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Gewalt und Drohungen durch NazisIn Sachsen wächst die Gewalt von rechts

Die Beratungsstelle RAA stellt neue Zahlen vor. Gleichzeitig werden immer neue Vorfälle bekannt. Einer Bürgermeisterin wird gedroht: „Denken Sie an Lübcke“

Ein beliebtes Ziel von rechter Gewalt: Stolpersteine die an die Opfer der Rechten von damals erinnern Foto: Christoph Soeder/dpa

Dresden taz | Im Januar lauerten Schüler einer Oberschule im erzgebirgischen Oelsnitz in der Dunkelheit einer Lehrerin auf, posierten mit einer Reichskriegsflagge, riefen „Sieg Heil“ und drohten „Wir schicken dich ins KZ“. Die Zahl von Taten wie dieser ist in Sachsen 2024 um ein Drittel gegenüber dem Vorjahr angestiegen. Mindestens 446 Menschen waren davon betroffen. Das belegt die jährliche Statistik der in Dresden ansässigen Opferberatungsstelle RAA und ihrer Fachberatungsstelle „Support“.

Nur in den Jahren des verstärkten Andrangs von Flüchtlingen 2015/16 lagen die Fallzahlen noch höher. Seit 2022 steigen sie kontinuierlich. Den größten Zuwachs verzeichnen mit bis zu 59 Prozent die ostsächsischen Landkreise Bautzen und Görlitz. Gewalttaten sind im Landkreis Meißen mit 18 Fällen sogar auf das Sechsfache angestiegen.

Vom Anstieg ist allerdings keine sächsische Region ausgenommen. An der Spitze liegen seit Beginn der statistischen Erfassung die drei Großstädte, Leipzig mit 74 Fällen gefolgt von Dresden und Chemnitz. Die RAA-Opferberatung erklärt den Anstieg zum Teil mit den ­Wahlkämpfen 2024. Auch die lokalen Christopher-Street-Day-Paraden seien von Rechtsextremen immer wieder zum Anlass für Attacken genommen worden. Rassismus bildet weiterhin das häufigste Tatmotiv. Deutlich zugenommen hätten aber Angriffe gegen politische Gegner. Am häufigsten münden sie nach wie vor in Körperverletzungsdelikte, aber die Zahl allgemeiner Bedrohungen ist auffällig angestiegen.

RAA-Geschäftsführerin Andrea Hübler macht auf die „zunehmend gewalttätige rechte Raumnahme“ aufmerksam. Vor allem Jugendliche organisierten sich in Kameradschaften und neonazistischen Strukturen. Bekanntestes Beispiel dürften die Ermittlungen der Bundesanwaltschaft gegen die mutmaßlich rechtsterroristische Gruppe „Sächsische Separatisten“ sein. Wegen seiner Verbindungen zu dieser Gruppe hat der Sächsische Landtag Ende März den AfD-Abgeordneten Alexander Wiesner als Vorsitzenden des Verfassungs- und Rechtsausschusses abgewählt, der erste Vorgang dieser Art seit 1990.

Hitler-Gruß in Auschwitz-Gedenkstätte

Andrea Hübler warnt, solche Gruppen könnten Anschläge planen oder sich „mit Häuserkampf- und Schießtrainings auf einen Tag X vorbereiten“. Sicherlich mit Blick auf die laufenden Beratungen des Landes zum sächsischen Krisenhaushalt 2025/26 und auf Absichten der Bundes-CDU zur Überprüfung von NGOs mahnt sie die fortgesetzte Unterstützung zivilgesellschaftlicher Demokratiearbeit an. „Diese Arbeit verdient Unterstützung und keine Kürzungen oder Diffamierungen über kleine Anfragen!“

Die RAA-Statistik wird untersetzt mit zahlreichen konkreten Fällen. Die vergangenen Tage brachten weitere Beispiele: Am Montag ging über das digitale Kontaktformular der Zwickauer Stadtverwaltung eine an Oberbürgermeisterin Constance Arndt gerichtete Drohmail ein. Ein Absender „Adolf Hitler“, Mail­adresse nsu@gmail.com, warnt sie darin: „Denken Sie an Walter Lübcke. Immer schön aufpassen.“ Der Kasseler Regierungspräsident war 2019 von einem Rechtsextremisten ermordet worden. Die Zwickauer Linke bezeichnete die Morddrohung als „abscheuliche Grenzüberschreitung“.

