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Grönemeyer-Stück „Pferd frisst Hut“Heile Welt für Frauenfeinde

Marie Frank
Kommentar von Marie Frank

Der Musiker Herbert Grönemeyer und der Regisseur Herbert Fritsch reproduzieren in ihrem Theaterstück Rape-Culture, die nur schwer zu ertragen ist.

Männer, die Frauen als Ware sehen: Im Stück „Pferd frisst Hut“ ganz normal Foto: IMAGO / Future Image

E igentlich begann alles sehr vielversprechend. Ein Spaziergang über den Ku’damm am sonnigen Sonntagnachmittag endete mit einer Einladung in die Komische Oper. Drei ältere, der Mundart nach schwäbische, Frauen waren extra zur Premiere des Stücks „Pferd frisst Hut“ nach Berlin gereist, um sich die Premiere am Samstag und dann noch mal die zweite Vorstellung am Sonntagabend anzuschauen.

Stolze 88,65 Euro verlangt der „doppelte Herbert“ – Regisseur Herbert Fritsch und Komponist Herbert Grönemeyer – für das Remake des Klassikers „Ein Florentinerhut“ von Eugène Labiche aus dem Jahr 1851. Weil die drei Frauen aber doch nicht mehr konnten – oder vielleicht auch nicht mehr wollten –, gaben sie ihre Tickets für einen Bruchteil des ursprünglichen Preises her.

Die Vorstellung war ausverkauft. Als Klamauk angekündigt, lieferte sie genau das: kurzweilige Unterhaltung. Unzählige Schau­spie­le­r*in­nen sprangen, stolperten, sangen in bunten Gewändern vor bunter Kulisse und amüsierten mit Anspielungen auf Grönemeyer-Songs das Publikum. Doch dem blieb das Lachen bald im Halse stecken.

Denn die inszenierte heile Welt wurde jäh unterbrochen durch eine Szene, die es im 21. Jahrhundert, nach all den #Metoo-Debatten und spätestens nach dem Fall Pelicot eigentlich nicht mehr geben dürfte: Eine Frau liegt bewusstlos auf der Bühne, ihr Vater „verschenkt“ sie – selbstverständlich ohne ihre Einwilligung – an ihren Cousin, der minutenlang frohlockt, dass sie endlich „seine“ sei: „Ich will an ihren Busen/ weg mit Röcken und Blusen/ Nicht mehr warten/ Ich hab schon einen Harten!“

Reaktionäres Frauenbild

Wer jetzt eine Pointe erwartet: Es gibt keine. Die Frau kommt im Stück nicht weiter groß zu Wort, außer am Schluss, als sie sich Hochzeitsgeschenke unter den Nagel reißen will und mit einer Konkurrentin um einen Mann kämpft. Was für ein Frauenbild: willenlos, habgierig, eifersüchtig, so sind sie, die Weiber.

Dass Vergewaltigungswitze ganz und gar nicht witzig sind, war auch im Publikum zu spüren. Zu lachen war niemandem zumute, und nach der Pause blieben viele Sitze leer – bei den Eintrittspreisen eine eindeutige Ansage.

Nun muss man bei einem Stück aus dem 19. Jahrhundert keine super progressiven Inhalte erwarten. Das heißt aber nicht, dass die beiden alten weißen Herberts in der heutigen Zeit einfach Rape-Culture verbreiten und uns das als Komödie verkaufen können. Wie kann es sein, dass gesellschaftliche Debatten und der dadurch gewonnene Konsens und Fortschritt derart wirkungslos im Theaterbetrieb verhallen? Dass Hunderte Menschen dieses Stück vorab sehen und den Machern nicht entgegenbrüllen: Die Misshandlung von Frauen ist nicht witzig! Auch hier: leider keine Pointe.

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Marie Frank
Leiterin taz.berlin
Leiterin taz Berlin und Redakteurin für soziale Bewegungen, Migration und soziale Gerechtigkeit. Hat politische Theorie studiert, ist aber mehr an der Praxis interessiert.
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8 Kommentare

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  • Da geht jemand in ein Stück aus dem 19. Jahrhundert und erwartet, dass es #Metoo konform ist. Das kann nicht funktionieren.

    Ich finde es durchaus nicht falsch, das 19. Jahrhundert so darzustellen, wie es war. Extrem frauenfeindlich. Von nachträglichen Korrekturen halte ich nichts viel. Sie beschönigen Vergangenes.

  • Kunst ist Geschmacksache. Aber ob nach der Pause das halbe Publikum verschwunden ist oder nicht ist ja eine Tatsachenbehauptung. Gibt es dazu noch eine weitere Quelle? Denn andere Kritiker wie die von der Berliner Zeitung und NDR.de etc. fanden die Aufführung gut, anderer eher durchschnittlich.

  • Was mMn. noch hinzukommt, ist, dass sich Grönemeyer immer sonst so wichtig nimmt mit seiner politischen Haltung. Da hätte ich jetzt schon etwas anderes erwartet. Und: 19. Jhd. hin oder her, man könnte auch so ein Stück verhältnismäßig 'neu' oder 'modern(er)' interpretieren.

  • Die beiden alten weißen Herren können verkaufen, was immer sie wollen, genau wie das Publikum das Angebot ablehnen kann. Nennt sich Kunsfreiheit und wenn dem Publikum die angebotene Kunst nicht zusagt, hat sich das Thema auch ganz schnell wieder erledigt

  • Mein Verdacht ist: So ein Stück zieht mehrheitlich Publikum an, welches ein ganzes Leben lang darauf getrimmt worden ist, weg zu gucken, wenn irgendwas das Kaffeekränzchen stören könnte.

    Ich hab solche Persönlichkeitssignaturen inzwischen gründlich satt, aber es gibt sie leider zu hauf. Anders lässt es sich gar nicht erklären, dass z.B. ein Großteil des Missbrauchs im engen Umfeld stattfindet aber niemand was gemerkt haben will.

  • Ich bin auch dafür zeitgenössische Stücke Moral- und Gesellschaftskonform auf die heutige Zeit anzupassen. Damit gibt es keine kontroversen Diskussionen mehr und der gesellschaftliche Frieden wird wiederhergestellt - ganz, wie zu DDR-Zeiten.

  • Leider fallen andere Kritiken unerfreulich positiv aus. Bleibt nur zu hoffen, dass dieses Stück, das ich nicht gesehen habe, nicht immer ausverkauft ist und bald abgesetzt wird.

    Ich stimme der Autorin des taz-Artikels zu; diese Art der Interpretation von "Pferd frisst Hut" sollte heutzutage bei Kritikern, Publikum und Regisseuren unerwünscht sein. (Vielleicht ist aber auch ein "Aufreger" gewünscht, um für ein volles Haus zu sorgen.)

    • @*Sabine*:

      "...dieses Stück, das ich nicht gesehen habe..."



      Die beste Basis für eine feste Meinung.