Getötete Kinder als Titelfotos: Journalismus oder Propaganda?
Nachricht oder politische Inszenierung: Fotos von getöteten Kindern sind Usus in der Berichterstattung aus dem Gaza-Krisengebiet. Wer macht die Bilder?
JERUSALEM taz Als Mohammad Salem die Nachricht vom Tod der 21 Monate alten Salasabeel Abu Jalhoum im Radio hörte, wusste er, welche Geschichte er an diesem Tag verfolgen würde. Seit vier Jahren knipst der Fotograf für Reuters. "Wenn es eine Beerdigung von einem Kämpfer gibt und eine von einem Kind, dann gehe ich zu dem Kind", sagt der 21-Jährige. "Das Kind ist schließlich unschuldig. Es hat nichts verbrochen." Dass diese Wahl politisch motiviert ist, streitet Salem ab. Bei der jüngsten Operation der israelischen Armee seien besonders viele Kinder ums Leben gekommen, sagt er.
Salasabeel spielte mit ihren Geschwistern im Haus ihrer Eltern, als sie am Sonntagmorgen von den Splittern einer Rakete getötet wurde, die unmittelbar bei den Nachbarn einschlug. Mit schweren Blutungen am Kopf griff der Vater Majib Mohammad das Mädchen und brachte es und drei seiner ebenfalls verletzten Söhne sofort ins Krankenhaus. Nach sechs Stunden, in denen die Ärzte das Baby zu retten versuchten, starb Salasabeel. "Sie (die israelischen Soldaten) haben ganz plötzlich aus der Luft angegriffen", berichtet ihr Vater. Aus dem Viertel seien vorher "keine Kassams abgeschossen" worden.
Das tote Mädchen - abgebildet auch auf dem taz-Titel von Montag - wird zunächst nach Hause, ins Flüchtlingslager Dschabalia, gebracht und von dort aus zur Moschee, schon eingehüllt in das grüne Tuch der Hamas. "Die Hamas bezahlt die Beerdigung", sagt Majib Mohammad, der arbeitslos ist und die hohen Kosten dafür nicht tragen könnte. Neben Trauerfeier und Bestattung muss die Verpflegung der Trauergäste bezahlt werden, die der Familie in den drei Tagen nach dem Todesfall Beistand leisten. Rund 3.000 US-Dollar müsse man dafür aufbringen, schätzt Majib Mohammad. "Wenn die Fatah uns Hilfe angeboten hätte, dann wäre uns das auch recht gewesen." Dann wäre der tote Körper von Salasabeel in ein blaues Tuch gewickelt worden.
Mohammed Salem verfolgt mit seiner Kamera die letzten Stationen bis zum Friedhof. Salem war selbst noch Kind, als zwei seiner Brüder während der ersten Intifada von israelischen Soldaten erschossen wurden. Oft entscheide er eigenständig über seine täglichen Projekte, es sei denn, die Redaktion habe andere Wünsche. Die Auswahl der Bilder, die an die Redaktion gegeben werden, werde nach "strikt professionellen Kriterien" vorgenommen, erklärt Salem. Seiner Ansicht nach kontrolliere weder die Hamas die Journalisten bei ihrer Arbeit noch versuche sie Einfluss zu nehmen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg