Grenzüberschreitende Pride-Parade: Queer über die Oder
Mit einem Pride wollen LGBTIQ+ aus Frankfurt (Oder) und Słubice für sichere Räume demonstrieren. Auf polnischer Seite rechnen sie mit Gegenprotesten.
Der Startpunkt ist bereits ein Statement: Absichtlich haben die Organisator*innen des ersten Frankfurt-Słubice-Pride den Beginn ihrer LGBTIQ+-Parade auf die polnische Seite der Oder gelegt.
Denn dort ist die Situation für queere Menschen zunehmend besorgniserregend. Insbesondere im Süden und Osten Polens haben sich im Laufe des Jahres zahlreiche Kommunen zu sogenannten LGBTIQ-freien Zonen erklärt, und Politiker*innen der regierenden PiS-Partei hetzen regelmäßig gegen queere und homosexuelle Menschen.
Die queere Community fühlt sich in Polen daher zunehmend unter Druck, sagt Mewa Topolska, die selbst in Słubice aufgewachsen ist und inzwischen wieder dort lebt. „Selbst in Poznan, der Stadt, die eigentlich als schwul-lesbische Hauptstadt Polens gilt, fühle ich mich teils nicht sicher wenn ich etwa in einem Regenbogen-T-Shirt durch die Straßen gehe“, sagt sie. Denn der öffentliche Diskurs richte sich zunehmend gegen die queere Community mit Vorwürfen, dass sie etwa die Kinder fehlleiten würden oder sogar pädophil seien.
„Wir können wenig dagegen tun – das Einzige, das hilft, sind Sichtbarkeit und Solidarität“, sagt die 21-Jährige. Auch deshalb sei der erste Frankfurt-Słubice-Pride am Samstag unter dem Motto „Liebe ohne Grenzen“ so wichtig – als deutsch-polnische Parade für sexuelle Vielfalt.
Awareness-Team ist vorbereitet
Organisator*innen rechnen daher auch mit Gegenprotesten auf polnischer Seite. „Das können sich die Aktivist*innen in Deutschland oft gar nicht vorstellen – aber wo immer wir uns zeigen, gibt es Gegendemos, und die Leute schreien und spucken uns an“, sagt Topolska.
Route Start der Demonstration ist um 14.00 Uhr auf dem Plac Bohaterów in Słubice. Um 13 Uhr startet eine Zubringerdemo vom Frankfuter Bahnhof. Der Pride zieht durch Słubice, über die Oderbrücke und durch das Frankfurter Stadtzentrum zum Holzmarkt, wo es um 16.00 Uhr eine Abschlusskundgebung gibt. Auf dem Weg sprechen Vertreter*innen einer Blutspende-Initiative, dem Querverlag und deutsche und polnische Aktivist*innen. Ab 16.30 Uhr geht es auf dem Frankfurter Brückenplatz mit Konzerten und Infoständen weiter.
Coronaregeln Während der Demonstration besteht die Pflicht zum Tragen einer Mund-und-Nasen-Bedeckung sowie ein Mindestabstand von 2 Metern in Polen bzw. 1,50 Metern in Deutschland. Die Veranstalter*innen stellen während der Demo Desinfektionsmittel zur Verfügung. In Słubice ist die Versammlung wegen der Bestimmungen in Polen auf maximal 150 Teilnehmer*innen beschränkt, auf der Frankfurter Oderseite gibt es keine Einschränkungen, sofern die Abstandsregeln eingehalten werden. (usch)
„Es wird sicher auch wieder Menschen geben, die für uns beten, und auch ein Auto mit einem Aufsteller, auf dem steht, dass Schwule und Lesben pädophil seien, habe ich letztens in Słubice schon gesehen.“
Sicherheitshalber hätten die Veranstalter*innen das Awareness-Team intensiv auf alle möglichen Situationen vorbereitet. „Wir sind aber optimistisch, dass wir den Pride wie geplant durchführen können“, sagt Mitorganisatorin Ira Helten, die selbst an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) studiert.
Unterstützung kommt aus der Politik. So haben sich im Vorfeld Politiker*innen und Aktivist*innen aus Deutschland und Polen den Forderungen der Veranstalter*innen nach Sichtbarkeit von und Respekt für queere Menschen angeschlossen. Sahra Damus, Frankfurter Landtagsabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen, hatte bei ihrer Sommertour selbst queere Aktivist*innen aus Polen getroffen.
Gesellschaftlich zunehmend ausgegrenzt
Es sei gruselig, wie sehr queere Menschen in Polen in der Gesellschaft ausgegrenzt würden, etwa weil sie nicht mehr bei Veranstaltungen sprechen dürften. „Nachdem die PiS mit dem Thema Flucht und Migration nicht mehr verfängt, mobilisiert sie nun gegen Homosexuelle und Transpersonen“, sagt Damus.
Słubices Bürgermeister Mariusz Olejniczak sagte einem städtischen Nachrichtenportal, dass Märsche und Kundgebungen in letzter Zeit starke Emotionen hervorriefen – sowohl positive als auch negative. Słubice sei eine offene und freundliche Stadt. Er hoffe, dass die geplante Demonstration für alle Teilnehmenden und und Beobachtenden sicher ablaufen werde.
Der nun grenzübergreifende Pride ist ein Beispiel dafür, was entstehen kann, wenn sich Menschen mit unterschiedlichen Geschichten und Anliegen zusammensetzen. Denn die ersten Ideen zu einer CSD-Parade entstanden im Rahmen von Treffen der Franfurter Vielfaltgestalter, ein von der Robert-Bosch-Stiftung finanziertes Projekt mit dem Ziel, Kontakte herzustellen und unterschiedliche Menschen in Frankfurt (Oder) zusammenzubringen.
Aus deren Arbeit entstand die Idee zu einem Christopher-Street-Day in Frankfurt (Oder) – unter anderem, weil hier nun queere Viadrina-Absolvent*innen plötzlich mit älteren Aktivist*innen an einem Tisch saßen. Mit Sylvia Thies trafen die jüngeren in der Gruppe auf eine Aktivistin, die mit dem Club GL in den 90er Jahren die erste schwul-lesbische Gruppe Frankfurts aufgebaut hatte.
Idee zu einem Pride bereits in den 90ern
Thies erzählte, dass sie bereits damals darüber nachgedacht hätten, einen CSD in Frankfurt zu organisieren. Auch davon fühlten sich die Jüngeren in der Runde daraufhin angestachelt. Richtig Fahrt nahm die Idee dann auf, als klar wurde, dass zeitgleich eine Gruppe in Słubice dabei war, dort einen Pride zu planen – und die gern bereit waren, sich mit dem Frankfurter Planungsteam zusammenzutun.
Mit dem Pride wollen sie die Situation für queere Menschen in beiden Städten verbessern. „Wir fordern, das die Weltoffenheit in der Doppelstadt auch für geschlechtliche Identitäten und sexuelle Vielfalt gilt“, sagt Helten.
Die Aktivistinnen wollen, dass sich die Stadtverordneten der beiden Städte Frankfurt und Słubice in einem gemeinsamen Beschluss zu einem sicheren, diskriminierungsfreien Ort für queere Menschen erklären.
Außerdem fordern sie ein grenzübergreifendes Beratungsangebot für queere Menschen in beiden Städten und mehr Orte und Treffpunkte für LGBTIQ+. Denn bisher gibt es ihren Angaben zufolge keine Jugendclubs oder Treffpunkte, die sich explizit an LGBTIQ+ richteten, worunter vor allem queere Jugendliche zu leiden hätten. Da gebe es auch in Frankfurt (Oder) noch Nachholbedarf.
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