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Gewerkschaftssekretärin über Amazon„Ein Spiel mit der Angst“

Beim Streit zwischen Verdi und Amazon geht es nicht nur um Tarife. Im Einzelhandel soll es weiter demokratisch zugehen, fordert Verdi-Sekretärin Kaharina Wesenick.

Es ist Liebe. Auch wenn es nur ein Einmal-Tatoo ist. Bild: dpa
Eva Völpel
Interview von Eva Völpel

taz: Frau Wesenick, rund 1.000 Amazon-Beschäftigte haben sich gegen die Gewerkschaft positioniert. Für den Standort Koblenz kursiert ein Aufruf, bei der nächsten Betriebsversammlung die Rede der Gewerkschaftssekretärin zu boykottieren. Überfährt Ver.di die Beschäftigten?

Katharina Wesenick: Die Streikstrategie wird von den Ver.di-Mitgliedern bei Amazon im Unternehmen mitentwickelt und getragen und nicht durch Ver.di von außen diktiert. Was die Unterschriften angeht: Wir wissen, dass es eine enge kommunikative Beziehung zwischen den Initiatoren der Aktion und dem Amazon-Management gab, und wir wissen auch, dass die Unterschriften teilweise unter den Augen von Führungskräften gesammelt wurden. Da liegt es nahe, davon auszugehen, dass Druck eine Rolle gespielt hat.

Herrschen jetzt unter den Beschäftigten offene Feindschaften?

Davon kann keine Rede sein. Wir gehen davon aus, dass ungefähr die Hälfte der Unterzeichnenden schon nicht mehr bei Amazon arbeitet. Deswegen ist die Liste für uns auch nicht repräsentativ. Es haben sicherlich viele befristete Beschäftigte unterschrieben, die Amazon nur für das Weihnachtsgeschäft eingestellt hatte. Es ist verständlich, wenn diese gehofft haben, durch eine Unterschrift einer Entfristung näher zu kommen.

Trotzdem sind die Spaltungen für Verdi ein Problem.

Ja, und wir nehmen die Ängste ernst. Die Beschäftigten, die aktiv streiken, suchen das Gespräch mit Kolleginnen und Kollegen. Aber die Unruhe geht auf das Konto von Amazon. Wenn sie sich nicht hartnäckig weigern würden, mit uns in Tarifverhandlungen einzusteigen, wären die Kämpfe nicht nötig. Das Ziel muss sein, dass die Belegschaft zusammenhält und gemeinsam für verlässliche und existenzsichernde Arbeitsbedingungen sorgt. Amazon hat es in der Hand, eine verstärkte Spaltung der Belegschaft zu verhindern. Aber das Management tut das Gegenteil.

Bild: Privat
Im Interview: Katharina Wesenick

36, ist Gewerkschaftssekretärin bei Ver.di und in der Bundesverwaltung u.a. zuständig für die Koordination der Arbeitskämpfe bei Amazon. Zuvor hat sie Organizing-Kampagnen bei EDEKA und der EDEKA-Tochter Netto in Südniedersachsen durchgeführt.

Inwiefern?

Sie schüren Angst vor Arbeitsplatzabbau, die übliche Strategie in solchen Konflikten. Hinzu kommt, dass Amazon-Beschäftigte zum Teil in strukturschwachen Regionen leben, langzeitarbeitslos waren und die Familie ernähren müssen, damit sind sie sehr auf diesen Arbeitsplatz angewiesen. Es ist deshalb absolut verständlich, dass viele Beschäftigte auf Drohungen mit Standortverlagerungen besorgt reagieren. Umso wichtiger ist es jetzt, sich nicht spalten zu lassen.

Warum ist die Auseinandersetzung über konkrete Verbesserungen für die Beschäftigen so wichtig?

