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Soli-Abend im Hamburger SchauspielhausGroße Bühne für die Antifa

Das Schauspielhaus Hamburg hat seinen Saal Un­ter­stüt­ze­r*in­nen der verfolgten An­ti­fa­schis­t:in­nen im Budapest-Komplex zur Verfügung gestellt.

Hamburger Familie, Freun­d*in­nen und Un­ter­stüt­ze­r*in­nen bei einer Demonstration Mitte Juni in Jena Foto: Daniel Vogl/dpa

Am Ende des Liedes reißt es viele im Publikum am Donnerstagabend vergangener Woche im Hamburger Schauspielhaus aus den samtgepolsterten Sitzen. In jeder Reihe sind einige aufgestanden und klatschen, ein grauhaariger Mann im Funktionshemd singt laut mit: „Die letzte Schlacht gewinnen wir, wir, wir!“ Viele recken bei jedem „wir“ die Fäuste hoch zur gold verzierten Saaldecke. Der Saal ist voll, Mitt­sech­zi­ge­r*in­nen in Funktionshosen sitzen und stehen hier neben Teenagern mit blauen Haaren.

Auf der Bühne covern der Liedermacher Jan Plewka und das Punk-Urgestein Diggen, ehemals Sänger von Slime, den Ton-Steine-Scherben-Knaller von 1972. Am Piano sitzt Ex-Prinzen-Sänger Sebastian Krumbiegel. Als der letzte Akkord verklingt, ruft jemand von ganz hinten: „Free Maja, free, free Maja“ und aus verschiedenen Ecken des Saals stimmen Leute mit ein.

Es ist ein ganz schön optimistisches Ende für die zwei Stunden, die hinter dem Publikum liegen. Unter der Überschrift „Gestörtes Vertrauen“ ging es um nicht weniger als die Frage, wie es um den deutschen Rechtsstaat steht. „Wir möchten informieren und ich hoffe, dass sie rausgehen und danach ein wenig schlauer sind als davor, ein wenig häufiger aufstehen und sagen: Das darf nicht sein“, hatte Moderator Michel Abdollahi am Beginn des Abends gesagt.

Genau zwei Wochen zuvor war Maja T. in Ungarn wegen menschenunwürdiger Haftbedingungen in den Hungerstreik getreten. Zum Diskussionsabend mit Musikeinlagen hatte deshalb die Hamburger Gruppe „Family & Friends“ geladen. In ihr sind Familie, Freun­d*in­­nen und Un­ter­stüt­ze­r*in­nen der Beschuldigten im „Budapest-Komplex“ organisiert, denen teils schwere Angriffe auf Neonazis vorgeworfen werden.

Rechtsstaat und Unrechtsstaat

Am Anfang des Abends steht Birgit W., die Mutter der Hamburgerin Clara W., allein auf der Bühne im Scheinwerferlicht. Clara W. soll wie Maja T. und 16 weitere Beschuldigte aus Deutschland, Frankreich und Italien an den Angriffen beteiligt gewesen sein.

„Wie kann es sein, dass ein Staat wie Deutschland, der sich Rechtsstaat nennt, einen Unrechtsstaat wie Ungarn dafür nutzt, An­ti­fa­schis­t*in­nen für Jahrzehnte wegsperren zu lassen?“, fragt Birgit W. in den dunklen Saal. Sie verliest eine Erklärung von Family & Friends. „Wir stehen mit dem Rücken zur Wand. Das Vertrauen in den Rechtsstaat ist nicht nur bei uns nachhaltig gestört. Aber aufgeben ist keine Option“, sagt sie später zur taz.

Ihrer Tochter und den anderen Beschuldigten in Deutschland droht weiter die Auslieferung nach Ungarn. Maja T., die dort derzeit vor Gericht steht, drohen 24 Jahre Haft. Die nichtbinäre Person war im Juni 2024 in einer Schnellschussaktion der sächsischen Polizei ausgeliefert worden, ohne – und das ist der Knackpunkt, um den es an diesem Abend geht – auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu warten, das wenige Stunden später entschied, dass die Auslieferung rechtswidrig war.

Anna Busl, Anwältin des Beschuldigten Zaid N. aus Nürnberg, fragt auf der Bühne, wie sie ihrem Mandanten garantieren soll, dass er gegen eine Auslieferung juristisch vorgehen kann, wenn der Fall Maja T. gezeigt habe, dass die Exekutive Gerichte ignoriert und es „einfach macht?“ Zaid N. besitzt keine deutsche Staatsbürgerschaft und ist deswegen am stärksten von einer Auslieferung bedroht.

Wir sind nicht der juristische verlängerte Arm Orbans in Europa

Anna Busl, Anwältin des Beschuldigten Zaid N.

Im Publikum sind besorgte Gesichter zu sehen, überall Kopfschütteln. Neben Busl sitzt Cuno Tarfusser, Mailänder Staatsanwalt und ehemaliger Vizepräsident des Internationalen Strafgerichtshofs. Er hat den europäischen Haftbefehl des ebenfalls im Budapest-Komplex beschuldigten Gabriele M. aus Italien bearbeitet. Ihm sei gleich klar gewesen, dass widersprochen werden müsse, sagt er. „Ein Fall Maja T. wäre in Italien nicht möglich gewesen.“ Tarfusser hat das Vorgehen Deutschlands schon öfter scharf kritisiert.

Anders als Deutschland hatte ein italienisches Gericht die Auslieferung Gabriele M.s nach Ungarn mit Verweis auf die Haftbedingungen abgelehnt. Auch Frankreich hat die Auslieferung von Rexhino A. ausgesetzt. Warum das in Deutschland anders lief?

„Frankreich und Italien haben ihren Kopf eingeschaltet“, sagt Tarfusser. Er plädiert dafür, Recht nicht nach „Schema F“ zu betreiben. Anna Busl nickt. „Wir sind nicht der juristische verlängerte Arm Orbans in Europa“, sagt sie. Das Publikum applaudiert. Busl und Tarfusser sind nicht die einzigen Jurist*innen, die das Vorgehen im Fall Maja T. scharf kritisieren.

Postkarten ans Auswärtige Amt

Immer wieder geht es am Abend auch um Innenminister Dobrindt, dem vorgeworfen wird, absichtlich die Entscheidung eines Berliner Gerichts zu ignorieren, indem er weiter an Grenzen zurückweisen will. Ihm empfiehlt Katrin Höffler, Professorin an der HU Berlin, im zweiten Teil des Abends eine Reise nach New York ins Headquarter der Vereinten Nationen. Da solle er sich einmal die Menschenrechte anschauen.

Das Publikum applaudiert und pfeift nun. „Also diese Energie, die Sie haben, die brauchen wir draußen jeden Tag“, sagt Moderator Abdollahi. Am Ende verteilen die Angehörigen der Beschuldigten am Ausgang im Foyer Postkarten an das Auswärtige Amt, das sich für Maja T.s Überstellung nach Deutschland einsetzten soll. „Das Schauspielhaus war genau der richtige Ort“, sagt Birgit W. von Family & Friends: „So konnten wir noch einmal mehr Menschen als bisher erreichen.“

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1 Kommentar

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  • Richtig so. Faschisten lassen sich nicht umarmen und werden auch nicht von alleine aufhören solche zu sein. Aber vielleicht kommt ja demnächst doch noch die Halbierung der AfD durch die Lichgestalt Merz. Einfach ganz ganz fest die Daumen drücken.