Gewerbegebiete übernehmen Bayern: Öd, platt und leblos
Der Flächenfraß greift weiter um sich und zerstört die Natur. In Niederbayern wird ein Gewerbegebiet nach dem anderen hochgezogen.
Baer wohnt etwas weiter hinten. Der 45-Jährige sagt, was er für die Zukunft fürchtet: „Laster, Laster, Laster.“ Doch statt hier ein großes Gewerbegebiet in die Landschaft zu setzen, sollten sie doch lieber schauen, „dass mal eine Apotheke und ein Supermarkt in den Ort kommen“.
Iggensbach, an der A3 zwischen Deggendorf und Passau gelegen, ist für den Bund Naturschutz (BN) ein Symbol. Der Verband sieht die Gemeinde mit 2.100 Einwohnern als „Negativ-Vorreiter bei Flächenverbrauch und Zersiedelung“.
In Deutschland wird die Landschaft weiterhin ungebremst zugebaut – für Wirtschaft und Gewerbe, Verkehr und auch Wohnungen. Bayern und Baden-Württemberg stehen dabei an der Spitze mit einem Verbrauch von je 17 Hektar täglich, so das Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung. In der beliebten Umrechnung sind das je 22,4 Fußballfelder. Umweltschützer sehen im Flächenfraß das größte ökologische Problem Deutschlands.
Ein Anbindegebot soll die Zersiedelung verhindern
An der Autobahn soll Iggensbach ein Gewerbegebiet bekommen, zehn Hektar – 14 Fußballfelder. „Das wird dann alles flach gemacht und versiegelt“, sagt Georg Kestel vom BN Deggendorf. Er meint: „Iggensbach hat natürlich das Recht, sich organisch zu entwickeln.“ Was hier aber geplant ist, nennt Kestel „überorganisch“. Auch die Gemeinden hätten den „Verfassungsauftrag, sich um die Natur und die Landschaft zu kümmern“.
Noch ist es in Iggensbach nicht so weit. Doch wenn in Bayern nach dem Willen der CSU-Staatsregierung und des Heimatministers Markus Söder das sogenannte Anbindegebot fällt, können die Bagger kommen.
Das Anbindegebot verbietet bisher neue Bebauung auf der grünen Wiese. Ein Gewerbegebiet muss an ein anderes oder an Wohnbebauung grenzen. Söder aber sieht in künftigen Zentren auf dem freien Land und an Autobahnen Möglichkeiten für Wachstum. Wirtschaft dürfe „kein Privileg der Stadt“ sein, sagte er jüngst.
Was soll in Iggensbach entstehen? „Das Gelände ist gut für Logistiker“, meint BN-Mann Kestel. Er befürchtet einen Warenumschlagplatz, einen Lkw-Hof oder ähnliches.
Hoffnung auf höhere Steuereinnahmen
Ganz anders sieht das der Bürgermeister Wolfgang Haider, der im Ort auf der anderen Seite der Autobahn im Rathaus sein Büro hat. Ihn ärgert der Vorwurf, dass seine Gemeinde Negativvorreiter sei. „Das ist total daneben“, meint der Mann von der Unabhängigen Bürgerliste UBL, „ich zerstöre keine Natur.“ Der Platz für das Gewerbegebiet sei „keine wertvolle Fläche“. Einen Autohof werde es dort nicht geben, sondern „schöne, kleine Handwerksbetriebe“. Niederbayern habe Nachholbedarf bei Arbeitsplätzen, es gebe sehr viele Pendler.
Iggensbach hat ein Wirtshaus, die Pfarrkirche „Maria Namen“ und einen Schaukasten, in dem die CSU lobt: „Bayern steht glänzend da.“ Der Bürgermeister braucht Gewerbesteuereinnahmen, das ist nicht nur hier ein wesentlicher Grund für neue Gewerbegebiete. „Wir müssen die Straßen sanieren“, sagt Haider, „wir müssen den neuen Kindergarten bezahlen.“ Der im Übrigen voll ist. „Wir können die Pflichtaufgaben einer Kommune kaum erfüllen.“ Wenigstens dafür soll die Autobahnanbindung gut sein, sonst hat die Gemeinde „nur den Lärm“ und 80 Unfälle pro Jahr – wofür sie wiederum die Feuerwehr bereithalten muss.
Auch anderswo in Bayern wird die Landschaft zugebaut – in den Alpen, in Schwaben. Doch in Niederbayern, einem einst bitterarmen Landstrich, ist es besonders drastisch.
An der A3 reihen sich die Gewerbegebiete wie Perlen auf einer Schnur. Hinter Deggendorf kommt Hengersberg, dort gibt es eines. Die nächste Ausfahrt ist Iggensbach. Es folgt das Gewerbegebiet Garham, wo 2017 schon der zweite Bauabschnitt erschlossen werden soll.
Gegenseitige Vorwürfe befeuern den Streit
Und dann: Rathsmannsdorf, ein ganz besonderer Fall. Auf 19 Hektar – 27 Fußballfelder – ist hier zu sehen, was Iggensbach womöglich bevorsteht. Helgard Gillitzer, Biologin und beim BN Vilshofen aktiv, stapft über den zugefrorenen gelb-roten Boden, der Wind pfeift eisig. „Ich fass’ es nicht“, sagt sie immer wieder. „Das tut mir so weh.“
Vor knapp vier Jahren war hier alles gerodet worden für das Gewerbegebiet. Jetzt hat ein Bauunternehmen ein größeres Gebäude für sich selbst errichtet – ansonsten ist hier nichts als Ödnis. Für die Naturschützerin Gillitzer stellt das Projekt eine „riesige Fehlinvestition“ dar. Offenbar wolle keiner hierher kommen. Das bestreitet CSU-Bürgermeister Franz Langer entschieden. „Alles läuft nach Plan“, sagt er. „In zwei bis drei Jahren werden wir eine sehr positive Entwicklung haben.“
Rathsmannsdorf war ein aggressiver, ganz bitterer Kampf zwischen dem BN und der Marktgemeinde Windorf, zu der das Gelände gehört. Man habe „überall getrickst“, schimpft Gillitzer, und sie „übers Ohr gehauen“. Wertvolle Biotope seien auf Karten einfach nicht eingezeichnet gewesen, man könne sich die Vielfalt des Kiefernwaldes und Heidekrauts gar nicht mehr vorstellen, die hier einmal waren.
Bürgermeister Langer will erst gar nichts mehr dazu sagen. Schließlich sei alles geklärt, vor dem Verwaltungsgerichtshof haben die Naturschützer komplett verloren.
Aber Langer spricht dann doch, weil er unterstreichen will, dass der BN mit „Lügen und Falschaussagen“ arbeite, dass es um eine „persönliche Fehde des BN“ gehe. Das Gewerbegebiet sei ein „Zeichen gegen die Landflucht“. Und was heißt zubetonieren? In weiten Teilen sei die Landschaft ja nicht durch Gewerbegebiete entstellt, meint er, „sondern durch die riesigen Solaranlagen“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen