Gläserne Metzgerei: „Es gibt keine versteckten Ecken“
Jörg Förstera zerlegt in seiner neuen Metzgerei hinter einer Glasscheibe Tiere. Ein Gespräch über die Liebe zum Fleisch, Transparenz und die Hygienebürokratie.
taz.am wochenende: Herr Förstera, eine Metzgerei neu aufzumachen, ist das nicht ein Himmelfahrtskommando?
Jörg Förstera: Einige sagen: Das ist verrückt. Wir sagen: Es ist nötig. Und ich hoffe, dass sich einige Kollegen anstecken lassen.
Es ist völlig gegen den Trend. Seit Jahren verschwinden die Metzgereien. Kunden haben oftmals gar keine andere Möglichkeit, als Fleisch im Supermarkt zu kaufen. Woran liegt das?
In vielen Betrieben herrscht eine miese Grundstimmung. Die Kunden wollen es möglichst billig, Nachwuchs findet man auch keinen, es wird jedes Jahr schlechter. Das prägt. Da stellt sich schnell die Sinnfrage. Und vielen fehlt der Mut, radikal neu anzufangen.
So wie Sie es nun machen. Was ist das Konzept?
Volle Transparenz vom Bauern bis zum Endkunden. Wir wissen genau, woher das Fleisch stammt. Wir verarbeiten das ganze Tier und kaufen es deswegen auch als Ganzes ein. Und wir legen alles offen. Wir arbeiten hinter Glas. Man kann zuschauen, wie wir Fleisch zerlegen, Koteletts schneiden und wursten. Es gibt keine versteckten Ecken wie in vielen anderen Betrieben.
Aber wenn man den Kunden so nah heranlässt, gibt es da kein Problem mit der Hygiene?
Wir haben von Anfang an die Lebensmittelkontrolleure mit in die Planungen einbezogen. Die sehen da kein Problem. Sie haben auch verstanden, was uns wichtig ist: Weil wir hinter Glas arbeiten, werden wir ständig vom Kunden kontrolliert.
Die Anforderungen für die Lebensmittelsicherheit sind inzwischen extrem hoch und kosten auch einiges. Es gibt Metzger, die sagen, das erschwere das Geschäft.
Ich habe daran nichts zu kritisieren. Sie sind notwendig. Wir arbeiten schließlich mit leicht verderblicher Ware. Die Kühlkette muss eingehalten werden, zusätzlich müssen wir die Rückverfolgbarkeit sichern und ständig dokumentieren. Das ist Aufwand. Für jedes Kilo Wurst hat man fünf Minuten Büroarbeit. Selbst wenn die Kantine hier in der Markthalle ein Stück Fleisch bestellt – Luftlinie 20 Meter –, muss ich eine Warenausgangskontrolle nachweisen und der Koch dort eine Wareneingangskontrolle dokumentieren. Da ließe sich aus meiner Sicht die Bürokratie schon etwas vereinfachen.
27, Fleischermeister. Letztes Jahr hat er mit Hendrik Haase die Metzgerei „Kumpel & Keule“ in der Berliner Markthalle Neun gegründet. Davor leitete er die Fleischabteilung im KaDeWe. Er macht noch Hausschlachtungen in seiner Heimat, dem Spreewald.
Der Kunde als Kontrolleur – dafür braucht man kritische Kunden.
Wir haben als gläserne Metzgerei auch eine Botschafterfunktion. Ich mache hier vieles, was sonst kaum noch gemacht wird. Da gibt es immer Fragen. Letztens beim Weißwurstmachen glaubte eine Kundin, wir geben Abfall in den Fleischwolf. Das war abgekochte Kalbskopfhaut. Ich habe ihr erklärt, dass das die traditionelle Zutat für eine Münchner Weißwurst ist. Die Gelatine im Kalbskopf unterbricht die Proteinbindung, sodass die Wurst weich bleibt und man sie zuzeln kann. Andere Metzger geben eher so viel Wasser dazu, dass gar keine Bindung entsteht. Dann hat man Schwamm im Darm. Den Unterschied schmeckt man.
Wie ist das, ständig unter Beobachtung zu stehen? Fühlt man sich wie ein Tier im Zoo?
