Griechisches Verfahren gegen Seenotretter: „Rein politischer Prozess“
Teile der Vorwürfe gegen Flüchtlingshelfende werden fallengelassen. Für Menschenhandel müssen sie sich aber weiter verantworten.
Wegen Menschenhandel, Geldwäsche, Betrug und der unrechtmäßigen Nutzung von Funkfrequenzen müssen die Helfer:innen sich jedoch weiter verantworten – und viele Jahre Haft fürchten. Diese Vorwürfe wurden am Freitag zurück an die Staatsanwaltschaft verwiesen. Wann das Verfahren fortgesetzt wird, ist offen.
„Wenn es so weitergeht, dauert das noch 50 Jahre“, sagte der Angeklagte Sean Binder nach dem Prozesstermin in der Inselhauptstadt Mitilini. Er hoffe, dass die ausstehenden Anklagepunkte schnell zur Verhandlung kommen. „Es sieht aber nicht so aus, als ob das bald geschieht.“ Gleichzeitig seien die Angeklagten sehr froh über das Ausmaß an internationaler Solidarität, dass sie erfahren hätten. „Das hat Druck auf die Staatsanwaltschaft und das Gericht aufgebaut, die Fehler anzuerkennen, die in dem Verfahren gemacht worden sind. So gibt es heute zu einem gewissen Grad weniger Ungerechtigkeit. Was wir aber wollen ist Gerechtigkeit“, so Binder.
Der heute 28-jährige Ire hatte sich 2017 als Freiwilliger der griechischen NGO International Emergency Response Centre angeschlossen. Er hatte vor der griechischen Insel Lesbos nach Booten in Seenot Ausschau gehalten, um sich um mögliche Schiffbrüchige zu kümmern. Zu jener Zeit ertranken in dem Seegebiet Hunderte Menschen bei der Überfahrt aus der Türkei.
NGO sehen den Prozess als politisch motiviert an
2018 wird Binder zusammen mit 23 anderen Aktivist:innen, darunter die syrische Leistungsschwimmerin Sarah Mardini, verhaftet. Nach mehr als drei Monaten in Untersuchungshaft werden Binder und Mardini im Dezember 2018 gegen Kaution freigelassen.
Es handele sich um eine „ungerechte und unbegründete Strafverfolgung, bei der ihnen sehr schwere Vorwürfe gemacht werden, die im Falle eines Schuldspruchs zu 25 Jahren Gefängnis führen können“, schrieb die Menschenrechtsorganisation Amnesty International zu dem Fall.
Menschenrechtsorganisationen sehen den Prozess als rein politisch motiviert an. In einem Bericht des Europaparlaments war von der „größten Affäre zur Kriminalisierung von Solidarität in Europa“ die Rede.
Das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte hatte am Freitag die griechische Justiz aufgefordert, alle Anklagen gegen Helfer, die Migrant:innen unterstützen, fallen zu lassen. „Diese Art von Verfahren ist besorgniserregend, weil es Handlungen kriminalisiert, die das Leben von Menschen retten, und einen gefährlichen Präzedenzfall schafft“, sagte Sprecherin Elizabeth Throssell am Freitag. Das Retten von Menschenleben dürfe niemals kriminalisiert werden.
Etwa 50 humanitäre Helfer verfolgt Athen derzeit
Der Prozess hatte bereits im November 2021 begonnen, war jedoch wegen Verfahrensfragen vertagt worden. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch warf damals den Behörden vor, das Verfahren zu verschleppen, um Hilfsorganisationen von weiteren Rettungseinsätzen in Griechenland abzuschrecken.
In Griechenland werden derzeit etwa 50 humanitäre Helfer strafrechtlich verfolgt. Auch in Italien drohen Aktivist:innen Strafen für die Hilfeleistung für Migrant:innen.
Griechenlands 2019 gewählte konservative Regierung hat versprochen, das Land für Flüchtlinge „weniger attraktiv“ zu machen. Als Teil der Strategie soll eine 40 Kilometer lange Grenzmauer zur Türkei auf 80 Kilometer erweitert werden. Die Regierung setzt auf gewaltsame Zurückschiebungen von Flüchtlingen an den See- und Landgrenzen. NGOs sollen dabei möglichst ferngehalten werden.
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