Gewerkschafter gegen Gesetz: Hände weg vom Streikrecht
Der DGB-Bundeskongress spricht sich gegen eine gesetzliche Regelung zur Tarifeinheit aus. Die aber fordern die Arbeitgeber.
BERLIN taz | Der DGB lehnt eine per Gesetz vorgeschriebene Tarifeinheit kategorisch ab, wenn damit Einschränkungen des Streikrechts verbunden sind. In Berlin billigten die 400 Delegierten des Bundeskongresses bei wenigen Gegenstimmen einen entsprechenden Antrag.
Vorangegangen war die erste wirklich lebhafte Diskussion auf dem Kongress, der noch bis Freitag stattfindet. „Das Streikrecht ist ein Grundrecht auch für Splittergruppen, es ist nicht teilbar“, rief Brigitte Runge, Delegierte der IG Metall, in den Saal.
"Es muss uns misstrauisch machen, wenn sich die Arbeitgeber für die Tarifeinheit ins Zeug legen", sagte ihr Kollege Herbert Grimberg von der Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten (NGG). Er zergliederten die Arbeitgeber Betriebe und sorgten für "Tarifwirrwarr". Dann beschwerten sie sich über dieses "Wirrwarr" und forderten eine gesetzliche Regelung. "Wir sollten diesen Sirenengesängen nicht nachkommen", forderte Grimberg.
Hintergrund ist, dass sich die Arbeitgeber für eine gesetzliche Regelung starkmachen. Sie würde bedeuten, dass künftig der Grundsatz „ein Betrieb – ein Tarifvertrag“ vorgeschrieben wird. Das zielt in erster Linie gegen Berufsgewerkschaften wie den Marburger Bund (Ärzte) oder Cockpit (Piloten) und die Zersplitterung der Tariflandschaft. Allerdings könnten in manchen Betrieben auch Einzelgewerkschaften des DGB in der Minderheit sein. Auch sie hätten dann kein Recht mehr, eigenständig Tarifverträge abzuschließen oder zu streiken.
Hohe Hürden
In den acht Einzelgewerkschaften des DGB wird seit geraumer Zeit darum gerungen, wie man sich zu dem Vorhaben stellt, das Union und SPD laut Koalitionsvertrag noch in dieser Legislatur umsetzen wollen. Bei Gewerkschaftern, aber auch bei vielen Juristen herrscht die Auffassung vor, dass eine gesetzlich vorgeschriebene Tarifeinheit nicht ohne eine allgemeine Einschränkung des Streikrechts zu haben ist. Damit würde ein verfassungsrechtlich indirekt garantiertes Grundrecht angetastet.
Die Hürden für solch einen Eingriff hat der DGB nun hoch angesetzt. Die Delegierten fassten den Entschluss, jegliche Eingriffe des Gesetzgebers in bestehende Regelungen abzulehnen, „die das Streikrecht oder die verfassungsrechtlich geschützte Tarifautonomie beeinträchtigen“. Ein Gegenantrag hatte verlangt, die Bundesregierung unmissverständlich dazu aufzufordern, das „gesetzgeberische Vorhaben zur Tarifeinheit nicht weiter zu verfolgen“.
Zu solch einer klaren Aussage wollte sich die Mehrheit der Delegierten nicht durchringen. Rein faktisch bedeutet der Mehrheitsbeschluss jedoch eine Absage an einen gesetzlichen Eingriff.
Bereits am Vormittag hatte der neue DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann sein Grundsatzreferat gehalten. Hoffmann forderte eine Ausweitung der Mitbestimmungsmöglichkeiten in Unternehmen, eine gerechtere Steuerpolitik sowie eine Ende der Sparpolitik in Europa. Der 58-Jährige verlangte zudem eine grundlegend neue Ordnung am Arbeitsmarkt. Die Reformen der großen Koalition, darunter die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 Euro oder die Rente mit 63, „das reicht uns nicht“, rief Hoffmann.
Vor allem die geplanten Einschränkungen beim Mindestlohn sorgten bei den Gewerkschaftern auf dem Kongress für helle Empörung. „Würde kennt kein Ausnahme, weder bei Unter-18-Jährigen noch bei Langzeitarbeitslosen. Wir werden nicht hinnehmen, dass Langzeitarbeitslose stigmatisiert werden“, rief der Verdi-Vorsitzende Frank Bsirske unter lautstarker Zustimmung in den Saal.
Der aktuelle Gesetzentwurf sieht vor, dass Langzeitarbeitslose im ersten halben Jahr einer neuen Beschäftigung keinen Anspruch auf 8,50 Euro haben. Ein Einfallstor für „Hire and Fire“, sagen Gewerkschaften und Arbeitsmarktexperten voraus. Bsirske rief die acht Einzelgewerkschaften dazu auf, in den nächsten Monaten ein breites gesellschaftliches Bündnis zur Verteidigung eines uneingeschränkten Mindestlohns zu knüpfen. Die Auseinandersetzung um den Gesetzentwurf, der im September beschlossen werden soll, „wird in hohem Maß in der Öffentlichkeit entschieden, auf die müssen wir Druck machen und Einfluss nehmen“, so Bsirske.
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