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Giffey und die Berliner SPD„Ich fahre oft U-Bahn“

Franziska Giffey ist bodenständig, Berlin-Fan – und sogar bei der IHK beliebt. Wie soll die Berliner SPD an ihr als Spitzenkandidatin vorbeikommen?

Familienministerin Franziska Giffey (SPD) neulich im Kanzleramt Foto: dpa

SPDlerin versus CDU-und FDP-nahe Wirtschaftselite. Frau im Männerladen – auch wenn der seit drei Jahren eine Präsidentin hat: Es lassen sich schnell ein paar Gegensätze konstruieren an diesem Donnerstagmorgen, als Franziska Giffey zu einem Frühstücksvortrag zur Industrie- und Handelskammer (IHK) kommt. Jene Frau, die vor gut einem Jahr noch Bezirksbürgermeisterin in Neukölln war und seither Bundesministerin für das ist, was Gerhard Schröder 1998 „Gedöns“ nannte: Familie, Senioren, Frauen und Jugend.

„Deutschlands Bürgermeisterin“ hat die Süddeutsche Zeitung sie genannt, weil sie weiter wie in Neukölln viel als Kümmerin unterwegs ist. Das gilt bundesweit, aber auch zu Hause: „Ich fahre ja oft U-Bahn – ich muss ja mitkriegen, was in Berlin passiert“, erzählt sie, was das Bundeskriminalamt immer in Aufregung versetze. „Berlin ist ja einfach mal geil“, sagt sie auch noch. Und dass sie so ja eigentlich gar nicht reden dürfe als Ministerin. Das konnte man als Koketterie abtun. Als Spiel mit dem Image der Bezirkspflanze, die sich immer noch wundert, dass sie jetzt Bundesministerin ist. Aber so kommt es es eben nicht rüber.

Auch wegen Giffey heißen jüngste Neuerungen nur offiziell „Gesetz zur zielgenauen Stärkung von Familien und ihren Kindern durch die Neugestaltung des Kinderzuschlags und die Verbesserung der Leistungen für Bildung und Teilhabe“, ansonsten aber einfach „Starke-Familien-Gesetz“. Klare Sprache, wie schon beim „Gute-Kita-Gesetz“: Gesetze mit 23 Wörtern im Titel verstehe nicht nur in der Sonnenallee keiner.

Und wann komme denn nach Gute-Kita- und Starke-Familien- auch das Erfolgreiche-SPD-Gesetz?, will IHK-Chef Jan Eder angesichts der Misere ihrer Partei wissen. Und was würde drin stehen? „Hingehen, zuhören, anpacken“, sagt sie. Also Methode Giffey. Auch für Berlin? Die hiesige SPD – in der jüngsten Umfrage auf 15 Prozent abgesackt – suche ja einen Retter, piekt Eder kaum verhüllt eine Spitzenkandidatur bei der Abgeordnetenhauswahl 2021 an. Es ist das erste Mal an diesem Morgen, das Giffey in einer Antwort allgemein bleibt: „Das ich meine Stadt von Herzen liebe, das ist ja bekannt.“

Den langen Beifall der rund 260 Frühstücker nach knapp zwei Stunden ordnet Eder, der solche Gespräche seit 15 Jahren moderiert, unter den Top 3 auf dem IHK-Applausometer ein. Und fragt sich, was Giffey wohl Gerhard Schröder gesagt hätte, wenn der ihr gegenüber ihren Ministeriumstitel als „Familie und Gedöns“ abgetan hätte.

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