Gewaltdebatte im Fußball: Nachdenken über einen Todesfall

Der Tod eines Jugendspielers löst wieder einmal eine eher plumpe Debatte im deutschen Fußball aus. Gewalt ist eben nicht nur da, wo sie statistisch erfasst wird.

drei Schiedsrichter, die die Rote Karte in die Höhe strecken

DFB-Präventionsarbeit im Jahr 2000: das Team von Lutz Wagner (M.) zeigt der Gewalt die Rote Karte Foto: imago

Debatten über Gewalt im Fußball werden immer recht grobschlächtig geführt. Das ist im Fall des Berliner Jugendspielers, der bei einem Turnier in Frankfurt tödliche Hirnschäden erlitt, nicht anders. Ein Spieler einer französischen Gastmannschaft hatte ihn mit einem Schlag von hinten niedergestreckt. Zumindest aber kann man den Protagonisten zugute halten, dass die Debatte nicht nationalistisch, entlang von Herkunftsfragen, geführt wird, wie das etwa nach den Silvester-Krawallen in Berlin der Fall war.

Diejenigen, deren Geschäft die großen Schlagzeilen sind, sorgen sich auch jetzt um eine neue Dimension der Gewalt und treffen ohne genaue Kenntnis des Einzelfalls schnell allgemeine Schlüsse. Diejenigen, die um das Image des Fußballs besorgt sind, kramen routiniert die jüngsten Statistiken der dokumentierten Spielabbrüche vor, die gemessen an der Gesamtzahl der Fußballspiele zuletzt in Deutschland 0,075 Prozent betrug. Bei aller Dramatik der Einzelfälle sprechen wir doch über ein mikroskopisches Problem, scheinen die Zahlen zu belegen.

Vielleicht kommt auch deshalb der gastgebende Verein des Turniers in Frankfurt in seiner Stellungnahme zu dem tödlichen Vorfall zur nicht wirklich realistischen und hilflos erscheinenden Forderung: „Die Gewalt auf den Fußballplätzen muss ein Ende haben.“

Ein Problem auch an den eigenen Statistiken ist das binäre Denken. Gewalt ist da, wo sie erfasst wird. Wie viel Gewalt gibt es auf Fußballplätzen wohl jenseits von Spielabbrüchen und ab welchem Grad wird sie als solche erfasst oder nicht schon der Normalität zugerechnet?

Deeskalierende DFB-Reime

Die Signale, die der DFB sendet, sind widersprüchlich. Einerseits verweist er, wenn es brenzlig wird, gern auf die gesellschaftliche Tragweite des Gewaltproblems, weshalb man nur begrenzt handlungsfähig sei. Andererseits möchte der DFB den Eindruck erwecken, alles unter Kontrolle zu haben. „Die Wahrnehmung der vermehrten Gewaltvorkommnisse im Amateurfußball seitens seiner Mitglieder“ sehe man, heißt es auf der Verbandshomepage.

Deshalb habe sich der DFB „stark aufgestellt“, um Gewalt vorzubeugen. Und auch in einer aktuellen Stellungnahme zum Tod des Jugendspielers verweist der Verband auf seine vielfältigen Tätigkeiten und sein Präventionskonzept „Fair ist mehr“.

Für Betroffene von Gewalt – in der Saison 2021/22 hat der Verband immerhin 3.544 „Gewalthandlungen“ gezählt – mögen sich solche DFB-Reime wie Hohn anhören. Gute Gewaltpräventionsarbeit kostet viel Geld und findet eher im Verborgenen statt. Der DFB mag im Verteidigungsreflex seine Verdienste aufzählen. Die dringliche Frage ist nur, was das gebracht hat und was nun getan werden muss.

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Jahrgang 1971, bis Ende März 2014 frei journalistisch tätig. Seither fest mit dem Leibesübungen-Ressort verbunden.

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