Großbritanniens Spitzenbeamtin Sue Gray: Vom Pub zur Party-Inquisitorin
Sue Gray hat im Alltag in 10 Downing Street viel zu sagen. Nun ist sie für die Untersuchung zu Lockdownpartys in Regierungsbüros zuständig.
Heute führt Sue Gray eine interne Untersuchung über ganz andere Formen regelwidriger Kontakte, und kaum jemand erwartet, dass Premierminister Boris Johnson sie unbeschadet übersteht. Stündlich erwartete die britische Öffentlichkeit am Mittwoch ihren Untersuchungsbericht über „Zusammenkünfte der Mitarbeitenden in 10 Downing Street“ – die Affäre um coronaregelwidrige Feierlichkeiten im Amtssitz des britischen Premierministers während des Corona-Lockdowns, allgemein als „Partygate“ bekannt.
Sue Gray ermittelt im Auftrag des Premiers und erstattet ihm Bericht, aber im Alltag hinter der schwarzen Tür von 10 Downing Street hat sie oft mehr zu sagen als er. Hinter ihrem Amt der „Zweiten Ständigen Sekretärin für die Union und die Verfassung“ im Kabinettsamt verbirgt sich eine der dienstältesten Beamtinnen Großbritanniens, mit Unterbrechungen seit den 1970er Jahren tätig, immer hinter den Kulissen.
„Nichts bewegt sich, wenn Sue es nicht sagt“, heißt es in den Memoiren des liberalen Exministers David Laws. Insider beschreiben Gray unter wechselnden Premierministern als Säule des Betriebs, langjährige Büroleiterin in den Kabinettsräumen von Whitehall direkt neben 10 Downing Street, die alle Alltagsfragen klärt, frische Amtsträger einweist und bei ihrem Abgang dafür sorgt, dass sie keine Geheimnisse ausplaudern. Viele verdanken ihr ihre Karriere – oder deren Ende. Charakterisierungen, die jetzt in Medien zirkulieren, wiederholen teils wortgleich Klischees von der allmächtigen Strippenzieherin, die keine Spuren hinterlässt.
Feuertaufe in Nordirland
Über die reale Sue Gray ist wenig bekannt – nicht einmal ihr genaues Alter. 63 soll sie jetzt sein, direkt von der Schule stieß sie Ende der 1970er Jahre zum öffentlichen Dienst, eine klassisch anonyme Beamtenlaufbahn. 2012 wurde sie Ethikbeauftragte von 10 Downing Street, zuständig für die Einhaltung von Regeln im Büro des Premierministers. 2018 wurde sie nach Nordirland geschickt, scheiterte aber 2020 damit, dort oberste Beamtin zu werden, und kehrte 2021 nach 10 Downing Street zurück. Die Partys, die sie jetzt aufklären soll, hätten sicherlich nie stattgefunden, wenn sie in der fraglichen Zeit 2020 da gewesen wäre.
Ihr Ausflug nach Nordirland hat eine Vorgeschichte in Form einer Feuertaufe. Ende der 1980er Jahre nahm sie eine Auszeit von ihrer Beamtentätigkeit und leitete mit ihrem Ehemann, Countrysänger Bill Conlon, das Pub The Cove Bar im nordirischen Newry, tief im damaligen IRA-Gebiet. Einmal, berichtet der Belfast Telegraph, fuhr sie spätabends eine Angestellte nach Hause, durch düstere Landstraßen. Ein bewaffneter IRA-Kämpfer an einer Straßensperre hielt ihr Auto an und sagte: „Wir wollen das Auto, steig aus.“ Ihre Antwort: „Nein.“ Der Bewaffnete, völlig perplex, erwiderte: „Ach, bist du ’ne Scheiß-Engländerin?“ Ihre Rettung war eine Stimme aus der Dunkelheit: „Das ist Sue Gray vom Cove, lass sie weiterfahren.“
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!