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Gewalt gegen PolitikerInnenEher Narzissmus als Nazismus

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Wut gegen PolitikerInnen entstammt einer wutbürgerlichen Selbstgerechtigkeit, gerade das macht sie alltäglich. Dagegen helfen nur Beratungsangebote.

Zerstörte Scheibe eines SPD -Bürgerbüros in Karlshorst im Jahr 2020 Foto: Fabian Sommer/picture alliance

I n Deutschland werden fast alltäglich ehrenamtliche Bürgermeisterinnen und Kommunalpolitiker, Dezernatsleiterinnen und Ortsvorsteher beleidigt, bedroht, angegriffen. Das Spektrum reicht von Hassposts und Drohungen über eingeworfene Scheiben bis hin zu körperlichen Übergriffen. Das ist seit Jahren bekannt. Die Attacke auf den sächsischen SPD-Politiker Matthias Ecke hat diese aggressive Demokratieverachtung ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt.

Womit haben wir es tun? Manche beschwören Weimarer Verhältnisse. Aber das ist eine Dramatisierungsfloskel, die wenig erklärt. Die Nazischlägertrupps hinterließen schon vor 1933 Hunderte von Toten. Der Terror war nicht spontan, sondern von oben orchestriert, um die Demokratie ins Chaos zu stürzen. 2024 gibt es auch gezielte faschistische Aktionen und Rechtsradikale, die vom Bürgerkrieg fantasieren. Aber das Bild ist anders.

Diese Aggression ist kein Echo der Vergangenheit, sondern gegenwärtig. Das Phänomen passt zu Coronaleugnern, Querdenkern und einem grenzenlosen, radikalen Individualismus. Die Täter sind oft „Gekränkte“ (Oliver Nachtwey und Carolin Amlinger), die das Recht auf Wut und Widerstand zu besitzen glauben. Um den Staat oder eben den Ortsvorsteher zu hassen, reicht auch die Laterne vor der Tür, die nicht repariert wird, vom Asylbewerberheim im Nachbarort ganz zu schweigen.

Wir haben es mit WutbürgerInnen zu tun, die persönlich beleidigt sind, wenn nicht alles nach ihrer Flöte tanzt. Also eher mit einem militanten Narzissmus und weniger mit einer Wiederkehr des Nazismus. Social Media haben die Schwelle zwischen Frust und Aggression dramatisch gesenkt, sind aber der Katalysator, nicht der Grund.

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Simulierte Tatkraft hilft nicht

Was tun? Es herrscht umtriebiger politischer Aktivismus. Reflexhaft werden Strafrechtsverschärfungen gegen „politisches Stal­king“ gefordert. Dabei können schon jetzt Angriffe gegen MandatsträgerInnen besonders hart bestraft werden. Dass nun Sondergesetze für PolitikerInnen helfen, ist zweifelhaft.

Innenministerin Nancy Fae­ser will mit Polizei und Justiz „ein deutliches Stopp­signal“ geben. Das klingt nur gut. Für schnellere Strafverfahren und mehr Polizei wird es im Ampel-Sparhaushalt weniger Geld geben, nicht mehr.

Studien zeigen, dass Kommunalpoliti­kerIn­nen nur jede siebte Bedrohung anzeigen. Der Grund dürfte Angst sein: als Opfer zu gelten und so noch mehr Hass zu provozieren. Nützlicher als Schnellschussgesetze, die nur Tatkraft simulieren, oder allgemeines Händeringen sind Beratungsangebote vor Ort, wie man sich wehren kann und angemessen reagiert. Das klingt unspektakulär, fast trivial. Gerade weil die Übergriffigkeiten so alltäglich sind, ist das nötig.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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5 Kommentare

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  • Nun können wir ja alle froh und beruhigt sein, wenn man die Schuldenbremse als Staatsziel bewertet und nicht das Allgemeinwohl. Das Demokratiefördergesetz ist eh überflüssig, nur was für Weicheier und ausreichend Personal in der Justiz oder den Ordungskräften geht eben nicht, man muss schließlich sparen. So what??

  • Narzissmus statt Nazismus? Eine Analyse, der ich nur in Teilen zustimmen kann, vor allem, wenn die eine analytische Engführung lediglich durch eine andere ersetzt wird.



    Letztlich redet Stefan Reinecke mit dem Hinweis auf den wutbürgerlichen „Narzissmus“ das Problem nicht klein - das ist nicht mein Vorwurf -, aber er entpolitisiert es weitgehend.



    Ich würde dagegen setzen, dass wir es hier mit einem neuen Faschismus zu tun haben, der neue gesellschaftliche Entwicklungen wie Individualisierung, identitätspolitische Paradigmen, Social-Media-Nutzung etc. geschickt aufgreift, um sie seiner Ideologie und Strategie einzufügen. Natürlich, der te Braun/Schwarzhemden-Faschismus, später der rüde-primitive Springerstiefel-Nazismus ist passé, er kommt jetzt bürgerlich, jung, modern, europäisch, sozusagen mit Schirm, Charme und Meloni daher.



    Was von seiner historischen Substanz geblieben ist? Der Rekurs auf Gewalt als Stilmittel der politischen Auseinandersetzung, überhaupt auf die Verherrlichung des Gewaltmythos.



    Damit jedoch ist er in weite Teile der Politik und Gesellschaft bereits eingedrungen, alles, was irgendwie mit Appeasement, Pazifismus etc. in Verbindung gebracht werden kann, gilt als verweichlicht oder dekadent.



    Wehret den Anfängen?

  • Lieber Herr Reinecke, ich weiß nicht, ob mit Titulierungen wie „Feinde der Demokratie“ gegen beinahe alles, was den eigenen Standpunkt nicht teilt, irgendein Fortschritt zu erreichen ist.

  • Also, AFD Politiker werden ebenfalls häufig körperlich angegriffen. Das Problem als "rechtes" Problem darzustellen greift dalso deutlich zu kurz. Soviel Ehrlichkeit darf sein.

    • @Nachtsonne:

      Laut Statista werden Politiker der Grünen am häufigsten Opfer. Danach folgen Politiker der Afd mit einem gewissen Abstand.