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Großbritanniens neuer PremierministerSunaks technokratische Versuchung

Dominic Johnson
Kommentar von Dominic Johnson

Der neue britische Premierminister Sunak wird rasch liefern müssen, wenn er bleiben will. Die Briten schmeißen gnadenlos raus, wer ihnen nicht gefällt.

Premierminister Rishi Sunak bei seiner Rede zum Amtsantritt am Dienstag Foto: Kirsty Wigglesworth/ap

G roßbritanniens Konservative haben in den Abgrund geblickt und sich so erschrocken, dass sie jetzt endlich ihre Grabenkämpfe hinter sich lassen und an einem Strang ziehen – so lautet die optimistische Interpretation der bemerkenswerten Vorgänge der vergangenen Woche in London. Liz Truss’ Sturz und die Kür von Rishi Sunak innerhalb von nur vier Tagen ist demnach kein Ausdruck von Systemversagen, sondern von Funktionieren. Wer Mist baut, fliegt – erst Boris Johnson, dann Liz Truss.

In Großbritannien geht das, in vielen Ländern nicht. Dieses Narrativ muss Rishi Sunak als Premierminister unbedingt bestätigen, will er im Amt bestehen. Der bekennende Nerd tritt an als Technokrat, der „Fehler korrigieren“ und „schwierige Entscheidungen“ treffen muss, um die „Krise“ zu überwinden und erst „Vertrauen“ und dann „Zukunft“ aufzubauen. Dazu muss er jetzt Unfehlbarkeit ausstrahlen.

Die britischen Konservativen als Partei wissen, welche Rolle ihnen dabei zugedacht ist: stillhalten und im Parlament Ja sagen. Flügelkämpfe und Schlammschlachten sind unerwünscht. Boris Johnson soll endlich seine Shakespeare-Biografie schreiben, mit seiner Frau am Strand liegen, als Redner in den USA Geld scheffeln, Hauptsache, er ist nicht da. Liz Truss soll ihren Wahlkreis pflegen, irgendwas Unauffälliges tun, Hauptsache, es fällt nicht weiter auf.

Reicht das? Kann man die von Sunak benannte „wirtschaftliche Krise“ wirklich auf 44 Tage Truss reduzieren? So gigantisch waren ihre Beschlüsse nun auch wieder nicht. Haben nicht auch die vorherigen zweieinhalb Jahre Rishi Sunak als Finanzminister Spuren hinterlassen? Haben nicht alle Regierungen seit Jahrzehnten versäumt, ausreichend in Bildung, Infrastruktur und Technologie zu investieren, und wurde Macht und Geld nicht immer stärker in London konzentriert, zum Nachteil brachliegender Regionen draußen?

Rishi Sunak hat recht: Vor ihm liegt viel Arbeit, um „Vertrauen“ zu schaffen. Aber Demokratie lebt nicht von Vertrauen, sondern von Misstrauen und von Kontrolle. Wer „Vertrauen“ sagt, meint allzu oft, selbsternannte superkluge Experten über die Köpfe der Menschen hinweg Entscheidungen treffen zu lassen. Spätestens beim Brexit-Referendum 2016 scheiterte dieser Politikstil.

Boris Johnson und Liz Truss beriefen sich immerhin auf diesen Weckruf, um verkrustete Verhältnisse aufbrechen zu wollen. Rishi Sunak war ein Brexiteer, doch nun droht ein technokratischer Regierungsstil, der im Namen von „Stabilität“ und „Vertrauen“ neue Verkrustungen schafft. Die Briten lassen sich das nicht gefallen. Wer Mist baut, fliegt.

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Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.
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6 Kommentare

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  • "Haben nicht alle Regierungen seit Jahrzehnten versäumt, ausreichend in Bildung, Infrastruktur und Technologie zu investieren, und wurde Macht und Geld nicht immer stärker in London konzentriert, zum Nachteil brachliegender Regionen draußen?"

    Unter Blair wurde viel investiert und probiert, aber das hat nicht ausgereicht, schon damals nicht.



    Und Johnson stellt hier die richtige Frage. Die Antwort liefere ich gleich mit: Nein.

