Gitarrist über Punkmusik: „Wir sind keine Zeitverschwender“

Yo La Tengo veröffentlicht ihr neues Album „This Stupid World“. Gitarrist Ira Kaplan über Entmutigung, Freundschaft – und Abschweifungen.

Schlagzeugerin Georgia Hubley, Bassist James McNew und Gitarrist Ira Kaplan in einem Raum, voll mit alten Stereo-Receivern

Zeit ist ein relativer Begriff: Georgia Hubley, James McNew und Ira Kaplan (von links) Foto: Cheryl Dunn

taz: „This Stupid World“ ist das erste Album, das Ihre Band ohne fremde Hilfe aufgenommen habt. Ist das etwa eine Unabhängigkeitserklärung?

Ira Kaplan: Es war nicht unser Ziel, die Musik ganz alleine aufzunehmen. Anfangs sind wir unausgesprochen davon ausgegangen, dass jemand das Abmischen übernehmen wird, wie bei allen Aufnahmen davor. Aber während wir daran arbeiteten, merkten wir, dass wir alle drei zufrieden mit unserer gemeinsamen Arbeit waren. So sehr, dass wir beschlossen: Lasst uns so weitermachen, bis zum Schluss. Musik in einem Studio aufzunehmen, ist großartig und gleichzeitig komplex. Man gibt für eine Weile seinen Alltagstrott auf, fährt an einen anderen Ort und beschäftigt sich dort rein mit Musik. So ein Einschnitt ist für uns zuletzt immer schwieriger geworden. Und wir haben gemerkt, dass wir ein neues Album auch aufnehmen können, in dem wir einige Stunden am Tag zusammen im Proberaum sind. Es war also weniger ein Schritt Richtung Unabhängigkeit als der Beweis, dass wir offenbar längst unabhängig sind.

War das befreiend oder fühlte sich die Verantwortung auch beängstigend an?

Vor ein paar Jahren hätte es uns noch verunsichert. Aber die beiden vorherigen Alben mit John McEntire als Produzent haben uns vorbereitet. John war sehr zurückhaltend mit seiner eigenen Meinung. Dadurch sind wir besser darin geworden, uns untereinander zu einigen, statt Entscheidungen dem Pro­duzenten zu überlassen. Wir können das Chaos, das wir anrichten, inzwischen selbst aufräumen.

Die Band:Yo La Tengo, gegründet 1984 in Hoboken, New Jersey, spielte die vergangenen 30 Jahre in fester Trio-Besetzung: Ira Kaplan an der Gitarre, seine Partnerin Georgia Hubley am Schlagzeug und James McNew am Bass. Alle drei singen. Ihr Sound rangiert zwischen süßer Melodei und garstigem Feedback, was Velvet Underground zum häufigsten Vergleich macht. Die Dominanz der Gitarre wird zunehmend von Keyboard-Drones flankiert. Legendär sind ihre Auftritte zum jüdischen Lichterfest Chanukka mit illustren Gästen, von Countrystar Lucinda Williams über David Byrne von den Talking Heads bis zu Kinks-Legende Ray Davies. Berüchtigt wiederum ist Yo La Tengos riesiges Sortiment von Coverversionen. Es umfasst Dutzende Lieder der Kinks, Free Jazz von Sun Ra, aber auch obskure neuseeländische Popsongs von The Dead C.

Das Album: Am Freitag, 10. Februar erscheint „This Stupid World“ (Matador/Beggars/Indigo), das erste Album seit 2018. Seine Musik klingt vertraut und überraschend zugleich und variiert die auf Drones und geradlinigen Beats gebauten Songs zu nachdenklichen Interpreta­tionen eines wiedererkennbaren Yo-La-Tengo-Sounds. Er erweitert das ohnehin breite klangliche Repertoire der Band um neue Formen improvisierten Krachs („Brain Capers“) und düsteren Borderline-Pop („Miles Away“) zu ihrem besten Album der vergangenen 20 Jahre.

