Geteilte Stadt: Kleine Boote, dicke Pötte
Der neue Bericht zur sozialen Lage in Bremen ist da: Er zählt mehr Reiche, aber auch mehr Armutsgefährdete. Die soziale Spaltung in Bremen nimmt weiter zu.
BREMEN taz | Die soziale Spaltung in Bremen nimmt weiter zu. So steht es im zweiten Armuts- und Reichtumsbericht des Senats. Die rot-grüne Regierung ist aber nicht unzufrieden. Ganz im Gegenteil.
Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) nennt die Analyse einen „ungeschminkten Blick auf die sozialen Verhältnisse in Bremen“ und spricht gar von einer „positiven Entwicklung“. Seine grüne Sozialsenatorin Anja Stahmann lobt „Erfolge“, „richtige Weichenstellungen“ und Anstrengungen, die sich gelohnt hätten.
Auf gut 300 Seiten hat ihr Ressort Zahlen, Daten und Fakten zusammengetragen. Zum Beispiel diese: Fast ein Viertel aller BremerInnen ist armutsgefährdet. Sie haben also, wenn sie allein leben, weniger als 869 Euro im Monat. Das sind mehr als noch 2009, mehr als in allen anderen Ländern, mehr als in den meisten übrigen Großstädten. Für eine vierköpfige Familie liegt die Schwelle bei etwa 2.000 Euro. Und Kinder sind ein Risiko: Die Hälfte aller Alleinerziehenden gilt als armutsgefährdet.
Auf der anderen Seite steigt die Zahl an BremerInnen, die mehr als 2.600 Euro im Monat verdienen. Die Zahl der Millionäre hat sich allein zwischen 2004 und 2007 mehr als verdoppelt. Und die Einnahmen aus Vermögen sind zwischen 2005 und 2011 gar um 37 Prozent gestiegen – stärker als in jedem anderen Bundesland. Da sind selbst Bayern und Hamburg weit abgeschlagen.
Auf der Liste der 500 reichsten Deutschen, die das Manager Magazin jährlich veröffentlicht, standen 2013 gleich mehrere Bremer und Bremerhavener:
Platz 161: Klaus-Peter Schulenberg (Ticket-Vertrieb): 750 Millionen Euro
Platz 213: Familie Lürssen (Schiffsbau): 550 Millionen Euro
Platz 287: Familie Koch (Isoliertechnik): 400 Millionen Euro
Platz 456: Friedrich Dieckell (Immobilien): 250 Millionen Euro
Platz 471: Heiko Wührmann (Tiernahrung): 250 Millionen Euro
„Wir dürfen nicht zulassen, dass es ein separierte Welt gibt“, sagt Böhrnsen dann. Eine, in der es arme und reiche Stadtteile gebe. Aber das Durchschnittseinkommen in Horn ist mit über 100.000 Euro im Jahr sechsmal so hoch wie in den ärmsten Ortsteilen in der Neuen Vahr und Gröpelingen. Und gut verdienende Menschen, auch das steht in Bericht, die sucht man in jenen Vierteln fast vergeblich.
Gleichwohl, so sagt der Sozialdemokrat, habe sich die soziale Lage in Bremen „deutlich verbessert“. Begründung: Die Zahl der arbeitslosen, ja sogar die der langzeitarbeitslosen Menschen sei gesunken, und die der Schulabbrecher auch. Zudem seien zwischen 2009 und 2013 über 16.000 neue und sozialversicherungspflichtige Jobs entstanden. Dennoch liegt die Arbeitslosenquote weiter deutlich über dem Bundesdurchschnitt und der aller anderen Länder.
Und nicht nur das Land, auch viele seiner BewohnerInnen sind überschuldet. 43.000 Haushalte befinden sich da in einer „kritischen Situation“, allein 9.600 in Bremerhaven. Zwar ist die Schuldenquote in Bremen leicht rückläufig, dafür steigt sie in Bremerhaven seit Jahren beständig an – und liegt mit 20 Prozent nun mehr als doppelt so hoch wie im Bund. Stahmann erkennt trotzdem eine „positive Entwicklung“, also: in Bremen.
Was ein Land wie Bremen gegen die zunehmende soziale Spaltung hier tun kann? „Armut heilen wir nicht durch Handauflegen“, sagt Stahmann. „Die Einwirkungsmöglichkeiten sind nicht zu überschätzen“, sagt Böhrnsen. Einmal mehr spricht er im warmen, väterlichen Tonfall von einer „riesigen Herausforderung“ und der „ausdrücklichen Aufforderung an uns alle“. Und von „vielen Faktoren“, die eine Landessregierung „nicht beeinflussen“ könne. Zum Beispiel die Steuergerechtigkeit: „Da könnte ich Ihnen viel erzählen.“ Macht er aber nicht. Sondern spricht lieber über einer „breite Übereinstimmung“ mit den örtlichen Wirtschaftsführern. Über die Verbesserungen in der frühkindlichen Bildung. Von „niedrigschwelligen Zugängen“ zum kulturellen Leben. Oder über 150 neue Wohnungen in der Überseestadt, die auch für nicht ganz so Besserverdienende bezahlbar sein sollen.
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