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Grenzschließungen in der PandemieSachsen und Bayern schotten sich ab

Die Grenzen zu Tschechien sind bereits dicht. Nun erklärt Sachsens Landeschef Kretschmer, auch über Ostern werde es Reiseverbote geben.

Polizisten kontrollieren Autofahrer am deutsch-tschechischen Grenzübergang Foto: Vojtìch Hájek/ dpa

Noch zum Jahreswechsel galt Sachsen selbst als eine der am schlimmsten vom Coronavirus betroffenen Regionen Europas. Bei über 400 Neu­infektionen pro 100.000 Einwohner lag die 7-Tage-Inzidenz in dem Freistaat ­zeitweise. Inzwischen hat sich die Lage etwas beruhigt, der Wert fiel am Sonntag auf 68 – und liegt damit nicht mehr weit vom Bundesdurchschnitt von 57. Nun schottet sich der Freistaat vor seinem südlichen Nachbarn ab.

Seit der Nacht zum Sonntag gelten an der Grenze zu Tschechien strengere Einreiseregeln. Aus Angst vor den dort verbreiteten ansteckenderen Virusvarianten wird an den Grenzen scharf kontrolliert. Nur noch Deutsche sowie Ausländer mit Wohnsitz und Aufenthaltserlaubnis in Deutschland dürfen einreisen. Ausnahmen gelten zudem für Ärzte, Kranken- und Altenpfleger sowie für Lastwagenfahrer und landwirtschaftliche Saisonkräfte. Sie müssen bei der Einreise alle einen aktuellen negativen Coronatest vorlegen. Andere Be­rufs­pend­le­r*in­nen werden an der Grenze nicht mehr durchge­lassen.

Verordnet hat dies das Bundesinnenministerium. Und diese Regeln gelten auch an den Grenzübergängen zwischen Bayern und Tirol in Österreich. Nicht zuletzt wegen der Kritik der deutschen Automobilwirtschaft, die im deutsch-tschechischen Grenzgebiet auf Pendler aus dem Nachbarland angewiesen ist und davor warnte, Fabriken schließen zu müssen, hat das Bundesinnenministerium wenige Stunden nach Inkrafttreten die Regelungen zwar wieder gelockert.

Berufspendler mit wichtigen Aufgaben in systemrelevanten Branchen dürften nun doch nach Deutschland einreisen, heißt es. „Wir gehen pragmatisch vor, wo immer das möglich ist“, betonte Minister Horst Seehofer (CSU). Die Autoindustrie befürchtet trotzdem, dass am Montag einige Werke stillstehen könnten.

„Wir haben eine extreme Bedrohung“

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) verteidigte die verschärften Grenzkontrollen. In der angrenzenden tschechischen Region Eger liege die Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen bei 1.100, sagte er. Bei einer solchen Inzidenz hätte man in Sachsen sehr klare Maßnahmen wie Ausgangssperren und die Schließung von Geschäften veranlasst, so Kretschmer. „Wenn das jetzt auf tschechischer Seite anders ist, dann müssen wir uns auch anders schützen.“

Man könne nicht zulassen, dass auf der einen Seite der Grenze Schulen und viele Geschäfte geschlossen seien, eine große Einschränkung des Lebens stattfinde und auf der anderen Seite die „Party“ beginne. Kretschmer warnte vor der britischen Virusmutante, die als sehr viel ansteckender gilt. „Wir haben eine extreme Bedrohung.“

Heftige Kritik für Einreiseregeln

EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides hat die verschärften deutschen Einreiseregeln heftig kritisiert. Die Furcht vor den Mutanten des Coronavirus sei verständlich, sagte die christdemokratische Politikerin aus Zypern der Augsburger Allgemeinen. Aber trotzdem müsse man sich der Tatsache stellen, dass sich das Virus nicht von geschlossenen Grenzen aufhalten lässt. „Ich halte es für falsch, dass wir wieder zu einem Europa mit geschlossenen Grenzen wie im März 2020 zurückkehren“, sagte die EU-Kommissarin.

Gegen die Mutanten würden nur konsequentes Impfen sowie die Einhaltung der Hygieneregeln helfen. Bundesinnenminister Seehofer hatte tags zuvor heftig gegen die Kritik aus Reihen der EU gewettert. „Jetzt reicht’s!“, sagte der CSU-Politiker nach Lockerungsforderungen aus Brüssel der Bild-Zeitung. Die EU habe bei der Impfstoffbeschaffung „genug Fehler gemacht“.

Sachsen will Kitas und Grundschulen öffnen

Während die Außengrenze zum Nachbarland Tschechien quasi dicht ist, will Sachsen als erstes Bundesland am Montag Kindertagesstätten und Grundschulen öffnen. Die Kinder sollen im Wechselunterricht in festen Gruppen und Klassen betreut werden. Sachsens Landeschef Kretschmer betonte, der Freistaat wolle „ganz behutsame vorsichtige Schritte“ der Öffnung gehen. Es gebe jedoch keinen Grund zur Entwarnung.

Für Reiseverkehr und Tourismus sieht Kretschmer in den nächsten Wochen hingegen keine Chance. In Sachsen blieben Gaststätten und Hotels auch über Ostern geschlossen, sagte er der Bild-Zeitung. „Osterurlaub in Deutschland kann es dieses Jahr leider nicht geben.“ Zu große Mobilität bereits im April sei Gift. „Wir würden alles zerstören, was wir seit Mitte Dezember erreicht haben.“

Unterstützung von Karl Lauterbach

Eine Rückkehr zur Normalität wie im Herbst führe dann auch zu einer Explosion der Infektionszahlen wie im November und Dezember, warnte er. Die Erfahrung der vergangenen Monate zeige, dass kleinste Veränderungen im Verhalten der Bevölkerung, beispielsweise eine höhere Mobilität und mehr Kontakte, sofort zum Steigen der Infek­tionszahlen führten, sagte der CDU-Politiker.