Wenn man im eigenen Proberaum aufnimmt, gibt es dann überhaupt einen Startpunkt?

Einen exakten Startpunkt gibt es tatsächlich nicht. Vor allem, weil James, seit er 1993 als Bassist eingestiegen ist, alle Proben mitschneidet. Heute nicht mehr auf 4-Spur oder Minidisc, sondern mit einem Computer, in Protools. Weil wir auch bessere Mikrofone angeschafft haben, sind die Mitschnitte nicht mehr nur klangliche Notizen. Der Sound ist heute so gut, dass wir viel davon zur Veröffentlichung nutzen können. Wenn wir uns dann auf der Suche nach Ideen für neue Songs durchs Material hören, merken wir, dass wir im Grunde schon seit Jahren daran arbeiten.

Wie kommen Sie zum Ende?

Ohne feste Studiozeit und gebuchte Rückflüge ist es schwer, einen Schlussstrich zu ziehen. Eigentlich hätte das Album im September erscheinen sollen. Wir hätten ewig weiter an der Musik basteln können.

Neun Songs, mehrheitlich unter fünf Minuten: Die Musik wirkt fast zurückhaltend. Neigt eine Band ohne externe Instanz nicht zum ausufern?

Zugegeben: Sich kurz zu fassen, ist nicht unsere Stärke. Ein dreiminütiger Song fällt uns viel schwerer als einer von 15 Minuten. Wir haben die Deadline auch gerissen, weil das Kürzen so lange dauerte. Aber wir sind keine Zeitverschwender. Als wir zuletzt ein 25-Minuten-Stück veröffentlichten, war es das Kondensat aus 60 Minuten.

Sie mögen Abschweifungen?

Normalerweise lassen wir uns als Band leicht ablenken. Und wir mögen diese Ablenkung. Diesmal haben wir uns bewusst angestrengt, fokussiert zu bleiben, nicht alles fallen zu lassen, wenn jemand nach einer Coverversion für eine Compilation fragt. Das hat geklappt, weil wir glauben, dass diese neun Songs gut zusammen funktionieren.

Erstmals in der Bandgeschichte trägt ein Song den Titel des Albums. „This stupid world is killing me“ heißt es da. Nun bringt am Ende auch eine gute Welt jede und jeden von uns um. Was genau werfen Sie der Welt vor?

Wenn es eine einzige Antwort auf diese Frage gäbe, hätten wir den Text geändert. Die Offenheit der Zeile macht ihre Qualität aus.

Im Laufe des Albums lässt sich der Titel „This Stupid World“ mal als nüchterne Feststellung lesen, mal als Ausdruck von Wut oder Enttäuschung. Was bedeutet er für Sie?

Der Albumtitel ist stark in diesen Zeiten und er ist offen für Interpretationen. Deshalb hängen wir an ihm. Ich bin misstrauisch, wenn jemand behauptet, ein bestimmtes Gefühl mit etwas verbinden zu können, das länger als eine Minute dauert. In den Monaten, die wir an diesem Album gearbeitet haben, waren wir oft wütend über und entmutigt von dieser Welt. Geht das nicht allen so? Aber dann spielten wir wieder an acht aufeinanderfolgenden Abenden Chanukka-Shows mit und vor wunderbaren Menschen und es sind die lebensbejahendsten und herzlichsten Stunden, die man sich vorstellen kann. „This Stupid World“ umarmt ein Kaleidoskop möglicher Lesarten. Deshalb heißt dieses Album so.

Das klingt nach größerer Freude an Songtexten, als man von einer Band erwarten würde, die noch nie Texte abgedruckt hat.

Wir schämen uns nicht für unsere Texte, aber es ist uns nicht wichtig, dass jedes einzelne Wort verstanden wird. Wilco haben uns mal zu ihrem „Solid Sound Festival“ eingeladen, bei dem die Fans ihnen Coversongs vorgaben, auch einen von uns. Wilco taten so, als ob sie unseren Song nicht konnten, damit wir ihn spielen. Und erst als ich am Ende auf den vorbereiteten Teleprompter mit dem Text schaute, merkte ich, dass er aus dem Internet kam und kaum etwas mit meiner Version zu tun hatte. Wunderbar! Als wir 1989 zum ersten Mal durch Spanien tourten, sah ich dort ein Taschenbuch mit Velvet-Underground-Lyrics. Jemand mit sehr bescheidenen Englischkenntnissen musste sie transkribiert haben. Sie waren völlig falsch, bizarr, surreal. Natürlich musste ich das Buch haben.

Innerhalb eines weiten stilis­tischen Felds hat sich ein wiedererkennbarer Yo-La Tengo-Sound herausgebildet. Ist es Ihr Anspruch, dieses Feld zu erkunden? Oder sich weiterzuentwickeln?

Nach so langer Zeit klingt alles, was wir drei machen, wie Yo La Tengo. Alles andere wäre vermutlich unmöglich. Trotzdem höre ich in der Musik des neuen Albums Sachen, die wir noch nie zuvor gemacht haben.

Zum Beispiel?

Teile des Songs „Brain Capers“ klingen für mich nicht wie etwas, was wir früher schon einmal gemacht haben. Das gilt auch für „Miles Away“.

Ihre Auftritte zum jüdischen Lichterfest, Chanukka, haben eine lange Tradition und sind inzwischen legendär. Hat Ihr jüdischer Background Einfluss auf die Band?

Nein. Wir haben die Chanukka-Shows vor über 20 Jahren als Mischung aus Witz und Herausforderung gestartet. Alle redeten damals über einzelne Weihnachtskonzerte, und irgendwann sagten wir: Warum spielen wir nicht jeden einzelnen Abend des Lichterfests? Acht aufeinanderfolge Shows, im gleichen Club, das klang lustig und anstrengend – und das machte es unwiderstehlich. Der jüdische Aspekt dabei ist nahezu bedeutungslos.

Wichtiger Teil Ihres Chanukka-Konzepts sind die vielen Gäste, Teil Ihrer Konzerte viele Coversongs. Wie muss man sich den Auswahlprozess für beide vorstellen?

Wenn wir nach 35 Jahren zum ersten Mal beschlossen hätten, einen Song zu covern, wäre es eine hitzige Debatte. Nach ein paar Hundert Covers, ist der Prozess sehr einfach: Einer schlägt was vor, wenn uns die Idee gefällt, spielen wir das live. Wenn es Spaß macht, vielleicht sogar öfter. Mit der Liste der Chanukka-Gäste ist es anders. Sie müssen zusammenpassen. Deshalb sprechen wir länger drüber. Weil wir keinen Song doppelt spielen, ist es wie ein einziges Konzert, verteilt über acht Abende. Die Gäste strukturieren diese Langstrecke.

Yo La Tengo covern bis heute Punksongs. Sie selbst haben Anfang der 1980er die Linernotes zum Bad-Brains-Debütalbum verfasst. Was bedeutet Ihnen Punk heute?

Wenn man unter Punk auch Musik von Talking Heads und Television subsumiert, ist es für mich immer noch etwas ganz Besonderes. Ich war ein Teenager, als ich diese Bands in den 1970ern entdeckte. Punk war die erste Musik, die mir etwas bedeutet hat, sie lief damals nicht im Radio. Schon deshalb war es meine Welt. Für mich als Jungen aus der Vorstadt war es kompliziert, für ein Abendkonzert nach Manhattan zu fahren. Die S-Bahnen fuhren nicht die ganze Nacht, ich musste oft vor Konzertende nach Hause. So verpasste ich auch die ersten Auftritte von Patti Smith, als sie nur von Lenny Kaye an der Gitarre und Richard Sohl am Klavier begleitet wurde. Darüber bin ich noch immer sauer.

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