Am gleichen Tag wurde bekannt, dass bereits am 13. März vier Schüler der Görlitzer Scultetus-Oberschule bei einem Besuch des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau mit einer rassistischen Geste posiert hatten. Sie zeigten das White-Power-Handzeichen, das die vermeintlich weiße Überlegenheit symbolisieren soll. Schule und Schulverwaltung reagierten mit Gesprächen und einem Verweis.

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5 Kommentare

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  • Ich bin sicher, dass unsere Regierung da gleich die echte nationale Notlage erkannt hat, und handelt?



    Das Problem ist, dass auch in der Vergangenheit schon Regierungen noch nie einen Plan hatten, wie man gesellschaftliche Probleme löst. Der Standard ist: wir brauchen mehr Geld für die Polizei (die oft Teil des Problems ist) und schärfere Gesetze. Danke fürs Gespräch.



    Und schon die SPD-geführte Regierung war hier nicht besser. Was soll man da von einer CDSU Regierung erwarten?



    Sachsen wird zur NoGo-Area und die anderen Bundesländer sind auf dem Weg.



    Hat eigentlich schon jemand einen Plan wenn die Nazis aus Sachsen irregulär hierher in den Westen migrieren? Ach nee, nicht nötig. Wir haben hier ja auch schon genug (komme aus Hessen).

    • @Jalella:

      Seit über 30 Jahren wandern jedes Jahr unsere besten jungen Köpfe in den Westen ab, was der Hauptgrund der derzeitigen Misere hier ist. Ihr letzter Absatz liest sich deshalb für mich wie die pure Arroganz und damit Westdeutsch per definitionem.

  • Na, solange es kein muslimischer Messerstecher ist, über den sich Politik, Medien, Gesellschaft empören und erschüttern kann, worauf hin dann ganze Ethnien in Sippenhaft genommen, problematisiert und kriminalisiert werden und Rassisten Wahlkampf führen und demnächst Kanzler werden, ist doch in Ordnung.

    Wie sagte der gute Herr Lüders, wer Wind sät, wird Sturm ernten: Bitteschön Deutschland! Nicht die AfD hat diese Nazis stark gemacht, sondern alle, sogar einschließlich die TAZ. Was hat man denn erwartet, wenn man jeder einzelne Straftat von Muslimen zu Terror Anschlägen, größte Sicherheitsgefahr fürs Land und dringendstes politisches Thema hochpusht, dann suggeriert man, dass es kein dringliches Problem gibt und sich natürlich Widerstand zum Schutz des Vaterlandes formiert. Wer denkt schon bei dem Wort Solingen noch an angezündete, getöteter türkische Familien, die ausgelöscht wurden? Wer denkt schon bei Terroranschlag in Deutschland an in Menschenmengen rasende oder Asylantenheime abfackelnde Deutsche? Und wer denkt noch bei Antisemitismus überhaupt an Deutsche? Für quer durch alle Schichten sind doch nur noch Muslime an fast jedem Übel in diesem Land schuld.



    Die paar Nazis…

    • @Edda:

      Sehr richtig. Dagegen versuche auch schon seit Jahren anzugehen. Profitorientierte Medien sind der Tot der Demokratie.

  • Nach der Wende hat unsere damalige Regierung viel zu lange Nichts für die Menschen getan. Man war mit Abwicklung und Ausverkauf zu beschäftigt.



    Kultur- und Jugendeinrichtungen wurden abgebaut, Sozialarbeit gestrichen, Kosten für Gemeinden wurden zu hoch usw...



    In dieses Vakuum haben sich schon früh Neonazis eingenistet, wir erinnern uns.



    Also angenommen dass dieses Nichtstun einer der Auslöser für diese jetztige Radikalisierung ist: Wäre es dann nicht sinnvoll wenigstens jetzt, 30 Jahre später, viele Mittel (Zeit und Geld) in die Förderung von Gemeindeleben, Schulen und Bildung zu stecken?



    Auch wenn man innerhalb einer Wahlperiode kein "Ergebnis" erhalten wird, sollte ein Politiker so etwas schnellstens befürworten und auch tun.