Graphic Novel „Der Ursprung der Liebe“: Schrei nach Glück

Was ist Liebe? Warum machen sich heterosexuelle Paare so oft gegenseitig das Leben zur Hölle? Darum geht's im Comic der Schwedin Liv Strömquist.

Ein Auszug aus einem Comic zeigt auf drei Bildern eine Frau mit Sprechblasen um sie herum

Auszug aus Liv Strömquists „Der Ursprung der Liebe“ Foto: avant verlag

Liest man die Comics der schwedischen Autorin Liv Strömquist, dann gibt es Momente, in denen man sich fragt, ob das, was man da zwischen den Händen hält, eigentlich noch ein Comic ist. Denn im Laufe ihrer Geschichten kommt es oft vor, dass die Panels bis zum Rand nur mit Buchstaben gefüllt sind.

Immerhin sind diese gemalt – entweder schwarz auf weiß, oder weiß auf schwarz. Manchmal sind sie so groß, dass ein Panel gerade mal Platz für drei Wörter hat. Als Leser*in fühlt es sich an, als würde man von einem Megafon angeschrien – oder als wäre man ein schwerhöriger Greis, der nur versteht, wenn jedes Wort laut, klar und überdeutlich formuliert wird.

Unangenehm ist das aber nicht. Liv Strömquists Versuch, durch diesen Kunstgriff ihre Leserschaft zu rütteln, schütteln und wachzumachen, wirken oft lustig und sogar sympathisch. Bei ihrem Thema, ob wir in Sachen Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern endlich mal vorankommen, sind wir Menschen sowieso eher schwer von Begriff (siehe #MeToo-Debatte). Es kann also nicht schaden, mal derart nachdrücklich an der Hand geführt zu werden. Und Strömquists Bücher sind nicht zuletzt auch sehr informativ.

In ihrem ersten ins Deutsche übersetzten Buch, „Der Ursprung der Welt“, stellte Liv Strömquist die Kulturgeschichte der weit verkannten Vulva vor. Bei der Gelegenheit erzählte sie von der Unterdrückung der weiblichen Sexualität und legte eindrucksvoll dar, wie diese von den absurdesten und umso hartnäckigeren Theorien aus Religion und Wissenschaft untermauert wird.

Zwei sich ergänzende Mängel

Ein weiteres Stück feministischer Aufklärung ist nun unter dem Titel „Der Ursprung der Liebe“ beim avant-verlag erschienen. Diesmal geht es um die Liebe an sich, und was das ist, beziehungsweise was man darunter versteht, wobei Strömquist insbesondere das Miteinander von heterosexuellen Paaren in der westlichen Welt unter die Lupe nimmt.

Zum 200. Geburtstag des großen Ökonomen, Denkrevolutionärs und Genussmenschen: Eine Sonderausgabe zu Karl Marx, mit 12 Seiten – in der taz am wochenende vom 5./6.Mai 2018. Außerdem: Vor einem Jahr zog "En Marche" ins französische Parlament ein. Die Partei wollte Bürger stärker an der repräsentativen Demokratie beteiligen. Haben die Partei und Emmanuel Macron ihr Versprechen erfüllt? Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

So herrschen in dieser Konstellation geschlechtsspezifisch unterschiedliche Ansichten über die Liebe und die jeweilige Erwartung an eine Beziehung. Strömquist spricht Klischees an, denen man zwar auch im Alltag begegnen kann, die aber vor allem in Fernseh-Serien gebetsmühlenartig durchdekliniert werden, wie sie pointiert hervorhebt.

Kurz gefasst: Männer können nicht allein leben, und sind doch darauf konditioniert, ihren Gefährtinnen durch den eigenen Egozentrismus das Leben schwer zu machen. Frauen wiederum lassen sich als Krankenschwester, Putzfrau oder Ersatzmutter missbrauchen – von Rüpeln, die sie nicht glücklich machen.

Von einem Paradox (Warum lebt der Mann nicht allein, wenn er doch stets auf seine Unabhängigkeit pocht?) zum nächsten (Warum bleibt die Frau, obwohl sie ständig gedemütigt wird?) angelt sich Strömquists Exposé bis zur bitteren Frage: Ist Liebe schlussendlich nur der pathetische Ausdruck von zwei sich ergänzenden Mängeln?

Moderne Märchengestalten

Mit flapsigem Humor und trügerisch naivem Strich legt sie die Mechanismen emotionaler Abhängigkeit frei und hinterfragt die Besitzansprüche der jeweiligen Partner*innen. Denn letztlich geht es um Macht – und Frauen sind in derartigen Konstellationen meist die Leidtragenden.

Die studierte Politikwissenschaftlerin lehnt sich mit dieser Sichtweise hauptsächlich an die Arbeiten US-amerikanischer Theoretiker*innen, wie etwa die Gendersoziologin Nancy Chodorow, den Soziologen Randall Collins oder die Psychoanalytikerin Lynne Layton.

Liv Strömquist: „Der Ursprung der Liebe“. Aus dem Schwedischen von Katharina Erben. avant-verlag, Berlin 2018. 136 Seiten, 20 Euro.

Um deren komplexen Thesen zu illustrieren, beschwört Strömquist archetypische Liebesgeschichten herauf und rekrutiert ihre Protagonist*innen ebenso aus der Mythologie wie der aktuellen Promiwelt. Fern und nah zugleich fungieren Prince Charles und Lady Di, Whitney Houston oder Britney Spears wunderbar als moderne Märchengestalten, die uns träumen und fürchten lassen – in guten wie in schlechten Zeiten.

Wenn auch eine gewisse Verzweiflung durch Liv Strömquists Werk sickert, entpuppt sich „Der Ursprung der Liebe“ doch als leidenschaftliches Plädoyer für ein bewusstes, von heteronormativen Schranken befreites Glück.

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