Grenzen des Wachstums: Vier Rote Linien sind überschritten
Nicht nur für das Klima ist die Ausbeutung des Planeten nicht mehr verträglich: Vier „planetare Grenzen“ haben die Menschen bereits übertreten.
BERLIN taz | Wer endloses Wachstum in einer endlichen Welt predige, sei „entweder verrückt oder ein Ökonom“, sagt der US-Ökonom Kenneth Boulding. Jetzt ist diese Ansicht auch wissenschaftlich untermauert: Vier von neun „planetaren Grenzen“ haben die Menschen durch ihre Eingriffe in die Natur bereits überschritten, bei anderen deuten die Trends in die gleiche Richtung. Das ist das Ergebnis der umfassenden Studie von 18 Wissenschaftlern, die gerade in der Fachzeitschrift Science erschienen ist. Sie wird auch beim am Mittwoch beginnenden World Economic Forum in Davos präsentiert.
Laut der Studie haben die Belastungen in den Bereichen Klimawandel, Artenvielfalt, Landnutzung und biogeochemische Kreisläufe inzwischen die „rote Linie“ überschritten. Wolfgang Lucht vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung, das an der Studie beteiligt war, warnt: „Es besteht die konkrete Gefahr, dass das System Erde in einen komplett anderen Zustand übergeht, als wir ihn aus der menschlichen Geschichte kennen.“
Untersucht haben die Autoren, wie sehr menschlicher Einfluss das physikalische und biologische System Erde ins Rutschen bringt. Neben dem Klimawandel bereitet den Forschern vor allem der rasante Schwund von Tier- und Pflanzenarten Sorgen: Die Verlustrate liegt etwa zehnmal höher, als akzeptabel ist.
Aber auch der globale Waldverlust ist hochriskant. Während weltweit 75 Prozent der ursprünglichen Waldfläche für eine sichere Entwicklung nötig wären, ist dessen Anteil nun auf 62 Prozent geschrumpft. Die Belastung durch Phosphor und Stickstoff (vor allem aus der industriellen Landwirtschaft) liegt jeweils etwa beim Doppelten dessen, was noch verträglich wäre.
Bei den anderen Kriterien sieht es nicht besser aus: Die Versauerung der Ozeane durch den Klimawandel steht kurz vor der kritischen Grenze, die Versorgung mit Süßwasser und die Belastung durch Staubpartikel in der Atemluft erreichen zwar global keine Alarmwerte, wohl aber regional: So ist laut Studie der Wasserverbrauch etwa im Mittelmeerraum oder im Westen der USA ebenso wenig nachhaltig wie der Dreck in der Atemluft über vielen asiatischen Städten.
Entwarnung beim Ozonloch
Und für Risiken durch „neuartige Einheiten“ wie Radioaktivität, genveränderte Organismen, chemische Substanzen oder die Nanotechnologie geben die Forscher mangels Bewertungsmethode erst gar keine Einschätzung ab. Nur beim Abbau des Ozons in der Stratosphäre („Ozonloch“) geben sie Entwarnung – das bislang einzige ökologische Sorgenkind, das durch einen effektiven internationalen Vertrag (das Montreal-Protokoll) reguliert wird.
Ort und Zeit der Publikation sind nicht zufällig gewählt: Wieder steht ein entscheidender Klimagipfel an, im September soll die UNO neue Entwicklungsziele (Sustainable Development Goals) beschließen, die von der Debatte über diese Grenzen geprägt sein sollen. Und gerade haben die UN-Staaten in Bonn einem globalen Biodiversitäts-Rat arbeitsfähig gemacht, der umfangreiche Studien über die Bedrohung der Artenvielfalt erstellen soll.
Den Experten für die „planetaren Grenzen“ ist wichtig, die Bedrohungen für das gesamte Erdsystem im Blick zu behalten – und auch die Wechselwirkungen zwischen den Sektoren: Klimawandel ist zum Beispiel eng mit Waldverlust und Artenschwund verbunden, Wasserverbrauch mit Landnutzung. Es bestehe das Risiko, „dass der menschliche Einfluss die Erde weniger lebensfreundlich macht“, sagt Will Steffen, Leitautor vom Stockholm Resilience Center. Der Kampf gegen Armut könne erschwert werden, „das Leben der Menschen sich in vielen Teilen der Welt verschlechtern – auch in den reichen Ländern“.
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