Gesunde Ernährung: Auf Mikrobiom-Mission
Ernährungstipps sind was für Selbstoptimierer. Aber 20 bis 30 Gemüsesorten pro Woche essen? Da kickt dann doch der Ehrgeiz.
S chon wieder Spargel, so wird das nichts, denke ich, als ich zum XXL Schnitzel- und Spargelfreitag in eine Eckkneipe geschleift werde. Ich muss diese Woche auf 20 bis 30 unterschiedliche Obst- und Gemüsesorten kommen, und Spargel hatte ich schon. Die angestrebte Überdosis Vitamine sorgt für Irritation: „Du meinst echt Sorten, ja? Nicht Portionen.“ „Ja, für mein Mikrobiom“ – „Dein was?“
Neulich habe ich die Doku „Hack your Health“ bei Netflix gesehen. Mit kleinen gefilzten Bakterienfiguren, die in Stop-Motion im Darm ackern, wird erklärt, dass wir nicht allein verdauen können. Dafür brauchen wir Viren, Bakterien und Hefepilze, zusammen ergeben sie unser Mikrobiom. Und das sollte möglichst breit aufgestellt sein, damit es verlässlich ist. Denn das Mikrobiom ist mitverantwortlich für unsere Gesundheit, etwa für Übergewicht, Allergien oder Stress – wie groß dieser Einfluss ist, weiß die Forschung zwar noch nicht, aber er ist da.
Forscher:innen haben aber festgestellt, dass das Mikrobiom von Menschen in Industrienationen nicht so divers ist wie in weniger industrialisierten Ländern. Mit dem Konsum von hochverarbeiteten Lebensmitteln schrumpft unser Mikrobiom. Dabei gebe es einen einfachen Trick: „Obst und Gemüse immer zählen: 20 bis 30 Sorten pro Woche“, sagt die Forscherin mit einem Lächeln, als hätte sie erlaubt jetzt mal ganz tief in die Gummibärchentüte zu greifen.
Normalerweise bin ich kein Fan von Ernährungstipps. All die Pülverchen und Tabletten, von denen man angeblich nie wieder pupsen, gähnen oder fahle Haut haben muss. Das ist bestimmt Abzocke. Aber Obst und Gemüse kann ja kaum schaden.
Wie viele Sorten esse ich also in einer Woche? Ich habe keine Vorstellung und zähle: Banane, Trauben, Salat, eingelegter Kohl, Tomaten, Spargel (weiß und grün), Kartoffeln und Süßkartoffeln, Erbsen, Gurke, Kresse, Rote Beete, Erdbeeren, rote Zwiebeln, Apfel, Karotten.
In der Kantine mischen sich ein paar fein geriebene Mairübchen unter den Blattsalat – noch nie habe ich mich so über Unbekanntes in meinem Salat gefreut. Donnerstagabend dann Makali im Brot, also frittierter Blumenkohl, Paprika, Aubergine, Zucchini. Bringt das Gemüse noch Punkte, wenn alles, was gut für mein Mikrobiom sein soll, in kochendem Fett ertränkt wurde? Mein Ehrgeiz sagt Ja.
Bis Freitag komme ich auf 22 Sorten. Ab jetzt wird es sportlich: Adieu Appetit, hallo Taktik.
Im Supermarkt lege ich die ersten Aprikosen des Jahres in meinen Korb. Im Regal daneben liegen Ananas, Marajucas, Mangos. Ich widerstehe der Versuchung, mit den weitestgereisten Früchten einfache Punkte zu sammeln. Ein Einkaufskorb mit einer fast so schlechten Klimabilanz wie ein Inlandsflug, nur um ein paar Bakterien zu sammeln? Das kann nicht die Lösung sein.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
„Wie wärs mit Giersch?“, fragt meine Kollegin, „den kann man auf Pizza legen.“ Ich bin eigentlich mit Margherita zufrieden, aber eben auch auf Mikrobiom-Mission. Das Unkraut hat antibakterielle, entzündungshemmende Wirkung, verrät mir Google, und wächst gerne an Flussufern.
Also suche ich an der Havel auf einer Wiese nach den holunderblütenähnlichen weißen Dolden. Ein Gestrüpp hat zwar diese Blüten, aber sehr kleine Blätter. Ich vergleiche Pflanzenbilder auf meinem Handy. Ist das Hundspetersilie? „Sehr giftig“, steht da. Das reicht. Beim nächsten Mal frage ich beim Imbiss lieber nach einer von diesen sauer eingelegten Jalapeños.
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