Großbritannien verschiebt Klimaziele: Verbrennerverbot fünf Jahre später
Großbritannien war Vorreiter im Klimaschutz. Nun verzögert Premier Sunak Verkehrs- und Wärmewende. Aus „Pragmatismus“.
Die Änderungen stellten eine „pragmatische, proportionale und realistische“ Änderung des Weges zur britischen Klimaneutralität bis 2050 dar, der so für viele Menschen fairer wäre, da auf sie nun keine unnötigen Kosten zukommen würden, sagte Sunak. Die Änderungen seien als Angleichung an viele EU-Länder, Australien, Kanada und US-Staaten wie Kalifornien zu verstehen.
Der Premier betonte, dass es bei dem Endziel bleibe, Großbritannien bis 2050 klimaneutral zu machen. Und dass sich auch am britischen Zwischenziel für 2030 nichts ändere – bis dahin soll der CO2-Ausstoß um 68 Prozent gegenüber dem Referenzwert von 1990 reduziert werden. Damit sei Großbritannien immer noch ambitionierter als etwa die EU mit ihrem 55-Prozent-Ziel.
Der bisherige Konsens zur Klimapolitik mache niemanden glücklich, erklärte Sunak. Dieser stütze sich auf Versprechen ohne jene Wahrheiten, „die Menschen ebenfalls hören“ müssten. Niemand könne am Klimawandel zweifeln. Man müsse aber, um die Klimaziele zu garantieren, die Bevölkerung mit sich nehmen. Mit seinen Änderungen könne man dieses Ziel nun erreichen.
Atomprogramm bleibt
Viele der bereits beschlossenen Maßnahmen sollen ohnehin weiterlaufen, betonte der Premierminister: Milliardenzahlungen für den Green Climate Fund, Windfarmen oder der Bau von Atomkraftwerken. Außerdem werde er dafür sorgen, dass das nationale Stromnetz ausgebaut und verbessert wird, um den vielen neuen Stromquellen gerecht zu werden.
Er glaube, dass die Mehrheit aller Fahrzeuge in Großbritannien bis 2030 elektrisch sein werde, sagte Sunak, weil die Technologien weiter verbessert würden. Aber die Entscheidungen dazu müssten die Verbraucher:innen selber treffen, da die Anschaffungskosten noch hoch seien.
Auch beim Umbau der Heizungen und der Wärmewende für die Haushalte insgesamt sei Zeit wichtig, um britische Familien nicht in unnötige Unkosten zu stürzen. Hier bleibe es aber bei den Subventionen, für den Ausbau von Gasheizkesseln würde die Unterstützung auf 7.500 Pfund erhöht. Für ärmere Haushalte gebe es Ausnahmen von der Wechselpflicht.
Auch die Neuerschließung von Öl- und Gasfeldern in der Nordsee sei pragmatische Politik, sagte Sunak. Mit ihr werde das Land weniger abhängig von ausländischen Diktatoren wie Putin.
Innenpolitisch umstritten
Im Hintergrund der Ankündigungen stehen die aller Wahrscheinlichkeit nach im nächsten Jahr anstehenden Wahlen. In wenigen Tagen beginnen in Großbritannien die jährlichen Parteitage. Die Tories haben aus der im Juli knapp gewonnenen Nachwahl in Boris Johnsons ehemaligem Wahlkreis Uxbridge and West Ruslip gelernt. Hauptstreitpunkt dort war die vom Londoner Bürgermeister Sadiq Khan geplante Erweiterung der Londoner Niedrigemissionszone (ULEZ). Der konservative Kandidat Steve Tuckwell hatte sich dagegen gestellt und für ein pragmatisches und natürliches Auslaufen alter Fahrzeuge plädiert, statt betroffene Autofahrer:innen zum Kauf eines schadstoffärmeren Fahrzeugs zu zwingen. Im August wurde die ULEZ zwar trotzdem auf ganz London erweitert – allerdings mit einer stärkeren Subventionierung beim Umstieg auf weniger emittierende Fahrzeuge.
Außerdem reagierte Sunak mit seinen Maßnahmen auch auf internen Fraktionsdruck vom rechten und libertären Flügel der Partei. Liz Truss, Sunaks ehemalige Kontrahentin und Vorgängerin im Amt des Premierministers, hielt am Montag bei einer konservativen Denkfabrik eine provokative Rede, in der sie eine Aufweichung der Klimaziele gefordert hatte. Truss war am Mittwochabend dann auch eine der ersten, die Sunaks Maßnahmen begrüßten.
Andere Tories, darunter Sam Hall, der Direktor der Gruppe „Conservative Environment Network“, dem auch um die 100 Unterhausabgeordnete angehören, waren weniger begeistert. Hall sagte, Sunak setze den schwer verdienten Ruf Großbritanniens in Umweltfragen aufs Spiel. Auch Boris Johnson, der die Ziele für 2030 vor drei Jahren gesetzt hatte, sagte vor Sunaks Ankündigungen, dass das Land sich keine Verzögerungen erlauben könne.
Labours Schattenminister für Klimaneutralität, Ed Miliband, sah in Sunaks Ankündigungen einen Schwächeakt, der zur „Musik der Minderheit“ in seiner Partei tanze. Den Abschied von Verbrennern zu verzögern, würde Familien Milliardensummen aufbrummen und die Zuversicht von Investoren schädigen. Auch zahlreiche Stimmen aus der Bau- und Autoindustrie äußerten sich kritisch.
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