endete der „Stabilitätsmechanismus“.
Was ist das für ein Geschäft, für das sich mancher in der rot-rot-grünen Koalition und in der CDU verbiegen muss? Es geht zurück auf die Unregierbarkeit Thüringens in traditionellen Konstellationen nach dem Landtagswahlergebnis vom Oktober des Vorjahres. Die Koalition von Linken, SPD und Grünen verlor ihre fünf Jahre währende knappe Mehrheit. Die CDU fiel hinter die AfD zurück und hätte höchstens mit dieser und der FDP eine Koalition bilden können.
Am 5. Februar 2020 führte der AfD-Trick eines Scheinkandidaten und die Naivität der CDU zur Wahl des FDP-Fraktionschefs Thomas Kemmerich zum Interimsministerpräsidenten mit Hilfe der AfD. Ein bundesweit heftig reflektierter Tabubruch.
Der löste eine Katharsis bei der Union aus. Bis Anfang März handelte sie unter Führung ihres neuen Frontmannes Mario Voigt mit Rot-Rot-Grün einen „Stabilitätsmechanismus“ aus. „Das böse,D'-Wort von der Duldung darf man ja nicht in den Mund nehmen“, scherzt SPD-Fraktionschef Matthias Hey. Denn mit einer offiziellen Tolerierung einer rot-rot-grünen Minderheit, gar mit einer Quasi-Viererkoalition, hätte die Union gegen Unvereinbarkeitsbeschlüsse der Bundespartei verstoßen, die jegliche Zusammenarbeit mit der Linken oder der AfD ausschließen.
„Ein einziges Gewürge“
Durch ihre Enthaltung ermöglichte die CDU vier Wochen nach Kemmerich die Wiederwahl des Linken Bodo Ramelow zum Ministerpräsidenten und damit die Regierbarkeit des Freistaats in der kurz darauf einsetzenden Pandemie.
Gemeinsames Ziel war die Verabschiedung des Landeshaushalts 2021, die am Montag im Landtagsplenum auch formal gelang. CDU-Berichterstatter Volker Ende dankte zu Beginn der Sitzung für das „zielorientierte Zusammenwirken aller“. Vorausgegangen war aber „ein einziges Gewürge“, wie Matthias Hey von der SPD sagt, in einer 19-stündigen Sitzung der Koalition mit der CDU Anfang Dezember.
Euphemistischer spricht Linken-Fraktionsvorsitzende Susanne Hennig-Wellsow, designierte Bundeschefin ihrer Partei, im Rückblick auf zehn Monate Stabilitätspakt vom „konstruktiven Fetzen zum Wohl der Menschen im Land“. Sie bestätigt aber auch das gegenseitige Erpressungspotenzial in dieser Abhängigkeit. Denn die CDU bemerkte bald, dass sie statt des Verharrens in der aussichtslosen Oppositionsrolle plötzlich eigene Vorstellungen durchsetzen konnte.
So schreibt sie sich auf die Fahnen, dass die Kommunen im nächsten Jahr 200 Millionen Euro mehr bekommen als geplant. Der aus der Polizeilaufbahn kommende CDU-Vizechef Raymond Walk freut sich über mehr Personal bei Polizei und Verfassungsschutz, obschon er sich noch mehr gewünscht hätte, etwa die Regelausstattung mit Bodycams.
Nur ein „Schein-Ende“?
Gleichzeitig bremste die Union bei der Aufnahme von Krisenkrediten, „um zu viele Wohltaten von RRG zu verhindern“, wie Matthias Hey sagt. Hauptdeal war das am Freitag beschlossene Verbot von Waldwindrädern, der „von der CDU geforderte Skalp“, wie SPD-Hey zuspitzt. Sie hatte Bürgerinitiativen dieses Verbot im Wahlkampf versprochen und daran die Zustimmung zum Haushalt geknüpft.
Mit dem Landtagsbeschluss vom Montag endet formal der vereinbarte Stabilitätsmechanismus. Der CDU-Mann Raymond Walk aber sieht die Thüringer Union jetzt nur „scheinbar frei“, denn sie werde wegen der „AfD-Nazikeule“ auch künftige keine Mehrheiten mit den Rechtsaußen bilden können. „Es wird den Stabilitätspakt faktisch weitergeben“, meint er.
Walk weiß aber auch, dass vor den am 25. April geplanten Neuwahlen die Flügelkämpfe in der CDU erneut ausbrechen werden. Sie zu schlichten, wäre eigentlich eine Aufgabe des mit Ach und Krach neu gewählten Landesvorsitzenden Christian Hirte. Der aber sitzt im Bundestag und wird in Thüringen kaum gesehen.
Das ist allerdings nicht das Problem der Linken Hennig-Wellsow. Sie bezeichnet den im Jahr 2020 erfolgreich gesuchten kleinsten gemeinsamen Nenner mit der Union sogar als „Modell für Stabilität in schwierigen Zeiten“. „In Thüringen ist Historisches passiert“, fügt sie mit Blick auf die in der bundesdeutschen Nachkriegspolitik einmalige Konstellation hinzu.
Ihrem SPD-Kollegen Hey fällt die Umstellung auf Wahlkampf im neuen Jahr hingegen nicht so schwer. Er ist kein Freund von gleichmachender „Demokratiefolklore“, sondern mag den klaren Wettbewerb der Ideen. Insofern will er nicht von einem Thüringer Modell sprechen. Eine Gemeinsamkeit verbindet aber alle Demokraten jenseits der AfD: Es soll bei Neuwahlen am 25. April und bei der dafür erforderlichen Selbstauflösung des Landtags im Februar bleiben. Daran hält auch die CDU fest – obwohl sie für ihre konstruktive Mitarbeit in den Umfragen bislang nicht belohnt wird.
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