Gesundheitszentrum ersetzt Krankenhaus: Versuch einer Heilung
In Ankum-Bersenbrück hat Niedersachsens erstes Regionales Gesundheitszentrum eröffnet. Geschlossen wurde dafür das örtliche Krankenhaus.
![Das Marienhospital Ankum-Bersenbrück Das Marienhospital Ankum-Bersenbrück](https://taz.de/picture/6199530/14/N2-auf-212mm-1.jpeg)
In Ankum-Bersenbrück gilt: nicht mehr. Das 163 Jahre alte Marienhospital ist tot. Vor der Umwandlung war es ein klassisches Grundversorgungs-Krankenhaus. 115 Betten groß, beschäftigte es rund 360 Mitarbeitende. Jetzt, als RGZ, hat es nur noch 15 Betten, die Zahl der Beschäftigten ist auf 125 gesunken. Ein Wandel, möglich geworden durch das Anfang des Jahres in Kraft getretene neue Niedersächsische Krankenhausgesetz, das eine enge Kombination von Stationärem und Ambulantem erlaubt.
Der Wandel zum RGZ werde, sagt Philippi, „den Bürgerinnen und Bürgern direkt zu Gute kommen“. Sonderlich glücklich waren viele dieser Beschenkten allerdings nicht: Tausende von ihnen sind für ihr altes Krankenhaus auf die Straße gegangen, mit Plakaten wie „Finger weg!“, Wut ist hochgekocht, Enttäuschung.
„Ich kann den Unmut der Bevölkerung nachvollziehen“, sagt Werner Lullmann der taz, Geschäftsführer der Niels-Stensen-Kliniken, die sich selbst als „größten Gesundheitsverbund im Raum Osnabrück und dem Emsland“ bezeichnen und das Marienhospital zum RGZ umstrukturiert haben. „Leider war da viel Uninformiertheit im Spiel; die Politik informiert die Bevölkerung ja generell sehr schlecht über die Rahmenbedingungen der Gesundheitsversorgung.“ Insgesamt gelte für Ankum und Bersenbrück: „In Summe wird die Versorgung der Bevölkerung besser. Es geht mehr in Richtung Spezialisierung, Ambulanz. Allerdings werden die Menschen dafür weitere Wege in Kauf nehmen müssen.“
Das RGZ bewahrt die Kommune vor einem Sturz ins medizinische Nichts. Jetzt hat die neue Ära begonnen. Mit einer chirurgischen, einer internistischen und einer orthopädischen Praxis. Plus, demnächst, Kurzzeit- und Langzeitintensivpflege.
Werner Lullmann, Geschäftsführer Niels-Stensen-Kliniken
Allerdings gibt es keine Intensivstation mehr, keine 24/7-Notfallversorgung. Die Geburtshilfe verschwindet absehbar ins rund 20 Kilometer entfernte Quakenbrück.
Wer eine Gelenkersatz-OP braucht, wird in Ankum nur ambulant nachbetreut. Wer einen Herzinfarkt oder Schlaganfall hat, wird zwar erstversorgt, dann aber verlegt. Ein Polytrauma, nach einem Verkehrsunfall? Im RGZ hat es nichts zu suchen. Einfaches, von der Armfraktur bis zur Blinddarmentfernung, geht aber nach wie vor.
„Die Medizin verändert sich“, sagt Werner Lullmann. „Sie spezialisiert sich immer mehr. Früher wandte man sich mit allem an den Grundversorger, heute geht man zur optimalen Behandlung in große Zentren, für mehr Behandlungstiefe und Expertise. Die Verfeinerung der medizinischen Techniken führt zudem dazu, dass heute ambulant behandelt werden kann, was früher einen mehrtägigen Klinikaufenthalt erfordert hat.“
Das Marienhospital steht heute halb leer. Sein Tod hatte auch wirtschaftliche Gründe: Vor der Umwandlung, für die das Gesundheitsministerium bis zwei Millionen Euro als Fördermittel zuschießt, war die Auslastung dürftig. Durchschnittlich lagen nur 60 Stationärpatienten hier – jedes zweite Bett war leer.
Dass sich das Marienhospital nur als RGZ über Wasser halten kann, spiegelt ein bundesweites Phänomen: Deutschlands Krankenhäusern geht es schlecht.
Gerald Gaß, der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), hat Mitte März auf dem „Krankenhausgipfel“ der DKG in Berlin eine alarmierende Bilanz gezogen: „Wegen des fehlenden Inflationsausgleichs sind bis Ende 2022 bereits 6,7 Milliarden Euro an Defiziten aufgelaufen, und aktuell kommen jeden Monat 740 Millionen Euro dazu“, sagte Gaß. „Die Krankenhäuser liegen im Schockraum der Notaufnahme, und viele Kliniken werden die politische Therapie des Abwartens nicht überleben.“
„Auf Geschäftsführerebene machen wir uns große Sorgen, wie wir die medizinische Versorgung in Zukunft aufrecht erhalten können“, sagt Lullmann. „Die Bundespolitik zieht da gerade den Stöpsel, und die Finanzierung wird immer schlechter. Man lässt das Gesundheitspersonal im Regen stehen.“ Sein Eindruck ist: „Bundesgesundheitsminister Lauterbach ist es egal, ob Kliniken in die Insolvenz gehen. Es wirkt so, als wolle man sie böswillig empfänglicher für die große Gesundheitsreform machen, die für Ende des Jahres angekündigt ist.“
Dass in Ankum 260 Arbeitsplätze weggefallen sind, sieht er nicht als Problem: „Wir haben immer gesagt: Jeder, der möchte, wird auch in Zukunft einen sicheren Arbeitsplatz bei uns im Verbund haben, nur eben nicht mehr am Standort Ankum. Für alle anderen gilt: Sorge, länger arbeitslos zu sein, muss niemand haben, denn die personellen Engpässe im Gesundheitswesen sind groß.“
„Als Land haben wir selbstverständlich ein großes Interesse daran, dass alle Menschen in Niedersachsen medizinisch gut versorgt werden“, sagt Anne Hage, Sprecherin des Gesundheitsministeriums, der taz, über die RGZ als „neue Form der medizinischen Versorgung“. Deshalb sei man bereit, ihren Aufbau zu unterstützen, „wenn die Akteure vor Ort sich dafür entscheiden“.
Es gebe „weitere Interessenten und Bewerbungen, die allerdings derzeit noch in der Begutachtung sind“. Das Ministerium rechne mit drei bis sechs weiteren Standorten in den kommenden Jahren.
Mit den ebenfalls gesundheitsversorgerischen Regionalen Versorgungszentren (RVZ), ein Modellprojekt seit 2020, dürfen die RGZ übrigens nicht verwechselt werden. Sie werden durch das Niedersächsische Ministerium für Regionale Entwicklung gefördert. Es handle sich um „unterschiedliche Modelle“, erklärt Hage. Ein wesentlicher Teil des RVZ-Konzepts sei die Einbindung eines hausärztlichen Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) in kommunaler Trägerschaft.
RGZ, RVZ, MVZ? „Selbst Fachleute werfen das durcheinander“, sagt Klinikbetreiber Lullmann. „Generell gilt: Wir müssen der Bevölkerung die Notfallversorgung viel transparenter erklären. Dafür sind solche verwechselbaren Begrifflichkeiten nicht produktiv.“
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