piwik no script img

Goldene Bettpfanne„Geredet wurde genug“

Die Gewerkschaft mobilisiert Pflegende für den Kampf um mehr Personal. Ver.di- Sekretär Jörn Bracker hat die Demo zur Gesundheitsministerkonferenz organisiert

Wurde von Gesundheitsminister Gröhe (CDU) abgelehnt: Die goldene Bettpfanne Foto: Simone Schnase
Simone Schnase
Interview von Simone Schnase

taz: Herr Bracker, Sie sind vorletzte Woche mit KollegInnen aus ganz Deutschland in Bremen auf die Straße gegangen – um was gings da?

Jörn Bracker: Um die Forderung nach mehr Personal. Seit einigen Monaten schon treiben wir die „Bewegung für mehr Personal im Krankenhaus“ voran. Das Saarland ist da schon sehr weit – die haben sehr viele KollegInnen gewonnen, die dann auch bei Ver.di eingetreten sind. Die „Erfinder“ sind die Berliner KollegInnen von der Charité: Die haben den Tarifvertrag zum Gesundheitsschutz quasi „erfunden“. Auch da ging es vor allem um Forderungen fester Personalschlüssel in den Kliniken.

Und was haben Sie erreicht?

Die Politik ist dort bereits bewegt worden, tätig zu werden. Und wir haben dann auch bundesweit angesetzt, für mehr Personal zu streiten. Es gab deutschlandweit die „Appelle für mehr Personal“, auch einen Bremer Appell, und anlässlich der Gesundheitsministerkonferenz in Bremen haben wir uns gedacht: Machen wir dort eine Demo und übergeben die Appelle an Herrn Gröhe. Das waren über 200.000 Unterschriften. Die haben wir in Kartons gepackt und wollten sie überreichen, zusammen mit der „goldenen Bettpfanne“ als Auszeichnung für Versäumnisse in der Altenpflege. Aber das ging leider nicht problemlos.

Was ist denn passiert?

Wir sind mit unseren Länderdelegierten zu dem Hotel, wo sich die MinisterInnen getroffen haben – und die Presse durfte nicht rein. Das fand ich unmöglich. Nicht einmal unser Fotograf durfte mit rein! Und die Bettpfanne wollte Herr Gröhe nicht haben. Da wurde ganz deutlich gesagt, wenn wir damit das Hotel betreten, wird es kein Treffen geben.

Und dann gab es die Demo „Rabbatz für gute Pflege“ …

Ja: Hauptthema war die Personalbesetzung im Krankenhaus und in der Altenpflege. Unsere Forderungen sind hier vor allem verbindliche Personalschlüssel. In Bremen wurde ja gerade erst mit der Novellierung des Wohn- und Betreuungsgesetzes beschlossen, dass in der Altenpflege eine Nachtwache für bis zu 50 PatientInnen ausreicht – da haben wir interveniert und deutlich gesagt, dass wir dieses Gesetz so für falsch halten.

Im Interview: Jörn Bracker

50, hat über 20 Jahre in der Assistenz für Menschen mit Behinderungen gearbeitet, war Betriebsratsvorsitzender bei der Assistenzgenossenschaft Bremen und ist seit 2015 Gewerkschaftssekretär bei Ver.di.

Allerdings erfolglos, oder?

Ja, es wurde leider nicht auf uns gehört. Die Politik hat kurz geschwankt, aber dann ist das Gesetz doch so verabschiedet worden, leider.

Wie erklären Sie sich das?

Während in Bremen das Einkommen in der Krankenpflege im Bundesvergleich gar nicht so schlecht ist, ist es in der Altenpflege umso schlechter. Die Krankenpflege wird über Kassenbeiträge refinanziert und in der Altenpflege kommt nur ein festgeschriebener Satz von der Pflegekasse – der Rest muss häufig von der Kommune aufgebracht werden. Dass da also eine Stadt wie Bremen besonders geizig ist, ist klar.

Wie ist das mit dem Personalschlüssel in der Krankenpflege geregelt?

In wenigen Bereichen, zum Beispiel in der Frühchenstation, gibt es verbindliche Pflegeschlüssel, ansonsten macht es im Prinzip jede Klinik, wie sie will. Und hier tun sich die privaten Konzerne wie Helios, Ameos und Co., die ja Gewinn machen wollen, besonders negativ hervor. Durch die Fallpauschalen gibt es eine gewisse Summe pro Krankheit, pro Behandlung – und davon haben die natürlich umso mehr, je weniger Personal sie dafür einsetzen.

Welche Folgen hat das?

Die KollegInnen merken schon seit Jahren, dass sie immer weniger werden und die Arbeit immer mehr. Das hat zur Folge, dass viele in Teilzeit flüchten, weil es gar nicht mehr geht und auch, dass viele angehende PflegerInnen direkt schon nach der Ausbildung den Beruf wechseln.

Was läuft denn in der Ausbildung schief?

Die Auszubildenden bekommen zu wenig Praxisanleitung. Ihre AnleiterInnen müssen dauernd irgendwo einspringen, die Auszubildenden werden nicht vernünftig angeleitet, sondern müssen ebenfalls in diese Bresche springen und „mal eben“ die normale Arbeit mitmachen. Das ist frustrierend und belastet extrem. Deswegen auch unsere Forderung nach einem Sofortprogramm.

Wie soll das aussehen?