Die Geschäftspolitik von Amazon verändert den gesamten traditionellen Versandhandel und hat außerdem Auswirkungen auf den stationären Handel. Das Unternehmen hat in den letzten Jahren eine rasante Expansion hingelegt. Deutschland ist für Amazon der zweitwichtigste Markt, obwohl das Unternehmen hier kaum Steuern zahlt. Wir können einem Branchenführer, der die Einzelhandelslandschaft perspektivisch immer weiter umwälzen wird, nicht zugestehen, einseitig Arbeitsbedingungen und Löhne zu diktieren. Das muss wirtschaftsdemokratisch und gesellschaftspolitisch gestaltet werden. Deswegen ist die Tarifbindung das Ziel. Und die werden wir gemeinsam mit den Beschäftigten durchsetzen.

Hat der Konzern seit Beginn des Konflikts seine Strategie verändert?

Die grundsätzliche Strategie ist es, so zu tun, als sei Ver.di eine dritte Partei von außen, ein Störenfried, der Arbeitsplätze vernichtet. Das ist ein übliches Vorgehen US-amerikanischer Unternehmen. Aber sie wird nicht aufgehen. In jüngerer Zeit setzt Amazon auch auf gezielte Beeinflussung der medialen Öffentlichkeit. Und in Gesprächen werden jetzt häufiger Standortschließungen angedroht. Sie werden drastischer, was deutlich zeigt, dass sie stark unter Druck stehen.

Sind Drohungen mit Standortverlagerungen völlig aus der Luft gegriffen? Amazon expandiert derzeit in Osteuropa.

Amazon expandiert dort in der Tat. Aber deshalb mit Standortverlagerungen zu drohen, ist ein Spiel mit der Angst der Beschäftigten.

An einigen Standorten wirbt Amazon plötzlich offensiv für die Betriebsratswahlen. Was steckt dahinter?

Das ist ein Spaltungsversuch. Als wir versucht haben, Betriebsräte aufzubauen, hieß es seitens Amazon, wir brauchen die Betriebsräte nicht. Als wir dann die Betriebsräte hatten, hieß es, wir brauchen die Gewerkschaft nicht, wir haben ja die Betriebsräte. Wir vermuten, dass sich Amazon bemühen wird, arbeitgebernahe Kandidaten auf die Listen für die Betriebsratswahlen zu bekommen.

Amazon hat im Weihnachtsgeschäft 14.000 zusätzliche Kräfte eingestellt und Warenströme zum Teil von Streikstandorten weggelenkt. Wie viele Pakete sind tatsächlich liegen geblieben?

Das wissen wir nicht. Aber der Erfolg beziffert sich auch nicht in liegen gebliebenen Paketen. Es ist gelungen, Amazon unter Druck zu setzen, wie man an den nervösen Reaktionen des Unternehmens sieht. Nicht nur weil in Deutschland mitten im Weihnachtsgeschäft an drei Standorten gestreikt wurde, sondern auch weil der Konflikt mittlerweile in den USA Schlagzeilen macht, wo es während der Streiks Protestaktionen vor der Amazon-Firmenzentrale gab.

Hat Ver.di bisher irgendetwas für die Beschäftigten erreicht?

Dank der vielfältigen und engagierten Aktionen und Streiks der Amazon-Beschäftigten zahlt Amazon jetzt Weihnachtsgeld, Betriebsräte konnten Verbesserungen bei den Arbeitszeiten für Mitarbeiter mit Kindern durchsetzen. Und im letzten Weihnachtsgeschäft hat Amazon deutlich weniger Leiharbeit eingesetzt. Die Beschäftigten haben viel zu gewinnen, wenn der Tarifvertrag des Einzelhandels gilt. In Hessen würden große Teile der Belegschaft zwischen 80 und 353 Euro mehr im Monat verdienen, dazu kommen Sonderleistungen und andere Sicherheiten des Tarifvertrags.

Gibt es eine gewerkschaftliche Vernetzung mit Standorten von Amazon in anderen Ländern Europas?

Wir arbeiten an Bündnissen und Aktionen, Amazon wird auch an anderen Orten unter Druck kommen.

In Deutschland soll der vierte Standort in Pforzheim bald streikfähig sein?

Wir diskutieren gerade die nächsten Schritte und werden diese rechtzeitig kommunizieren.

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6 Kommentare

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  • Der Streik bei Amazon ist mMn nicht nur berechtigt, sondern auch wichtig und richtig !

    Amazon zu boykotieren ebenso.

    Und es freut mich, wenn die taz sich auf die Seite von Ver.di stellt.

    Aber warum in aller Welt muss ich dann Werbung von Amazon auf der webseite der TAZ ertragen ?

    Ist das nicht etwas verlogen ?

    • @T. Gas Yrrag:

      PS

      Sorry ich meinte boykottieren ...

       

      Ich würde mich über Aufklärung von der taz wegen der Amazonwerbung auf der taz-Webseite freuen.

  • H
    hugo

    Wie sind die Arbeitsbedingungen bei Cyberport, oder bei Libri - oder beim Mediamarkt usw., nach welchem Tarifvertrag werden die dort Beschäftigten bezahlt? DHL und die anderen Paketdienste werden schon überhaupt nicht mehr erwähnt, mit Sub-Subunternehmern gehts noch billiger, und bestreiken, das können die nur sich selbst.

    Soweit mir bekannt ist, hatten die für die Weihnachtszeit bei Amazon befristet Eingestellten keine Lust, sich über etwas zu beschweren, was sie bei ihrem Vertragsabschluß unterschrieben hatten.

    Kümmert sich Ver.di nun mehr um die "heimischen Arbeitgeber"?

  • AU
    Andreas Urstadt

    Es ist wie in der Syriensache. Diese ominoesen 1000 kommen bei der taz gar nicht zu Wort, es herrscht Bevormundung und bei der Gewerkschaft ein Strotzen von Sei und Kann etc Formulierungen und keinen klaren Fakten.

     

    Ich wurde vom Buero Guenter Wallraff nach Details u Fakten gefragt. Ich brach den Kontakt ab, da es den Wallraff Mitarbeitern nur darum ging, amazon fertig zu machen und Mobbing etc durch SPD Leute ignoriert wurde. Nach den simpelsten Mobbingratgebern ist so eine Haltung Mitmobben. Auch wer Kenntnis erlangt und ignoriert, wird zu Mobbern gezaehlt.

     

    Es wahnwitzig, was die taz betreibt und wen sie zu Wort kommen laesst.

     

    Es kann nicht sein, dass in den Fragen Wertefragmentierung betrieben wird. Es gibt zum Thema transdisziplinaere Forschungsprojekte. Ein Linie, welche die taz faehrt, kann man in die Ecke werfen. Wird forschungsmaessig auch empfohlen, gar nicht reinsehen.

  • M
    MOTZARELLA

    Die ewige Angstmache seitens der Arbeitgeber, Drohungen mit Arbeitsplatzabbau - Angst vorm Verlust des Einkommens läßt die Menschen

    verständlicherweise bzw. absurderweise sich f ü r d a s vermeintlich "kleinere Übel" entscheiden (lieber jede Menge Kröten schlucken) - statt sich solidarisch zu verhalten und fest zusammen zustehen. So aber haben Konzerne leichtes Spiel, ihre ausgeklügelten Interessen durchzuboxen - Menschenwürde hin oder her.

  • D
    D.J.

    Ich mache mir tasächlich große Sorgen, was die zunehmende Marktkonzentration von Amazon betrifft. Aber das ist - zum Teil - ein anderes Thema.

    Was nervt, ist die Symbolpolitik der Gewerkschaften. Die übelste Ausbeutung findet nämlich oft eher in kleineren (Einzelhandels-)Betrieben statt, wo keine Sau richtig hinschaut. Von Amazon-Standards können deren Angestellte manchmal nur träumen.