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„Gewitter im Kopf“-Host gestorbenJan Zimmermann gab Tourette-Betroffenen eine Stimme

Der Youtuber starb nach Angaben seiner Familie am 18. November an einem epileptischen Anfall. Sein Kanal „Gewitter im Kopf“ hatte über zwei Millionen Abonnenten.

Jan Zimmermann (l.) hatte zusammen mit Tim Lehmann den Youtube-Kanal „Gewitter im Kopf“ betrieben Foto: Gerald Matzka/dpa

Neben Herzschrittmachern gibt es auch Hirnschrittmacher. Diese können Menschen mit Tourette helfen. Was viele sonst nicht wüssten, weil sie niemanden mit Tourette kennen, wussten diejenigen, die Jan Zimmermann in den sozialen Medien folgten. Der Kanal „Gewitter im Kopf – Leben mit Tourette“, von ihm und seinem besten Freund Tim Lehmann, landete im Jahr 2020 auf Platz 2 der Youtube-Liste der Top Creators in Deutschland.

In seinen Videos sah man, wie er unangemessene Dinge sagte, andere beleidigte, mit den Armen fuchtelte, sein Gesicht verzerrte, sich räusperte. Der Tagesspiegel, der Zimmermann 2019 porträtierte, schrieb, dass er sich vor Reisen bei Flughäfen anmelden musste, nachdem er dort aufgrund seiner Tics einmal seinen Rucksack auf den Boden geworfen und „Allahu Akbar“ gerufen hatte. „Besonders provoziert ihn der Anblick von Polizisten. Kein Streifenwagen fährt vorbei, ohne dass Jan den Mittelfinger zeigt. In seiner Heimat Bonn halten die Beamten nicht mehr an, die kennen ihn“, heißt es im Tagesspiegel-Porträt.

All dies waren Tics – plötzliche, unwillkürliche, wiederholte Bewegungen, ein Symptom von Tourette.

Am 18. November starb Jan Zimmermann. Er war 27 Jahre alt. Seine Familie schreibt auf Instagram, dass er „plötzlich und unerwartet an einem epileptischen Anfall gestorben“ ist. „Sein Humor, seine Ehrlichkeit und sein großes Herz waren Geschenke, die er mit allen geteilt hat“, heißt es im Post weiter.

Zimmermann war einer der bekanntesten deutschen Youtuber, mit knapp 2 Millionen Abonnenten. Im Jahr 2019 wurde er zur Internetberühmtheit, nach einem Auftritt zum Thema „Tourette und Beruf“ bei Galileo. Daraufhin entschied er sich, ein Frage-und-Antwort-Video zu Tourette auf Youtube zu veröffentlichen. Drei Monate später hatten mehr als eine Million Menschen seinen Kanal abonniert, auf dem er in Videoblogs und FAQ sein Leben mit dem Tourette-Syndrom teilte. Seine Ausbildung als Physiotherapeut konnte er aufgrund des Tourettes nicht fortsetzen, stattdessen arbeitete er im öffentlichen Dienst.

Ende 2022 wurde Zimmermann ein Hirnschrittmacher eingesetzt, der seine Tics unterdrückte. Nach der OP machte er eine Social-Media-Pause, kehrte erst 2025 zurück.

Zimmermann gab nicht nur Betroffenen des Tourette-Syndroms eine Stimme und sorgte damit für mehr Aufmerksamkeit und Verständnis in der allgemeinen Bevölkerung, sondern auch „seinem“ Tourette einen Namen: „Gisela“. Gisela ermöglichte ihm, eine Grenze zwischen der Person Jan und dem Syndrom zu ziehen. Durch die Personalisierung des Syndroms und seinen Mut, sich selbst zur Schau zu stellen, in Momenten, die als peinlich interpretiert werden könnten, schuf er Empathie. Auch um andere Themen, die sein Leben herausfordernd gestalteten, machte er keinen Bogen und sprach offen darüber, dass er von ADHS und Zwangsstörungen betroffen war. Mit seinem Schwulenmagazin sprach er über seine Homosexualität.

Mit seinen Inhalten machte er etwas, das sich viele nicht trauen: Er öffnete Türen zu Lebenswelten, die Nichtbetroffenen sonst verborgen bleiben.

Als Zimmermann viral ging, wurde er zunächst von Tourette-Betroffenenverbänden kritisiert, zu reduziert und einfach sei seine Darstellung von Tourette, meinten sie. Kurz darauf ruderten sie zurück. Sie stellten fest, dass die Inhalte insbesondere bei jungen Betroffenen auf viel Resonanz stießen und somit zu einer Destigmatisierung beitrugen.

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1 Kommentar

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  • Quel homme



    Gute Reise Jan Zimmermann

    unterm——



    Den Kanal kannte ich bis dato nicht. Chapeau



    Spiele aber seit Jahren mit einem Gitarristen & Sänger mit Tourett - lange in einer Pink Floyd lastigen Band bis der Bandleader starb & immer gern wo immer sich Gelegenheiten bieten.



    Auch wennste die Tics verstehst - bleibt es oft ala long insbesondere bei Proben/Aufnahmen aufgrund des nur schwer steuerbaren Äußerungszwangs doch auch anstrengend - aber die Musik macht alles wett & die Szene goutiert‘s.