Ich finde es viel angenehmer. Als Metzger steht man normalerweise 95 Prozent der Arbeitszeit vor weißen Fliesen. Da wird man mit der Zeit zum Einsiedler. Hinter Glas zu arbeiten, vertreibt die Eintönigkeit und macht die Arbeit vielseitiger. Man führt einen ständigen Dialog mit dem Kunden. Sonst unterhält man sich eher mit Kollegen, dann geht es ums letzte Wochenende. Aber wenn der Kunde hier mit seinen Fragen ans Fensterchen klopft, dann geht es um die Wurst – oder um das Fleisch. Das finde ich interessanter.
Gibt es Eltern, die ihren Kindern die Augen zuhalten, wenn da ein halbes Schwein liegt?
Ganz im Gegenteil, die holen eher Bänke, damit die Kinder besser sehen können. In Zeiten von Bifi und Bärchenwurst wollen viele ihren Kindern zeigen, wo das herkommt. Nein, wir erleben freundliche Neugier – ohne Ausnahme.
So eine Metzgerei, war das Ihr Traum?
Absolut.
In einem Wald im Rheinland kämpfen RWE-Mitarbeiter und Baumbesetzer um die Energiewende – mit Schlagstöcken und Reizgas. Die Reportage aus dem Hambacher Forst lesen Sie in der taz.am wochenende vom 6./7. Februar. Außerdem: Was, wenn Putzen ein Kampf ist? Unser Autor hat fremde Menschen in seine Wohnung gebeten. Und: Dominic Musa Schmitz kiffte, feierte, hatte Sex. Mit 17 konvertierte er zum Islam – und ging in die salafistische Szene. Nach sechs Jahren stieg er aus. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Wie sind Sie eigentlich zu dem Beruf gekommen?
Durch ein Praktikum. Ich war ein miserabler Schüler und hatte in der neunten Klasse eigentlich nur Sechser. Nach einem Schulpraktikum in einer Metzgerei hab ich einen Ausbildungsplatz angeboten bekommen. Ich wusste, die Gelegenheit bekomme ich nicht noch einmal. Ich habe die Schule abgebrochen und bin in die Lehre gegangen.
Und haben Sie gleich die Liebe zum Fleisch entdeckt?
Na ja, ich hatte es nicht so mit Regeln. Im ersten Lehrjahr habe ich fast jeden Tag versucht zu verschlafen. Ging aber nicht, weil ich einen wirklich tollen Lehrmeister hatte. Der stand um halb vier mit dem Auto vorm Fenster und hupte.
Sie sind erst 27 Jahre alt, aber schon seit einiger Zeit Ausbilder an der Innung.
In den Monaten danach, im 2. Lehrjahr hat mir die Arbeit angefangen Spaß zu machen. Ich habe deshalb meine Lehre verkürzen können und war mit 19 Fleischermeister. Später kam noch die Fachoberschulreife und das Abitur dazu. Das war mir wichtig. Die Lehrer an der Hauptschule hatten mich damals ja eigentlich abgeschrieben.
Wie kommt man dann auf die Idee, so eine Metzgerei zu gründen?
Weil ich das in der Theorie schon mehrmals mit Meisterkursen gemacht habe. Und gemerkt habe, dass ich vom Erzählen allein nicht glücklich werde. Mir hat schon während meiner eigenen Ausbildung gestunken, dass alle erzählen, wie es funktioniert, es selbst aber noch nie ausprobiert haben. Ich merke heute, die „Kumpel & Keule“ ist der Lohn für das, was ich die letzten zehn Jahre gemacht habe.
Welches Fleisch essen Sie am liebsten?
Alles hat seinen Wert. Egal, welcher Teil eines Lebewesens – man sollte nichts als minderwertig betrachten. Und man kann aus allem tolle Gerichte machen. Und ich finde, muss man auch. Mir ist ein gebackener Markknochen oft lieber als Filet.
Sehen das die Kunden auch so? Verlangen die nicht nur nach Steak und Filet?
Nicht nur. Unter unseren ersten Kunden war ein Ehepaar, das einen halben Schweinskopf mit Fettbacke wollte. Bei den anderen Metzgereien waren sie weggeschickt worden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation