Gesundheit in Deutschland: Der lange Weg zur Revolution
Kann das Kliniksterben aufgehalten werden? Klar ist, Krankenhäuser brauchen mehr Geld. Doch die Länder sehen sich finanziell am Limit und wollen erst einmal verhandeln.
Eine konkrete Antwort hat an diesem Donnerstag keiner. „Das Bett als Finanzierungsgrundlage hat ausgedient“, sagt Karl-Josef Laumann (CDU), Gesundheitsminister in Nordrhein-Westfalen. Seine niedersächsische Ressortkollegin Daniela Behrens (SPD) spricht von einer „Mammutaufgabe“ und von der Sicherstellung der medizinischen Versorgung in Deutschland. Behrens setzt auf eine Reform, die mindestens „die nächsten 15 Jahre hält“. Aber sie sagt auch: Eine hochqualitative Anwendung von Krebsbehandlungen brauche man nicht überall an allen Krankenhäusern. Eine Geburtshilfe dagegen schon. Alle Länder wollen aber, dass die Krankenhausplanung in ihren Händen bleibt.
Arbeitsgrundlage für das Treffen am Donnerstag war ein Vorschlag für ein besseres Vergütungssystem. Ausgearbeitet von einer Expert:innenrunde mit dem sperrigen Namen „Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung“. Bei der Vorstellung des Reformvorschlags Anfang Dezember wurde nicht mit markigen Worten gespart. Lauterbach sprach von einer Revolution. Und Christian Karagiannidis, Intensivmediziner und Mitglied der Kommission, warnte, dass es sich um den letztmöglichen Zeitpunkt handele, um den „Tanker Krankenhausversorgung vorm Kentern herumzureißen“.
Wirtschaftlichkeit nicht komplett in den Hintergrund
Im Kern geht es bei dem Vorstoß darum, die Behandlung in den knapp 2.000 Krankenhäusern künftig mehr an medizinischen statt an ökonomischen Kriterien auszurichten. Dazu soll – wie Lauterbach es formuliert – das Fallpauschalen-System überwunden werden. Seit 2004 werden fast alle Behandlungsleistungen in den Kliniken über Fallgruppen abgerechnet. Der Effekt: Schwierige und spezielle Operationen, bei denen Patient:innen aber nicht lange im Krankenhaus bleiben müssen, rentieren sich mehr als langwierige Behandlungen, die längere Klinikaufenthalte erfordern.
Getroffen hat es vor allem kleinere Krankenhäuser, die eigentlich nicht in der Lage waren, Spezialbehandlungen wie komplizierte Krebstherapien anzubieten. Damit die Kliniken dennoch viel Gewinn abwerfen, wurden teurere Eingriffe bevorzugt und Ärzt:innen dafür mit Prämien belohnt. Die Geburtshilfe oder die Kinder- und Jugendmedizin wurden dagegen als unrentabel gesehen und vernachlässigt. Kliniken mussten schließen.
Jetzt soll die Wirtschaftlichkeit zwar nicht komplett in den Hintergrund geraten, aber die Fallpauschalen „weiterentwickelt werden“. Werden sie gesenkt, soll das auch die Anreize senken, möglichst viele Patienten zu behandeln. Im Gegenzug sollen die Kliniken feste Beträge für Personal, eine Notaufnahme oder notwendige Medizintechnik bekommen. Zudem sollen sie bundesweit drei Kategorien zugeordnet werden: Kliniken zur Grundversorgung, zur „Regel- und Schwerpunktversorgung“ und zur „Maximalversorgung“.
Aber: Die Sorge in den Ländern ist groß, dass die Reform kleinere Kliniken zum Aufgeben zwingt, vor allem im ländlichen Raum, wie Brandenburgs Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) glaubt. Die Reform betrifft nur die Betriebskosten der Krankenhäuser. Bei den Investitionskosten sind die Länder gefragt.
Kathrin Vogler, gesundheitspolitische Sprecherin der Linksfraktion, ist skeptisch. Sie fordert eine Abschaffung der Fallpauschalen. „Der Notstand in den Krankenhäusern ist Ergebnis der Regierungspolitik der letzten Jahrzehnte“, sagte Vogler der taz. Nur noch rund 200 aller Kliniken hätten eine Kinderstation. „Und auch diese können nicht alle betrieben werden, weil es zu wenige Pflegekräfte gibt und in der akuten Krankheitswelle auch noch viele ausfallen.“
Zum Abschluss des Treffens spricht Lauterbach von einem „Konsens, den er gespürt hat“. Er weiß, dass er die Länder braucht, damit die Reform wirklich zündet. Bis zur Sommerpause will er gemeinsam mit den Ländern einen Vorschlag erarbeiten, der dann in einen Gesetzentwurf münden soll.
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