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Gesunde ErnährungWarum Nahrungsstudien komplex sind

Ernährungsstudien unterliegen nicht den Standards wie etwa Medizin. Dennoch ist die Ernährungsforschung auf dem Weg zu einer harten Wissenschaft.

Gesunde, ausgewogene Ernährung Foto: Robert Schlossnickel/plainpicture

Intervallfasten, grüne Smoothies, Haferkur – viele Menschen interessieren sich für gesunde Kost. Laut einer Umfrage der Techniker Krankenkasse aus dem Jahr 2023 finden neun von zehn Personen gesundes Essen wichtig oder sehr wichtig. Doch woher erhalten die Menschen ihre Ernährungsinformationen?

Eine Blitzumfrage im Bekanntenkreis: „Ernährst du dich nach den offiziellen Empfehlungen?“ Zwei Antworten: „Nein, die ändern sich doch ständig.“ Oder: „Nein, die Wissenschaftler sind doch alle gekauft, ich folge da einem tollen YouTuber.“ 60 Prozent der Menschen geben an, verunsichert zu sein, was gesunde Ernährung angeht, liest man im Handbuch Ernährungskommunikation.

Auch in der Wissenschaft wird die Ernährungswissenschaft teils als „Ungefähr-Wissenschaft“ belächelt, die keine definitiven und unangreifbaren Ergebnisse liefert. Der bekannteste Kritiker ist der Statistik-Forscher John Ioannidis von der Stanford University. Er hat zum Beispiel zahlreiche Lebensmittelstudien durchforstet und ist zu dem Schluss gekommen, dass es eigentlich für alle Lebensmittel, auch für solche, die allgemein als gesund gelten, wie zum Beispiel Gemüse, Studien gibt, die sie als krebserregend darstellen. Demnach sei jedes Lebensmittel potenziell krebserregend. Versagt hier also ein ganzer wissenschaftlicher Zweig?

Tatsächlich ist die Ernährungsforschung nicht ganz trivial. Man kann hier nicht wie bei Pharmastudien der einen Probanden-Gruppe eine Pille mit Wirkstoff verabreichen und der anderen ein Placebo. Auch eine Verblindung ist kaum möglich, da die Studienteilnehmenden sehen, ob man Fleisch auf dem Teller liegen hat oder Hülsenfrüchte. Und man kann auch niemandem zumuten, zum Beispiel jahrelang auf Zucker zu verzichten, während man der anderen Gruppe eine Zuckerdiät verordnet. So genannte Randomisiert-kontrollierte-Studien (RCTs), die als medizinischer Goldstandard gelten, sind daher in der Ernährungswissenschaft selten, wenn es um „harte“ Endpunkte wie Typ-2-Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Krebs geht.

Die Beobachtungsstudie

Dafür gibt es viele Beobachtungsstudien. Das heißt, dass Forschende sich zum Beispiel die Ernährungsweisen einer bestimmten Gruppe ansehen und über Jahre hinweg beobachten, ob und welche Leiden die Teilnehmenden entwickeln. Diese Studienvariante gilt im Vergleich zu RCTs als weniger vertrauenswürdig, da hier lediglich Korrelationen und keine Ursache-Wirkungs-Beziehungen offen gelegt werden. „Allerdings bringen viele dieser Beobachtungsstudien, egal ob aus den USA oder aus Europa, ähnliche Ergebnisse, etwa dass gezuckerte Getränke das Risiko für Übergewicht und Diabetes erhöhen“, sagt Matthias Schulze vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung. „Beobachtungsstudien wurden bislang unterschätzt“, sagt auch Benedikt Merz, Wissenschaftler am Max Rubner-Institut (MRI).

Erst kürzlich erfolgte der Startschuss für eine großangelegte neue Beobachtungsstudie, die Coplant-Studie, an der das MRI, das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) und auch diverse universitäre Partner beteiligt sind. Dabei sollen rund 6.000 Teilnehmende rekrutiert und rund 20 Jahre beobachtet werden. „Wir wollen mit der Studie eine Forschungslücke schließen, da wir moderne vegetarische und vegane Ernährungsweisen auch in verschiedenen Gruppen wie etwa bei Schwangeren oder Kindern untersuchen“, sagt MRI-Studienleiter Merz.

Frühere Studien stammen vor allem aus den 1990er Jahren und bescheinigen vegan und vegetarisch lebenden Menschen eine schlankere Linie, niedrigere Blutfettwerte, weniger Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie teilweise weniger Krebs. Dagegen leiden Veganerinnen und Veganer gemäß dieser Studien häufiger an Osteoporose. Die erste Generation der Pflanzen-Fans aß jedoch vor allem Hülsenfrüchte und Tofu, also wenig oder gar nicht verarbeitete Lebensmittel.

