Gesundheitsversorgung in der Krise: Viele kranke Häuser
In Schleswig-Holstein sind Kliniken in finanziellen Schwierigkeiten. Um die Versorgung zu erhalten, soll das Land einspringen.
Das gilt auch für die kommunalen Imland-Kliniken in Rendsburg und Eckernförde. Der dortige Landrat Rolf-Oliver Schwemer (parteilos) wirkt eigentlich, als könne ihn wenig erschüttern. Aber das Ergebnis eines Bürgerentscheids macht ihn ratlos. Der Kreis Rendsburg-Eckernförde wollte die beiden kreiseigenen Häuser neu strukturieren, doch zwei Drittel der Bürger*innen stimmten dagegen.
Wie es weitergeht? Schwemer zuckt am Rand einer Veranstaltung in Kiel mit den Schultern. Ihn plagen weitere Sorgen: Das Krankenhaus dürfte „ab dem späten Frühling 2023 vorläufig zahlungsunfähig“ sein, heißt es in einer Pressemitteilung. Dramatisch ist das, weil Kliniken zum Jahresende ihre wirtschaftliche Situation offenlegen müssen, um ein Testat ihrer Liquidität für die kommenden Monate zu erhalten. „Das werden die meisten Häuser in der aktuellen Lage kaum hinbekommen“, vermutet Heiner Garg, FDP-Gesundheitsexperte und ehemaliger Gesundheitsminister des Landes.
Schuld ist ein perfekter Sturm aus Inflation und hohen Energiekosten, kombiniert mit den noch nicht kompensierten Verlusten aus den Coronajahren, als die Kliniken OPs streichen und Betten freihalten mussten. Das trifft Kliniken bundesweit und Schleswig-Holstein noch etwas härter: Hier war die Corona-Inzidenz teilweise so niedrig, dass Krankenhäuser keine Beihilfen bekamen. Für die 76 Kliniken unter dem Dach der Krankenhausgesellschaft Schleswig-Holstein (KGSH) erwartet deren Geschäftsführer Patrick Reimund für dieses Jahr einen Fehlbetrag von rund 131 Millionen Euro.
Investitionskosten für Neubauten und Sanierungen zahlen die Länder – allerdings vielerorts zu knapp, sodass Sanierungsstau besteht.
Die Betriebskosten erwirtschaften die Kliniken über Behandlungen. Bezahlt werden Pauschalsummen, die sich nach der diagnostizierten Krankheit richten. Damit sind einige OPs oder Therapien wirtschaftlich sinnvoller als andere.
Je nach Bundesland werden die Pauschalen mit einem anderen Faktor multipliziert. Dieser Landesbasisfallwert soll regionale Kostenunterschiede ausgleichen und wird zwischen Kliniken und Kassen ausgehandelt.
Der Bund hat zwar Hilfen versprochen, doch das Geld ist noch nicht da. „Bis es verfügbar ist, muss das Land den aktuell in Not geratenen Krankenhäusern finanziell unter die Arme greifen“, fordert Oppositionspolitikerin und SPD-Gesundheitsexpertin Birte Pauls. „Selbstverständlich“ prüfe die Regierung, welche Unterstützungsmöglichkeiten es gebe, sagt ein Sprecher der Gesundheitsministerin Kerstin von der Decken (CDU). So habe ein Krankenhaus bereits ein Liquiditätsdarlehen aus den Coronahilfen erhalten. Denkbar seien auch Darlehen aus dem Mittelstandssicherungsfonds des Wirtschaftsministeriums. Vor allem aber zeigt das Land auf den Bund.
„Es stimmt schon, das Land ist eigentlich nicht für Betriebskosten zuständig“, sagt Garg, der von seiner Amtsnachfolgerin in dieser Ausnahmesituation mehr Flexibilität erwartet: „Wirtschaftsprüfer werden kein Testat auf Basis eines Tweets von Karl Lauterbach erteilen. Deshalb braucht es jetzt Garantien vom Land.“
Doch auch wenn die öffentliche Hand die Löcher stopft, bleibt die Krankenhauslandschaft in Bewegung. Es fehlt nicht nur an Geld, sondern vor allem an Personal. Zudem gibt es neue Vorgaben zu Qualitäts- und Mindeststandards vom gemeinsamen Bundesausschuss, dem Steuerungsgremium aus Krankenkassen, Ärzteschaft und Krankenhausgesellschaft.
Die Politik greift bisher nur zögerlich ein – eine Ausnahme ist Niedersachsen, wo der Landtag im Juni mit großer Mehrheit eine Reform des Krankenhausgesetzes beschloss. Ziele sind „eine wohnortnahe Versorgung einerseits und hochwertige Behandlungen andererseits“, fasst die Nachrichtenagentur dpa zusammen. Das Land rechnet damit, dass von den 168 Krankenhäusern 30 bis 40 im Laufe der kommenden Jahre wegfallen und teils durch „regionale Gesundheitszentren“ ersetzt werden.
Schleswig-Holstein hat erst 2020, als letztes Bundesland, ein Krankenhausgesetz erlassen. Aktuell entsteht auf dieser Basis ein neuer Landeskrankenhausplan, der laut Ministerium voraussichtlich in 2024 vorgelegt werden soll. Dort wird auch festgelegt, was mit den Imland-Kliniken im Kreis Rendsburg-Eckernförde passiert. Der Kreis will sich dem Votum des Bürgerentscheids beugen und beantragen, dass alles bleibt, wie es ist. Das werde geprüft, teilt das Ministerium mit, aber „es deutet aktuell wenig darauf hin, dass dieses Szenario die fachlichen Kriterien erfüllen kann“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten
Nordkoreas Soldaten in Russland
Kim Jong Un liefert Kanonenfutter
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken