Giftexperte über havarierten Frachter: „Ein Cocktail an Schadstoffen“
Der Frachter „Fremantle Highway“ liegt vor den niederländischen Wattenmeerinseln. Die Lage hat sich leicht entspannt. Für Entwarnung ist es zu früh.
taz: Manfred Santen, Sie haben am Wochenende den brennenden Frachter „Fremantle Highway“ selbst gesehen. Was haben Sie erlebt?
Manfred Santen: Wir haben am Samstag ein Schiff gechartert und sind von der Insel Terschelling aus auf zwei Meilen an den Frachter rangefahren. Da begann die Sicherheitszone. Die Küstenwache kontrolliert, dass man den Abstand einhält. Man konnte am Samstag noch eine riesige Rauchwolke sehen und geruchsmäßig gut wahrnehmen, dass da gerade unter anderem Plastik und Autoreifen verbrennen. Dass diese Wolke auch Schadstoffe und Gifte enthält, ist klar. Inzwischen hat die Rauchentwicklung aber nachgelassen. Das Schiff liegt vor Schiermonnigkoog. Man kann nur hoffen, dass das Schiff stabil bleibt und in einen Hafen gebracht wird, wo es gelöscht und entsorgt werden kann.
Manfred Santen
65, ist Chemiker und seit 2009 Giftexperte im Meeresteam bei Greenpeace Deutschland.
Was würde den passieren, wenn der Frachter auseinanderbricht oder sinkt? Er liegt im Weltnaturerbe Wattenmeer, das sich vor allem vor der niedersächsischen Küste erstreckt.
Im schlimmsten Fall gelangen dann halt die Reste von 3.800 Autos im Meer, die größtenteils verkohlt sind. Also 3.800 mal wahnsinnig viel Kunststoff, der verbrannt ist. Diese Kunststoffe können bromierte Flammschutzmittel enthalten. Aus verbranntem PVC aus zum Beispiel chlorhaltigen Kabelummantelungen können Dioxine entstehen – ein Cocktail an Schadstoffen, der ins Meer gelangt und zum Teil einen hohen Säuregehalt hat. Außerdem kann Treibstoff, also Schweröl und Diesel, ins Meer gelangen, der zu einer Ölpest führen kann. In unmittelbarer Nähe des Schiffes werden Meerestiere direkt bedroht sein. Mit Ebbe und Flut würden sich die Schadstoffe verteilen.
Welche Auswirkungen haben die Gezeiten?
Bei Ebbe bleibt die Schadstoff-Emulsion auf dem Sediment liegen, was dramatische Auswirkungen haben kann auf Muscheln, Wattwürmer, Krabben – alles, was da im Boden lebt. Wir haben im Wattenmeer sehr viele Seevögel, auch Zugvögel machen dort demnächst wieder Rast. Sie alle picken im Meeresboden rum und können so die Schadstoffe aufnehmen. Das Ausmaß lässt sich schwer voraussagen. Es wird aber groß sein. Tiere und Pflanzen wären gefährdet und könnten eingehen. Die Auswirkungen wären langfristig.
Jetzt muss der Frachter in einen Hafen. Welcher könnte das sein?
Wir haben keine Informationen darüber, auch das Havarie-Kommando hat uns keine Antwort gegeben. Wahrscheinlich sind die Behörden noch dabei, den geeigneten Hafen zu suchen. Der niederländische Industriehafen Eemshaven kommt infrage, er ist am nächsten dran, sonst auch Emden oder Wilhelmshaven. In Eemshaven müsste es die Möglichkeit geben, ein Hafenbecken mit einer Ölsperre zu versehen, sodass man löschen und das Wasser abpumpen und reinigen könnte. Dort, wo der Frachter zurzeit liegt, gibt es keine Möglichkeit zu löschen, ohne dass Schadstoffe ins Wasser gelangen.
Sind denn jetzt schon Schadstoffe ins Meer gelangt?
Vor einer Woche, in der Nacht zu Mittwoch, brach auf dem Autofrachter „Fremantle Highway“ ein Feuer aus. Vor der niederländischen Küste konnten 22 Besatzungsmitglieder gerettet werden, ein Mann starb.
Die Brandursache ist vermutlich die Batterie eines E-Autos. Der Frachter transportiert 3.800 Autos, darunter 500 E-Autos, und war auf dem Weg von Bremerhaven nach Singapur. An Bord sind neben den Autos 1,6 Millionen Liter Schweröl.
Am Montag zogen Schlepper den Frachter zu einem weniger gefährlichen Ankerplatz, 16 Kilometer nördlich der Inseln Schiermonnikoog und Ameland.
Einfach Löschen lässt sich das Feuer nicht. Durch das Wasser könnte das Schiff sinken. Deswegen wurde das Schiff von außen gekühlt.
Am Dienstag wurde verkündet, dass das Feuer nicht mehr wütet. Aber es könne wieder auflodern, mahnte eine Sprecherin der Wasserbehörde. Sie sagte weiter, dass das Schiff aber stabil sei. Derzeit prüfen Bergungsspezialisten die Lage an Bord. Das Schiff soll dann in einen Hafen geschleppt werden, wo es abgewrackt werden kann.
Einige Tage lang wurden die Schiffswände von außen mit Wasser gekühlt, was richtig war. Aber sicherlich hat das Kühlwasser Schadstoffe ins Wasser transportiert. Man kann nicht genau sagen, wie viel. Im Meer gab es zwei Meilen entfernt keine Auffälligkeiten. Wir haben Proben genommen. Diese sind jetzt im Labor. Die Untersuchung wird aber eine Weile dauern. Die ganz große Katastrophe ist bisher nicht eingetreten. Wenn der Frachter droht zu sinken, werden wir wieder hinfahren und das dokumentieren.
Kann oder sollte der Transport von E-Autos auf dem Meer sicherer gemacht werden?
Es gibt bereits jetzt einen Haufen Regelungen dazu, wie so ein Transport sicher gestaltet werden kann. Zum Beispiel gibt es Empfehlungen zu Sprinkleranlagen oder zum Transport von E-Autos in extra abgeschotteten Compartements. Und die Bodenfreiheit muss gewährleistet sein: Das heißt, dass die Autos nicht aufsitzen und von unten beschädigt werden können. Denn die Batterien sind unten eingebaut. Ob das alles hier eingehalten wurde, kann ich nicht sagen.
Müssen die Transportrouten weiter weg von der Küste verlaufen?
Das haben wir schon ein paar Mal gefordert seit der Havarie des „MSC Zoe“ vor vier Jahren. Schiffe mit hohem Schadstoffpotenzial sollten woanders langlaufen. Insgesamt muss man den globalen Welthandel infrage stellen. Je mehr Autos hergestellt und nach Japan und China exportiert werden und je mehr man denkt, der Individualverkehr müsse gefördert werden, desto höher ist das Risiko.