Heute gibt es hingegen eine Vielzahl an Ersatzprodukten für tierische Lebensmittel – egal ob Nuggets aus Pilzprotein, Wurst aus Erbsen oder Milch auf Lupinenbasis. „Zwar kann man aus den Nährwertangaben ungefähr auf das Gesundheitspotenzial schließen, aber ob die teils hoch verarbeiteten und oft nährstoffarmen Produkte auf Dauer Krankheitsrisiken bergen, ist derweil unklar“, sagt Merz. So limitiert etwa die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) in ihren Qualitätsstandards für die Verpflegung in Kitas pflanzliche Ersatzprodukte für Fleisch und Fisch auf maximal 4 Portionen in 20 Verpflegungstagen. „Auch wenn die Produkte aus Pflanzen bestehen, die als gesund gelten, kann man die daraus hergestellten Produkte nach aktuellem Kenntnisstand nicht rundweg empfehlen“, sagt Merz. „Hier soll unsere Studie Klarheit bringen.“

Damit die Studie möglichst gute Ergebnisse liefert, setzen die Coplant-Wissenschaftler auch auf Biomarker im Blut oder im Urin der Probanden. Damit kann man abschätzen, ob die Lebensmittelangaben realistisch sind. Aus der Natriumausscheidung im Urin kann etwa die Salzaufnahme zurück gerechnet werden. Denn auch die Erfassung der Ernährung, was und wie viel gegessen wird, war lange ein Kritikpunkt. Schließlich schummeln Menschen gerne etwa bei Zucker, Fettreichem oder Alkohol. Für die Coplant-Studie wurde daher eine eigene App entwickelt, die den Probanden dabei hilft, grammgenau den Speiseplan zu protokollieren.

„Ernährungsstudien werden kontinuierlich verbessert, und wir machen große Schritte in die richtige Richtung“, sagt Matthias Schulze vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung (DlfE). Es ist dabei schon lange Standard, Störvariablen wie Bewegung oder Raucherstatus herauszurechnen. „Heute zeigen viele Studien, dass pflanzenbetonte Ernährungsweisen die Gesundheit verbessern, unabhängig davon, ob Personen weniger rauchen oder mehr Sport treiben“, sagt Schulze.

Neue Empfehlungen

Neben dem geringen Wissenstand in Sachen pflanzliche Ersatzprodukte sind auch soziale Faktoren in der Ernährungswissenschaft bislang kaum beleuchtet. Auch hier will die Coplant-Studie Wissen schaffen. DIfE-Forscher Schulze nennt eine personalisierte Ernährung als weiteres wichtiges Forschungsfeld. „Wir vermuten, dass Lebensmittel je nach Genetik, Mikrobiom oder auch Stoffwechsellage von Mensch zu Mensch unterschiedlich wirken, sind aber weit weg davon, entsprechende Empfehlungen geben zu können.“

Jürgen Meerpohl, Direktor von Cochrane Deutschland, einem ThinkTank, der Übersichtsarbeiten zu medizinischen Fragestellungen erstellt, sieht insbesondere noch methodische Lücken im Bereich großer, sorgfältig geplanter und durchgeführter Ernährungsstudien, die über viele Jahre hinweg beispielsweise die Auswirkungen von Milch und Milchprodukten auf gesundheitliche Endpunkte untersuchen. Allerdings lobt er auch, dass sich die Forschungsmethodik im Bereich von beobachtenden Studien in den letzten Jahrzehnten weiterentwickelt habe. So würden zunehmend auch systematische Reviews und Meta-Analysen im Ernährungsbereich durchgeführt, die die gesamte Evidenzlage zu einer Fragestellung berücksichtigen.

Solche Reviews sind auch Grundlage für die Formulierung von Ernährungsempfehlungen. Erst kürzlich hat die DGE ihre neuen Empfehlungen verkündet. Im Vergleich zu vorher ist hier etwas weniger Fleisch und Milch vorgesehen. Tatsächlich ändern sich die offiziellen Ernährungsempfehlungen nicht ständig. Schon lange ist klar, dass mehr Pflanzenkost und weniger Tierisches gesünder ist.

Ernährungsstudien werden kon­tinuier­lich verbessert

Matthias Schulze, Ernährungsforscher

Wie entsteht dann der Eindruck widersprüchlicher Informationen? Laut den Autorinnen des Handbuchs für Ernährungskommunikation weckten auch Lebensmittelskandale und mediale Skandalisierungen ein Gefühl der Verunsicherung. „Nur rund 11 Prozent der Medienbeiträge entsprechen der tatsächlichen Evidenzlage“, schreiben die Wissenschaftlerinnen. Aber auch selbst ernannte Ernährungsexperten verdienen mit ihren Sonderdiäten auf dem Buchmarkt oder in Social Media Geld und verbreiten so Halbwahrheiten. Und da sind grüne Smoothies oder Scheinfasten natürlich „more sexy“ als eine Handvoll Nüsse täglich, wie sie die DGE empfiehlt.

