Gleichstellungsbeauftragter der Uni Leipzig: „Frauen sollen sichtbarer sein“
Die Uni Leipzig schreibt in ihrer Verfassung Funktionen nur noch in weiblicher Form. Das ist „eher Pragmatismus als Ideologie“ geschuldet.
Herr Teichert, muss man in Leipzig demnächst „Herr Professorin“ sagen?
Georg Teichert: Nein, nur unsere Grundordnung, also die Verfassung der Uni, ist im reinen generischen Femininum geschrieben. Das ist eine einmalige Sache, die den Alltag überhaupt nicht berührt.
Wie sind Sie auf die Idee gekommen?
Es gab eine Debatte, ob man in die Neufassung der Grundordnung wieder Professor/Professorin schreibt. Die eher konservativen Kollegen aus der juristischen Fakultät fanden, das sei unlesbar. Man solle doch wieder zum generischen Maskulinum zurückkehren.
Aber bei 60 Prozent Studentinnen plötzlich wieder die männliche Form zu nehmen, das wollten viele nicht mitmachen. Der Physiker Professor Käs war genervt von der Debatte und hat den nicht ganz ernst gemeinten Antrag eingebracht, dann nur noch die weibliche Form zu verwenden. Der hat dann eine Mehrheit gefunden.
27, ist seit 2010 Gleichstellungsbeauftragter der Universität Leipzig. Er studiert Mittlere und Neuere Geschichte sowie Religionswissenschaften.
Wie kam das?
Es waren nicht so viele Menschen anwesend bei dieser Sitzung. Normalerweise sitzen da 60 Männer und 20 Frauen. Aber das Erstaunlichste war, dass in zwei Folgesitzungen jeweils beantragt wurde, diesen Beschluss rückgängig zu machen, und das wurde abgelehnt. Wir wollen ja Frauen immer sichtbarer machen, das war eines der Argumente.
Braucht die Gleichstellung solche Symbolpolitik?
Wie wir den Reaktionen entnehmen, ist dieser bloße symbolische Akt eine riesige Provokation, offenbar sprechen wir da etwas an. Der Hintergrund ist auch ernst: Wir haben ein enormes Defizit an Frauen an der Uni Leipzig, wir müssen viel nachholen. Das zeigt die Reaktion auf diese winzige lapidare Änderung.
Man wirft Ihnen Ideologie vor.
Diese Entscheidung ist absolut pragmatisch in einem Gremium gefallen, es gab keine ideologischen Debatten. Man wollte schlicht das Thema vom Tisch haben. Und in den Folgesitzungen hatten dann viele keine Lust mehr, es noch mal zu debattieren. Es war also eher Pragmatismus als Ideologie.
Nun wird die Uni mit psychiatrischen Diagnosen bedacht: ideologischer Irrsinn, die Uni als psychiatrische Tagesklinik, Obsession …
Ja, da lesen viele nicht, worum es überhaupt geht, sie lesen nur „Herr Professorin“ und dann geht’s los. Aber wir haben auch Zustimmung, die Studierenden zum Beispiel finden es ganz interessant.
Es gibt eine Facebook-Seite, die die Abberufung ihrer Rektorin zum Ziel hat.
Ja, „die sieht ja eh aus wie ein Transsexueller“, steht da zum Beispiel. Wenn Sie gucken, wem das gefällt, dann kommen da die Junge Union, der Ring Christlich-Demokratischer Studenten, die Campus-Union, in dem Spektrum bewegt sich das.
Nun sind Sie persönlich ein einmaliger Fall: ein männlicher Gleichstellungsbeauftragter. Hätten Sie als Männervertreter diesen Streich nicht verhindern müssen?
Dazu haben mich sehr viele aufgefordert. Aber ich bin kein Männerbeauftragter und auch kein Frauenbeauftragter. Ich bin Gleichstellungsbeauftragter. Und ich sehe wirklich nicht, dass die Männer hier an der Uni gefördert werden müssen. Bei den Frauen haben wir so ein riesiges Defizit.
Und, ehrlich gesagt, wenn jemand sich in seiner Männlichkeit beschnitten sieht, nur weil das Wort „Professorinnen“ in der Grundordnung steht, dann hat der ganz andere Probleme als das generische Femininum. Ich fühle mich doch nicht mehr oder weniger männlich, wenn man mich „Die Gleichstellungsbeauftragte“ nennt oder mich mit „Guten Tag, Frau Teichert“ anspricht.
Wieso sind Sie Gleichstellungsbeauftragter geworden?
Ich habe Hochschulpolitik gemacht und die Diskriminierungen etwa in Berufungsverfahren miterlebt. Und die Gendertheoretikerinnen fanden mich als eher praktisch denkenden Mann ganz gut geeignet. Und ich irritiere die Männer, wenn ich etwa für die Frauenquote bin; das kann auch nicht schaden. Im Bereich Jura lehrt zum Beispiel nur eine einzige Professorin. Da ist noch viel zu tun.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Absagen vor Kunstsymposium
Logiken der Vermeidung