Glyphosat-Ausstieg im Bundeskabinett: Der Bund lässt es brummen
Das Kabinett einigt sich im Kampf gegen Insektensterben auf einen Ausstieg aus Pestizid Glyphosat. Der Haken: Bis dahin dauert es noch etwas.
Lang hat die Regierung darüber gestritten, vor allem Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) und ihre Kollegin aus dem Agrarressort, CDU-Ministerin Julia Klöckner, kamen nicht überein. Am Ende steht dieser Deal: Die Regierung legt ein Verbot des umstrittenen Unkrautvernichters Glyphosat fest, der in Verdacht steht, Insekten sterben zu lassen, auch Krebs zu erregen. Wortwörtlich heißt es: „Verbindliche Beendigung der Anwendung von glyphosathaltigen Pflanzenschutzmitteln zum Stichtag 31. Dezember 2023“.
Bereits vorher soll Glyphosat aber schon nicht mehr in Kleingärten, Weihnachtsbaumkulturen, öffentlichen Parks versprüht werden dürfen. Auch Bauern sollen es nicht mehr für die Stoppel-, Vorsaat- oder Vorerntebehandlung nutzen können. Festgelegt werden soll das, sagte Schulze, „so schnell wie möglich“ in einer Pflanzenschutzanwendungsverordnung.
Schulze hatte ursprünglich auf ein Glyphosat-Aus bis 2021 gedrängt. Das verstoße aber „eindeutig gegen Europarecht“, sagte sie. Der Alleingang des einstigen Landwirtschaftsministers Christian Schmidt habe noch immer Folgen. Er stimmte 2017 in Brüssel – an Schulzes Vorgängerin vorbei – einer Zulassung von Glyphosat in Europa bis Ende 2022 zu und machte sie damit erst möglich. Aber 2023 sei wirklich Schluss, versicherte Klöckner am Mittwoch. Das Mittel sei „politisch gesehen ein totes Pferd.“ Aber es geht nicht nur um Glyphosat.
Besonders geschützte Gebiete vorgesehen
Seit das Mittel in der vorherigen schwarz-roten Koalition zum Politikum wurde, steht grundsätzlich in Frage, wie Ackerchemikalien Bienen, Käfer, die Artenvielfalt insgesamt gefährden. Zumal in die Debatte die Krefelder Insektenforscher platzten, die ein enormes Ausmaß des Sterbens dokumentierten.
So will die Regierung den Umgang mit Ackergiften insgesamt ändern: Ab 2021 soll in Naturschutzgebieten und zahlreichen anderen Schutzgebieten, in denen bisher Insektengifte und Unkrautbekämpfungsmittel erlaubt waren, diese verboten werden. Obendrein sollen die Bundesländer für den Insektenschutz besonders wichtige Vogelschutzgebiete festlegen können, in denen die gleichen Regeln gelten. Da sich auf artenreichem Grünland oder in Streuobstwiesen gerne Insekten tummeln, sollen diese außerdem in die Liste der gesetzlich geschützten Biotope aufgenommen werden.
Den Landwirten passt das nicht. Bauernverbands-Präsident Joachim Rukwied erklärte, es sei „im Grundsatz eine agrarpolitische Fehlentscheidung“, wenn über das geltende Fachrecht hinaus Auflagen die Landwirtschaft belasteten und in ihrer Wettbewerbsfähigkeit deutlich schwächten. Der Beschluss sei „toxisch“ für die Branche.
„Wir verlangen der Landwirtschaft einiges ab“, meinte auch Klöckner. Zugestimmt hat sie dem Aktionsprogramm dennoch. Sie kämpft seit langem für ein staatliches Tierwohllabel. Allerdings sollen die Landwirte nicht verpflichtet werden, es zu nutzen, es sei nur ein „Angebot“, so Klöckner. Es gehe auch wegen Europarecht nichts anders, erklärte sie.
Das sehen unter anderem Umweltschützer anders. Schulze, sagte, sie habe selbst lieber mehr Verbindlichkeit gewollt, schwenkte aber auf Klöckners Argumentation ein. Das Logo soll es zunächst fürs Schwein, später auch für andere Tierarten geben. Kriterien dafür hatte Klöckner unlängst vorgestellt. Noch müssen sie aber in einer Verordnung festgelegt werden. Dafür hat sich das Bundesumweltministerium ein Vetorecht erstritten.
Agrarsubventionen neu verteilen
Bleibt der letzte Teil des Pakets: In die Ökologisierung der Landwirtschaft soll etwas mehr Geld fließen. Dafür soll ein Teil der milliardenschweren EU-Agrarsubventionen umgetopft werden. Die deutschen Bauern bekommen insgesamt jedes Jahr rund 6,2 Milliarden Euro aus Brüssel. Den größten Batzen erhalten sie aus der sogenannten ersten Säule als Direktzahlungen. Das Hauptkriterium dafür ist die Flächengröße. Große Betriebe profitieren so besonders. Bei der zweiten Säule ist das Geld an Maßnahmen etwa zu Umweltschutz, lokaler Entwicklung oder Tierschutz gebunden.
Die EU-Mitgliedstaaten können bis zu 15 Prozent der Subventionen von der ersten Säule in die zweite Säule umschichten. Deutschland macht das derzeit bei 4,5 Prozent, 2020 sollen es 6 Prozent sein – und damit 75 Millionen Euro mehr für Naturschutzmaßnahmen. Viel zu wenig – monierten Umweltverbände wie der Nabu oder Greenpeace.
Vor allem aber müssen die notwendigen Gesetze und Verordnungen, um das Paket umzusetzen, nun durch das Parlament. Und die Vizevorsitzende der Unionsfraktion, Gitta Connemann, erklärte schon zum Aktionsprogramm Insektenschutz: „Der sehr starke Fingerzeig auf die Landwirtschaft wird ihren Leistungen nicht gerecht.“ Der SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch meinte, es werde kein Tierwohllabel geben, wenn es nicht verpflichtend sei. Die SPD mache die „ausschließlich auf Freiwilligkeit basierende Hochglanzpolitik“ Klöckners nicht mit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag