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Globaler KlimastreikRegieren und blockieren

Die Klimafrage ist ohne die soziale Frage nicht zu lösen. Geht das mit der Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP? Unser Autor bezweifelt das.

Fridays for Future Proteste in München am 15. Oktober Foto: Aaron Karasek/imago

Weniger als einen Monat nach dem Streik mit 100.000 Leuten in Berlin, findet am Freitag, 22. Oktober, wieder ein globaler Klimastreik von Fridays for Future statt. Wieder mit dabei: Ini­tiativen wie „Deutsche Wohnen & Co enteignen“, NGOs, radikalere Bewegungen wie Ende Gelände und Jugendantifas. Es soll der Auftakt zu Aktionstagen bezüglich der Koalitionsverhandlungen werden.

Unter dem Motto „Gerechtigkeit jetzt“ sind für die nächsten Tage Blockaden und Besetzungen in Berlin angekündigt. Den Abschluss bildet am Sonntag die „Solidarisch geht anders“-Demo. Doch wie groß ist die Auswirkung dieses Protests auf die Verhandlungen der Ampelkoalitionäre denn nun wirklich?

Die Chance, dass wieder 100.000 Menschen auf die Straße gehen werden, ist gering. Trotzdem ist eine Sache bemerkenswert: Das Motto der Aktionstage ist ein anderes als bei vorherigen Klimaaktionen. Während es bis jetzt vor allem um Klimaschutz und CO2-Preise ging, liegt der Fokus diesmal auf Gerechtigkeit. Die Angst, dass beim Thema Klimaschutz die so­ziale Frage hinten herunterfällt, wächst in der Bevölkerung. Wer zahlt den CO2-Preis? Wie wird gerade in urbanen Gegenden energetische Sanierung finanziert?

Unlängst hat selbst ein FFF-Sprecher eine Reichensteuer gefordert. Die wird es aber mit der FDP in der Koalition keinesfalls geben. Und auch die Sozialdemokraten werden eher als neue CDU denn als SPD regieren. Der Ex-SPD Abgeordnete Marco Bülow sagte in einem Interview über Olaf Scholz: „[Der] ist super mit Merkel. Gäbe es nicht dieses Lagerdenken, es würde gar nicht mehr auffallen, dass das noch zwei Parteien sind.“

Drei Aktionstage am Wochenende

Und die Grünen? Die müssen Klimaschutz jetzt spürbar machen. Das bedeutet: Schluss mit dem Fördern fossiler Energien, eine umfassende Verkehrswende, weg von der konventionellen Landwirtschaft. Und das alles so schnell, wie es nur geht.

Die drei Aktionstage am Wochenende könnten den linken Flügeln der SPD und Grünen den Rücken stärken. Zum Beispiel bei internen Debatten zur Priorisierung einzelner Forderungen in den Koalitionsverhandlungen. Aber mehr vermutlich auch nicht.

Richtet man den Blick nun in die unmittelbare Zukunft, 600 Kilometer südwestlich der Hauptstadt, so hat ein Ort mit nur einem Einwohner das Potenzial, die ganze Regierungsbildung zu sprengen. Der Bauer Eckhardt Heukamp in Lützerath bei Erkelenz. Eckhardt ist der letzte Bewohner eines Dorfes, das in den vergangenen Jahren aufgekauft und umgesiedelt wurde. Ab 1. November soll es vollständig abgerissen werden. Von diesem Tag an kann der Hof des Bauern durch RWE enteignet und zwangsgeräumt werden.

Eckhardt Heukamp aus Lütherath ist eine Ikone geworden

Mittlerweile ist Heukamp wegen seiner Standhaftigkeit zu einer Ikone geworden. Unlängst bekam er Besuch von den beiden Klimaaktivistinnen Luisa Neubauer und Greta Thunberg. Die Klimabewegung hat den Abriss des Dorfes als ein Überschreiten der 1,5-Grad-Grenze ausgerufen.

Gerade für die Grünen bedeuten die nächste Zeit in der Regierungsverantwortung vor allem eines: Probleme, Probleme, Probleme. So müssen sie den Kohleausstieg neu verhandeln, da ist von Wollen keine Frage mehr. Aber schaffen sie es auch, weitere Dörfer, so wie Lützerath, vor dem Abbaggern zu bewahren? Dürfte schwierig werden. Wie wollen sie die Wirtschaft gemeinwohlorientiert und sozialverträglich gestalten? Mit der FDP ist das eher unmöglich. Aber genau an solchen Schnittmengen wird sich die neue Koalition messen lassen müssen.

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6 Kommentare

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  • Sollte RWE abbrechen können aufgrund einer Enteignung, sollte einer Enteignung von Mietwohnungen auch nichts mehr im Wege stehen. Andernfalls sind die verantwortlichen Politiker zu 100% Industrie- und Investmentfreundlich und vertreten in keinem Punkt die Bürger diese Landes.



    Damit kommen Sie ihrem Wahlauftrag nicht nach, und können einem Koalitionsvertrag nicht zustimmen.



    Tun sie es trotzdem sind sie nicht mehr glaubwürdig. Das wäre dann das Ende unserer demokratischen Verfassung.

    Der 01.110.2021 ist der Kipp-Punkt der Regierungspolitik.in unserem Land.

  • SPD, Grüne und FDP sind, denke ich, gut beraten die FFF-Bewegung ernster zu nehmen.

    Momentan sehe ich schwarz für Mutter Erde und die unteren gesellschaftlichen/Einkommens- schichten bis hin zum für die Gesellschaft so wichtigen Mittelstand, wenn ich mir den Stand der Ampelverhandlungen anschaue.

    Es ist viel zu viel Oberschichtenpolitik die bisher dort im Ampel-Koalitionen-Papier steht.

    Die Politikdarsteller mit ihrem Script aus der Finanzindustrie propagieren immer noch das völlig unsinnige "Wachstum Wachstum Mantra" und kommen vom völlig perversen Schuldgelddenken nicht los, erlauben sich nicht neu, gemeinwohlorientiert und frisch zu denken.

    Das machen in meinen Augen nur die frischen Fridays for Future Kids und die Scientists for Future:

    de.scientists4future.org/

    Wollen wir unseren Kindern 2025 wirklich sagen: "Sorry, das der Planet den Bach runter geht, wir konnten leider keine enkeltauglichen Entscheidungen treffen, die Rendite mußte ja schließlich stimmen" ?

  • 0G
    05867 (Profil gelöscht)

    Wenn die Grünen keinen wirkungsvollen Klimaschutz vereinbaren wollen oder können, müssen sie die Verhandlungen abbrechen.

    • 8G
      86548 (Profil gelöscht)
      @05867 (Profil gelöscht):

      ironie?

    • @05867 (Profil gelöscht):

      Denn dadurch würde es ja ganz sicher zu wirkungsvollem Klimaschutz kommen. Ja, ist klar. Das nennt man lindnern: "Besser gar nicht regieren als falsch regieren."

      • 3G
        34936 (Profil gelöscht)
        @Adam Weishaupt:

        lindnern

        Das Wortspiel muss ich mir merken.

        Als Anfang der 80er die FDP unter Genscher die sozialliberale Koalition auflöste und zur Union wechselte, da gab es einen Sticker mit der Aufschrift:

        Don't genscher me.



        Verarsch mich nicht!