Wir fordern, dass sofort nach der Bundestagswahl mindestens 20.000 Stellen bundesweit geschaffen werden. Unter dem Schlagwort „keine Nacht alleine“ muss die Nachtbesetzung erhöht werden: Jetzt ist es so, dass ein Kollege für eine riesige Station allein verantwortlich ist – da muss ständig eine Risikoabwägung stattfinden, die für Patienten gefährlich ist und für die Pflegenden eine enorme psychische Belastung darstellt. Und wir fordern, dass von den 20.000 Stellen mindestens 1.000 für eine vernünftige Praxisanleitung bereitgestellt werden.

Stimmt es, dass sich Pflegende sogar freiwillig über Leiharbeitsfirmen anstellen lassen?

Ja. Leiharbeit bedeutet nicht in jedem Sektor schlechtere Bedingungen – und in der Krankenpflege kann man teilweise genauso gut für Leiharbeitsfirmen arbeiten. Die Bezahlung ist nicht schlechter und die Pflegenden können teilweise zu ihren Bedingungen arbeiten.

Aber Leiharbeit ist doch teuer für die Krankenhäuser, oder?

Ja, für sie sind Leiharbeiter die schlechteste Lösung, weil sie viel mehr Geld kosten als festangestellte KollegInnen. Es will ja immer noch jemand mitverdienen.

Warum sind angesichts dieser Zustände am 21. Juni nur ungefähr 300 KollegInnen auf die Straße gegangen?

Der Organisationsgrad unter den Pflegenden steigt zwar in den letzten Monaten, ist aber immer noch nicht sehr hoch. Viele sagen, dass Ver.di „was tun muss“, aber dass sie selbst die Gewerkschaft sind, wird zu wenig wahrgenommen. Das ist schon etwas anders als zum Beispiel bei Metallarbeitern.

Wo liegt der Unterschied?

Gewerkschaften wie die IG Metall haben viele Mitglieder, weil die Leute wissen, dass die Stärke von den Mitgliedern abhängt. Im sozialen Bereich und im Pflegebereich wird außerdem noch immer die Sozialpartnerschaft hochgehalten, da scheut man die richtigen Arbeitskämpfe. Und dann hat das natürlich auch mit der Arbeit an sich zu tun: Man kann ein Werk so bestreiken, dass wirklich alle Bänder stillstehen. In einem Krankenhaus oder Altenheim geht das nicht so einfach.

Hat die schwache Mobilisierung in Bremen nicht auch mit der Existenz der Arbeitnehmerkammer zu tun?

Nein. Bestes Beispiel ist das Saarland, wo es ebenfalls eine Arbeitnehmerkammer gibt und die Pflegenden trotzdem immer mehr in die Gewerkschaft eintreten. Ein großer Teil der Bremer KollegInnen pendelt ja auch aus Niedersachsen ein: Die sind nicht in der Kammer – aber auch keine Ver.di-Mitglieder.

Die Arbeitnehmerkammer ist also keine Konkurrenz?

Nein, sie macht sehr gute politische Lobby-Arbeit für Arbeitnehmer. Und die wissen wiederum genau, dass die Kammer kein Gewerkschafts-Ersatz ist, weil sie keine Tarifverhandlungen führen darf.

Und wie stehen Sie zur Forderung vieler Pflegenden nach einer Pflegekammer?

Das ist eine Reaktion auf diesen diffusen Eindruck, dass Ver.di ja nichts tut. „Also gründen wir eine Pflegekammer, dann sind wir selbst verwaltet“, wird dann gesagt. Dabei wird aber übersehen, dass Selbstverwaltung und Selbstbestimmung zwei völlig unterschiedliche Dinge sind. In der Pflege läuft es nicht deswegen schlecht, weil wir schlecht verwaltet werden, sondern weil zum Beispiel Gesetze nicht so sind, wie wir uns das vorstellen! Eine Pflegekammer ist nicht mehr als ein Verwaltungs- und Überwachungsorgan.

Trotzdem hat sich ein großer Pflegekammer-Befürworter, nämlich der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBFK), Ihrer Demo angeschlossen – das ist doch erfreulich, oder?

Theoretisch ja. In der Praxis allerdings haben sich ein paar Leute vom DBFK mit blauen Klamotten und Transparenten hinzugesellt für „Mehr Mitspracherechte für Pflegende“ – und im Nachhinein veröffentlicht, dies sei das Motto der Aktion gewesen, die überdies „gemeinsam mit Ver.di“ stattgefunden habe. Fakt ist: Der DBFK hat diese Aktion nicht mit uns geplant – und das Motto war ebenfalls ein anderes. Geredet wurde genug, wir fordern endlich Taten, ganz konkret: Mehr Personal und gesetzliche Vorgaben für Personalbemessung!

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Leider ist es in der Realität so, daß die meisten Kollegen einfach komplett ausgebrannt sind und gar keine Energie und Motivation mehr aufbringen, sich zu wehren.

    Ich arbeite seit 33 Jahren in der Pflege und muss leider immer wieder feststellen, wie masochistisch viele Kollegen veranlagt sind.

     

    Da wird ständig "Ja" gesagt auf die Frage nach Zusatzarbeit, gleichzeitig aber über die schlechten Bedingungen gemeckert.

     

    Mittlerweile bin ich an einem Punkt angelangt, wo es mir egal ist. ich für meinen Teil mache nur "Dienst nach Vorschrift", springe max. 1-2x/Monat ein, mein Telefon steht dauerhaft auf lautlos. Einzige Motivation: in 10 Jahren in Rente gehen!

     

    Sehr oft wurden schon Initiativen gestartet, die Leute zu bewegen, aber da kommt nichts. Irgendwann hatte ich dann auch keine Lust mehr dazu.

     

    Wer sich unbedingt kaputt machen will - bitteschön! Ich höre mir dann aber das Gejammer nicht mehr an und sage das den Leuten auch.