Griechischer Finanzminister über Krise: „Die Zeit wird knapp“
Griechenland braucht einen Schuldenerlass, um die Unsicherheit zu beenden. Nur dann kommen wieder Investoren, sagt Euclid Tsakalotos.
taz: Herr Tsakalotos, auf seiner letzten Europareise kommt US-Präsident Obama heute nach Athen und wird dann nach Berlin weiterfliegen. Was erwarten Sie von seinem Besuch?
Euclid Tsakalotos: Obamas Regierung hat mehrfach deutlich gemacht, dass sie der europäischen Griechenlandpolitik eher kritisch gegenübersteht. Die USA, aber auch der Internationale Währungsfonds, der IWF, haben darauf hingewiesen, dass die griechischen Schulden nicht tragbar sind und dass ein Schuldenerlass nötig ist.
Finanzminister Wolfgang Schäuble hat sich von solchen Argumenten bisher nicht beeindrucken lassen. Stattdessen sagt er, dass die Griechen nicht ausreichend sparen würden.
Wir haben eine enorme Menge an Reformen angeschoben, immer in enger Abstimmung mit der EU, der Eurozone und dem IWF. Aber diese harten Kürzungen würgen unsere Wirtschaft ab. Man kann kein Geld sparen, das man nicht hat. Der IWF droht daher, sich aus Griechenland zurückzuziehen, wenn es nicht zu einem Schuldenerlass kommt. Schäuble steht jetzt vor einem Dilemma: Er ist gegen jede Art von Schuldenerlass – aber gleichzeitig möchte er erreichen, dass der IWF bleibt.
Dieses Dilemma ist keineswegs neu für Schäuble.
Aber jetzt wird die Zeit knapp. In den Niederlanden und in Deutschland stehen Wahlen an. Wenn die griechischen Schulden nicht sinken, wird Griechenland nicht in der Lage sein, bis Ende 2017 an die Finanzmärkte zurückzukehren. Es würde also ein viertes Rettungspaket für Griechenland benötigt, das dann 2018 startet. Es ist schwer vorstellbar, dass die niederländische und die deutsche Regierung ihre Wahlkämpfe damit belasten wollen, dass spekuliert wird, dass ein weiteres Rettungsprogramm für Griechenland nicht funktionieren könnte.
Viele Deutsche haben Angst, dass die Griechen einfach neue Kredite aufnehmen, sobald die alten Schulden erlassen sind.
Der Schuldenerlass, über den wir reden, würde den normalen deutschen Steuerzahler sehr wenig oder sogar gar nichts kosten. Es wäre eine Win-win-Situation. Zudem würde Griechenland auf den Finanzmärkten nicht etwa neue Schulden aufnehmen – sondern nur die alten Kredite refinanzieren. Jedes Land, sogar Deutschland, kann seine alten Schulden nur zurückzahlen, indem es neue Darlehen aufnimmt. Aber Griechenland kann an diesen völlig normalen Verfahren erst wieder teilnehmen, wenn die Gesamtlast der Schulden reduziert wird. Sonst bleiben die Investoren weg und die europäischen Rettungsschirme müssten weiterhin als Vermittler agieren – indem sie erst Kredite auf den Finanzmärkten aufnehmen und sie dann an Griechenland weiterreichen.
geboren 1960, ist Ökonom, bezeichnet sich als Marxist und gehört seit 2012 dem griechischen Parlament an. Als Nachfolger von Yanis Varoufakis war das Gründungsmitglied von Syriza, der „Koalition der Radikalen Linken“, vom Juli 2015 bis zum Juli 2019 Finanzminister von Griechenland.
Im Sommer 2015 hat Schäuble verklausuliert angeboten, dass Griechenland zusätzliche Milliarden bekommen könnte, wenn es zur Drachme zurückkehrt. Warum haben Sie damals nicht eingewilligt?
Dies wäre ein sehr schlechter Deal für Griechenland gewesen. Selbst wenn wir einige Milliarden zusätzlich bekommen hätten, hätte sich an unserer Schuldenlast nichts geändert – und es wären weiterhin Euro-Kredite gewesen. Wie hätten wir diese Darlehen mit einer schwachen Drachme bedienen sollen?
Haben Sie den Eindruck, dass Kanzlerin Angela Merkel mit Schäubles hartem Kurs übereinstimmt?
Angela ist die Kanzlerin, und ihr Blick ist daher zwangsläufig weiter. Im Sommer 2015 hat sie gesehen, dass der Euro am Ende wäre, wenn ein Land den Euro verlässt. Damit hatte sie recht. Europa muss zeigen, dass es seine Probleme lösen kann.
Sie nennen sie Angela?
Wieso nicht, sie nennt mich Euclid. Wir alle haben die britische Sitte übernommen, sich gegenseitig mit den Vornamen anzureden. Ein lockerer Umgangston bedeutet keinen Mangel an Respekt.
Was also schlagen Sie Angela und Wolfgang vor?
Um die griechische Krise zu überwinden, sollte es keinen harten Schuldenschnitt geben, der dann alle zwingt, die Kredite offiziell abzuschreiben. Stattdessen sollte der Schuldenerlass dadurch zustande kommen, dass die Zinsen sinken, die Laufzeiten länger werden und die Tilgung später beginnt.
Die Debatte konzentriert sich auf alte Schulden. Doch Griechenlands Hauptproblem ist die Zukunft: Wie soll die Wirtschaft wieder wachsen?
Momentan investiert niemand, weil die politische Unsicherheit zu hoch ist. Wir benötigen eine endgültige Vereinbarung zwischen Griechenland und der Eurozone sowie dem IWF, um diese Unwägbarkeiten zu beenden. Die Anleger müssen das Gefühl haben, dass die politischen Entscheidungen gefällt und nicht erneut vertagt wurden.
Warum sollte jemand in Griechenland investieren? Es ist ein Land in der Krise.
Genau deswegen. Durch die lange Depression sind alle Vermögenswerte viel zu billig und werden weit unter Wert gehandelt. Das gilt für Aktien genauso wie für Immobilien. Es gäbe überzeugende Projekte, von denen sowohl die Investoren als auch der griechische Staat profitieren würden. Um nur ein Beispiel zu nennen: Von den Olympischen Spielen 2004 ist auch eine Beach-Volleyball-Anlage übrig geblieben, die momentan ziemlich verfallen ist. Aber man könnte sie mit relativ geringen Mitteln wieder herrichten. Für europäische Volleyball-Teams wäre es viel billiger, den Winter in Griechenland zu verbringen, statt in die Karibik oder nach Australien zu fliegen.
Im Januar wird der neue US-Präsident Donald Trump sein Amt antreten. Stärkt das die griechische Verhandlungsposition?
Wir müssen abwarten, welche Haltung der neue Präsident einnimmt. Aber wir leben in einer unsicheren Welt. Dies sollte Griechenland helfen. Denn die EU und die Eurozone müssen zeigen, dass sie ihre Probleme selbst lösen können. Griechenland befindet sich endlich wieder auf einem guten Weg. Es würde nicht viel kosten, um sicherzustellen, dass dieser Fortschritt dauerhaft ist. Ein solcher Erfolg würde zeigen, dass die EU funktionieren kann. Was hingegen ein Scheitern in diesen unruhigen Zeiten bedeuten würde, mag man sich gar nicht ausmalen.
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