    Sunak wird nicht aus der Rolle (positiv) fallen, er wird versuchen mit technokratischer Härte den Status Quo aufrechtzuerhalten und das bedeutet, die Mittelklasse per Einkommenssteuer abzukassieren. Die Armen zahlen dann noch Mehrwertsteuer. (und die Reichen privilegieren, aber nicht noch mehr)

    Eigentlich hat die Opposition recht: Eine Wahl wäre notwendig, damit es eine echte Legitimation für die Regierung gibt, damit das Volk entscheiden darf, was gemacht wird.

    Nach den Eskapaden wäre das demokratietheoretisch geboten, aber das wird so nicht sein und auch nicht kommen.

    Eventuell gehen die Gemüter hoch, es kommt zu Demos und vielen Debatten und Sunak muss dann immer und überall sich rechtfertigen und probieren, seine Linie durchzuziehen.

    Da es nur mit Opfern einhergehen kann, stellt sich die Frage, wer opfert was und wen?

    Wer zahlt die Zeche?

    Wie wird Wachstum erzeugt, während Großbritannien im Brexit ist, nicht so aber Nord-Irland.

    Kann die Regierung Investitionen in Infrastruktur beschäftigungswirksam und wachstumsorientiert lancieren?

    Ich glaube, er wird scheitern, aber es wird wieder eine dicke Show.

    Ich bin mir nicht sicher, ob das Feuern von glücklosen Politikern wirklich ein Markenzeichen für ein politisches System sein kann. Ich habe großen Respekt vor dem Parlamentarismus und vielen (ehemaligen) Abgeordneten in London, aber das hier wirkt schon ganz schön endzeitalterlich.

    Soll das wirklich so weiter gehen?



    (Immerhin war Labour dann mit nur zwei Premierministern noch ganz gut ...)

  • Es wäre schön, wenn Großbritannien auf den Status "wer Mist baut, der fliegt" kommen würde. Leider ist das nicht der Fall: die Briten können Herrn Sunak nämlich nicht "rauswerfen". Das können gerade nur die Tories.

    Boris Johnson hat weder durch sein komisches Auftreten, noch mit seiner Korruption die wirtschaftliche Lage des Uk zu verschulden. Das war seine Wirtschaftspolitik, die zu 100% die Politik seiner Partei war. Und für eben diese Politik (und einen befremdlichen Regierungsstil) musste auch Liz Truss zurücktreten.

    ich traue Sunak zu, die gleiche Politik wie seine Vorgänger_innen zu vertreten und dabei kompetent auszusehen. Ich hoffe, dass die Wirtschaftspolitiker der Tories erkannt haben, dass ihre bisherige Politik nicht funktioniert, wage es aber nicht, zu hoffen.

  • 0G
    04405 (Profil gelöscht)

    Ist es wirklich die Demokratie, die von Misstrauen lebt, oder sind es Aufmerksamkeitsökonomie, Populisten und Verschwörungstheoretiker, die sich aus Misstrauen gegen alles und jeden speisen?

    Sunak als "selbsternannten superklugen Experten" und "Nerd" zu diskreditieren, noch bevor er überhaupt angefangen hat, passt in dieses letztere Schema. Ich hege wenig Hoffnung, dass er genug kluge Entscheidungen in so kurzer Zeit fällen und umsetzen kann, dass er eine wesentliche Verbesserung für die Briten erreicht - das liegt aber eher an der Vorgeschichte und dem jämmerlichen Bild, dass die britischen Konservativen abgeben.

  • Jahrzehntelang haben Tories, und zwischendurch mal New Labour, dias Land im Dineste ihrer Elitenklientel ausgeplündert und vor die Hunde gehen lassen, die Wikingerraubzüge des 8. Jahrhunderts waren dagegen geradezu Entwicklungspolitik. Sunak verkörpert und repräsentiert diese neoliberalen Räuberbanden wie kein Zweiter, er ist lediglich nicht so dumm wie Truss und so narzisstsisch gestört wie Boris. Sonst aus dem gleichen Nest. Ich setzte auch in Labour nicht viel Hoffnung, aber die Tories müssen untergehen.

  • Wieso haben "die Briten" nicht schon längst die Tories rausgeschmissen?

    "Die Briten" im Untertitel meint wohl die Tories.

    Das ganze erbärmliche Drama seit David Cameron machen doch die Tories unter sich.

  • Das ist doch alles nur Geplänkel. Boris Johnson wartet noch ein oder zwei weitere Kandidaten ab und inszeniert sich dann als großer Retter. So machen das die Populisten. Siehe USA, Italien etc.