Neben der wissenschaftlichen Beweislage orientieren sich Empfehlungen auch immer an den kulturellen Gepflogenheiten. Und neuerdings werden auch Nachhaltigkeitsaspekte berücksichtigt. Wer sich überwiegend von Obst und Gemüse, Vollkorngetreide, Hülsenfrüchten, Nüssen und pflanzlichen Ölen ernähre, schütze nicht nur seine Gesundheit, sondern auch die Umwelt, so liest man bei der DGE. Dabei betont Anna Carolin Schäfer, die dem Referat Wissenschaft der DGE angehört: „Empfehlungen führen nicht zu Verboten, sondern können Orientierung bieten.“

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6 Kommentare

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  • Und die gesundheitlichen Folgen davon, dass ein Mensch 20 Jahre lang "grammgenau" sein Esssen protokolliert ???? Aufm Händi ? Jedemal, wenner den Mund aufmacht ? Gottogott ...

  • "Wer sich überwiegend von Obst und Gemüse, Vollkorngetreide, Hülsenfrüchten, Nüssen und pflanzlichen Ölen ernähre, schütze nicht nur seine Gesundheit, sondern auch die Umwelt, so liest man bei der DGE."

    Das kann nicht richtig sein. Es kommt doch u. a. darauf an, was im Einzelnen angebaut wird, ob für die Anbauflächen Wald gerodet wird, wie gedüngt wird, welche Pestizide eingesetzt werden, wie das Verhältnis zwischen Umweltbelastung und Ertrag ist und ob die pflanzlichen Produkte z. B. in einem wasserarmen Land zum Zweck des Exports in ein wasserreiches Land angebaut werden, um mal ein paar wesentliche Faktoren zu nennen. Die DGE macht es sich sehr einfach.

    • @Budzylein:

      Verweisung auf Nebenschauplätze. Ein Klassiker der Relativierung.

      Unterm Strich kann ICH es ganz einfach sagen: Die Ernährung eines Menschen ist IMMER ein Problem.

      Isst der Mensch Fleisch, siehe Massentierhaltung.



      Isst der Mensch kein Fleisch, werden irgendwo anders Menschen ausgebeutet. Sogar regionale Produkte, wo Sinti und Roma nach Arbeit suchen und auf Höfen schwer schuften müssen.



      Isst der Mensch künstliche Nahrungsmittel, wie Tabletten, Nahrungsergänzungsmittel, etc., wird der Kapitalismus der Pharmaindustrie unterstützt.

      Objektiv gesehen, aufgrund der enthaltenden Inhaltstoffe die einfach nicht wegzudiskutieren sind (und wer doch, sich der Verschwörungsschwurbelei strafbar macht), sind dennoch Obst, Gemüse, manche Pilzsorten und Wasser dem Fleischkonsum vorzuziehen.

      Leider leider sind die Zeiten vorbei, in der der Mensch einfach nur nach draußen gehen muss, den nächsten Busch aufsucht, und sich ein paar Beeren pflückt. Naturvölker können das noch. In Deutschland sind soviele Pflanzen durch Autoabgase und andere Schadstoffe hochgradig gesundheitsgefährdend.

      • @Troll Eulenspiegel:

        Ich verweise nicht auf "Nebenschauplätze", sondern stelle fest, dass die pauschale Aussage der DGE, pflanzliche Nahrung trage stets zum Umweltschutz bei, falsch ist.

        Es gibt übrigens auch tierische Lebensmittel, die nicht aus sog. Massentierhaltung stammen wie z. B. Wildbret. Und Fleisch und Milchprodukte von Kühen oder Schafen, die auf der Weide gehalten werden, wo keine Nahrungspflanzen angebaut werden können, sondern nur Gras wächst, sind ein wichtiger Faktor, um diese Flächen überhaupt die Ernährung nutzen zu können.

        Die Ernährung der Menschen sehe ich nicht als Problem, sondern als Grundvoraussetzung für die Verwirklichung der Menschenrechte. Natürlich belastet die Sicherstellung einer ausreichenden Ernährung der Menschheit die Umwelt. Aber das ist unvermeidbar, und ohne Menschen würde sich ohnehin niemand für die Umwelt interessieren. Und ich wünsche mir die Lebensverhältnisse von Naturvölkern nicht zurück.

  • Ein interessanter Überblick, danke.

    Jedoch frage ich mich wie die TK auf die 90% für die gesunde Ernährung wichtig ist kam. Wenn ich mir allein die Junk-Food-Gastronomie in D ansehe, kann diese Umfrage nicht repräsentativ sein.

    • @0 Substanz:

      Sehe ich auch so. Ich beschäftige mich, u.a. als Arzt, wissenschaftl. mit Ernährung, aber die Freunde nehmen kaum Rat und Tipps von mir an: "Du bist ja kein Ernährungswissenschaftler!". Das spricht für Verunsicherung.



      Andererseits, wenn 90% der TK-Mitglieder sich gesund ernähren, sollte ich zur TK wechseln. Vielleicht lebe ich dann länger ...