Unterstützung erhält der sächsische Ministerpräsident auch von SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach. „Wir müssen die Osterwochen nutzen, mit möglichst geringen Kontakten die noch immer drohende dritte Welle mit den gefährlichen Mutationen abzuwenden“, sagte er der Welt. „Ich wäre schon froh, wenn wir es ohne dritte Welle bis Ostern überhaupt schaffen“, sagte Lauterbach. „Sollte dies gelingen, darf der Erfolg nicht im Urlaub zerstört werden.“

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10 Kommentare

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  • Mit etwas Nachdenken ließen sich die Lkw-Staus an der tschechischen Grenze verkürzen.

    Es ist doch so:



    Die großen Speditionen befördern waren aus Tschechien nach Deutschland und fahren mit neuer Fracht wieder nach Tschechien rein.

    Warum kein Fahrerwechsel?



    Aus Tschechien kommend stehen Lkws der internationalen Speditionen A, B und C an der Grenze, aus Deutschland kommend ebenso: Spedition A, B und C.

    Die Disponenten jeder Spedition müssten dafür sorgen, dass ihre Fahrer am Grenzübergang die Lkw tauschen: Der aus Tschechien kommende Fahrer steigt in einen aus Deutschland kommenden Lkw seiner Spedition und fährt ihn an den tschechischen Zielort. Und sein aus Deutschland kommender Kollege setzt sich in dessen Lkw und lenkt ihn zum deutschen Kunden.

    Der Wechsel müsste doch nach einer schnellen Passkontrolle in kurzer Zeit möglich sein, ganz ohne Corona-Test.

  • Man kann auch Urlaub machen, wenn der ganze Mist vorbei ist. Das kann schon Ostern als frühester Termin sein, aber eben Ostern 2022.

  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    Endlich mal eine vernünftige Entscheidung.



    Auch die anderen Grenzregionen sind im Focus.

    • 0G
      02612 (Profil gelöscht)
      @17900 (Profil gelöscht):

      ... und wer bitte, soll die fehlenden Arbeitnehmer ersetzen ?

  • Vor einem Monat wurde noch in dieser Zeitung geschrieben das am Ausbruch in Sachsen die AFD Schuld ist. Jetzt sind es die europäischen Nachbern. Ich bin ja gespannt wer morgen Schuld ist.

    • 0G
      06438 (Profil gelöscht)
      @Kristina Ihle:

      ""Vor einem Monat wurde noch in dieser Zeitung geschrieben das am Ausbruch in Sachsen die AFD Schuld ist.""



      ==



      Wer ist denn noch im Oktober - November ohne Masken rumgelaufen (selbst im Bundestag) und hat sich nicht an die Regeln gehalten - und darüber hinais - um dem noch eins draufzusetzen - die Pandemie in einem hetzenden Ton verleugnet - und damit die eigenen Wähler in den Tod und langwierige Krankheit getrieben?

      Das hat sich wohl mittlerweile herumgesprochen - oder wie erklären sie sich das in vielen Bundesländer die afd Pre-Faschisten recht nahe an die 5% Hürde gerückt sind?

      Ansonsten:



      Die Inzidenz (pro 100.000) liegt bei 1.000 (?) in Tschechien- in Bayern mittlerweile bei unter 60 - mit Ausnahme bestimmter Kommunen an der tschechischen Grenze. Das einzige was hilft:

      Kontaktvermeidung - und Regeln einhalten. Siehe Australien, Taiwan, Vietnam und Island.

    • 4G
      4813 (Profil gelöscht)
      @Kristina Ihle:

      In Tschechien traut man dem Staat nicht, genau wie die AfD Anhänger.



      Dann hält man sich nicht an die Regeln und schon ist es passiert.

  • Die EU-Gesundheitskommissarin sollte nicht so offensichtlich falsche Aussagen treffen. Selbstverständlich sind geschlossene Grenzen nützlich, dass zeigen Australien/Neuseeland usw. Mir ist natürlich klar, dass man das nicht eins zu eins auf das dichtbesiedelte und miteinander verknüpfte Kontinentaleuropa anwenden kann.

    Aber die Ausbreitung der Mutation durch rechtzeitige Abschottung (am besten nur der betroffenen Regionen und nicht pauschal an den Grenzzäunen) zumindest zu verlangsamen ist auf jeden Fall sinnvoll. Jede Woche zählt, da täglich mehr Menschen geimpft werden.

    Wieso immer noch täglich Flüge aus UK, Brasilien und Südafrika in Deutschland/Europa landen dürfen, ist mir dagegen schleierhaft.

    • 0G
      06438 (Profil gelöscht)
      @gyakusou:

      ""Selbstverständlich sind geschlossene Grenzen nützlich""



      ==



      Kommt drauf an welche Grenzen sie meinen. Die um Tirol herum, die das Bundesland von den anderen Bundesländern Östereichs abgrenzt?

      Oder meinen die die Grenzen um den Bezirk Schmalkalden-Meiningen (245)



      oder um die kommunalen Grenzen der Prignitz oder um Uelzen herum herum? (119,1 und 200,9) ?

    • @gyakusou:

      Es könnte sein, dass sie auf eine baldige Wiederbelebung des Tourismus in Zypern hofft...