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Gesperrter hessischer BerichtNeuer Streit um NSU-Akte

Hessen ließ eine NSU-Akte zunächst für 120 Jahre sperren. Nun fordert Innenministerin Faeser die Offenlegung – aber Schwarz-Grün weigert sich.

Will die NSU-Aufarbeitung im Bund wieder forcieren: Innenministerin Nancy Faeser Foto: Christophe Gateau/dpa

Berlin taz | Es bleibt ein Makel der schwarz-grünen Regierung in Hessen. Für 120 Jahre hatte der Verfassungsschutz dort zunächst eine Akte zum NSU-Terror eingestuft, später noch für 30 Jahre. In einer Petition forderten gut 130.000 Unterzeichnende die Offenlegung. Schwarz-Grün aber verweigert das bis heute. Nun jedoch kommt Druck von ganz oben, von Bundesinnenministerin Nancy Faeser.

Die Sozialdemokratin plädierte schon zu ihrer Zeit als hessische Innenpolitikerin für die Offenlegung der Akte. Jetzt als Innenministerin unterstrich Faeser jüngst bei der Vorstellung ihres Aktionsplans Rechtsextremismus: „Ich bin nach wie vor der Meinung, dass man diesen Bericht veröffentlichen kann und Zugang ermöglichen sollte.“ In diesem Punkt sei „Transparenz und Offenheit sehr wichtig“. Und Faeser verwies auf den Koalitionsvertrag der Ampel, in dem eine „energische“ Aufarbeitung des NSU-Terrors festgeschrieben ist. „Dazu stehe ich auch.“

Hessen weigert sich weiterhin

Es war eine klare Ansage – die man so von ihrem Vorgänger Horst Seehofer nicht hörte. Schwarz-Grün in Hessen reagiert indes reserviert. „Eine Veröffentlichung ist nach wie vor rechtlich nicht möglich“, erklärte ein Sprecher von Innenminister Peter Beuth (CDU) auf taz-Nachfrage. Er verwies, ebenso wie Grünen-Fraktionschef Mathias Wagner, nur auf den zuletzt gemachten Vorschlag, einen Sonderermittler einzusetzen, der die Akte auswertet. Damit, so Wagner, wolle man das berechtigte Interesse der Öffentlichkeit und die rechtlichen Regeln „in Einklang“ bringen.

Tatsächlich hat Faeser kein Durchgriffsrecht. Mit ihrer Positionierung isoliert sich Schwarz-Grün in Hessen aber immer mehr. Die dortige Opposition lobt Faesers Vorstoß. „Wir unterstützen die Aussage der Bundesinnenministerin voll und ganz“, sagte Linken-Innenexperte Hermann Schaus der taz. „Die Freigabe entspricht dem, was wir und einige zivilrechtliche Organisationen schon immer gefordert haben.“

Sanfter Druck von den Bundes-Grünen

Und auch von den Bundes-Grünen kommt sanfter Druck auf die hessischen Parteikolleg:innen. Um Defizite im Kampf gegen den Rechtsextremismus abstellen zu können, müsse man „zwingend auch aus den Fehlern der Vergangenheit lernen“, betont Konstantin von Notz, Grünen-Fraktionsvize im Bundestag. „Daher ist es gut, dass die Innenministerin auch die Aufarbeitung zurückliegender Taten noch einmal anspricht. Viele Fragen im NSU-Komplex sind bis heute unbeantwortet.“ Von Notz' Appell: „Entscheidend ist, dass wir es gemeinsam angehen.“

In Hessen bleibt Schwarz-Grün aber bei seinem Sonderermittler. Der frühere Justizstaatssekretär Rudolf Kriszeleit (FDP) soll die NSU-Akte noch einmal sichten und die Öffentlichkeit darüber „in geeigneter Form“ unterrichten. Der Linke Schaus nennt das eine „Placebo-Pille“, um die Öffentlichkeit zu beruhigen. Und auch Faesers hessischer SPD-Kollege Günter Rudolph spricht von einem „durchschaubaren Spiel auf Zeit“, um sich „so lange wie möglich vor einer Entscheidung über die Offenlegung der NSU-Berichte zu drücken“.

Die Akte prüfte NSU-Bezüge nach Hessen

Die taz hatte die NSU-Akte, die aus zwei Berichten des Landesamtes für Verfassungsschutz zu hessischen Bezügen zum Terrortrio besteht, bereits einsehen können. Darin heißt es, Hinweise auf solche NSU-Bezüge gebe es nicht. Da aber 541 Aktenstücke fehlten, gebe es darüber „keine abschließende Sicherheit“.

Die NSU-Aufarbeitung muss nun der Bund forcieren. In Faesers Aktionsplan steht dazu nichts, aber im Koalitionsvertrag ist neben dem Aufklärungsversprechen auch ein Archiv zu Rechtsterrorismus und ein Dokumentationszentrum für die NSU-Opfer vereinbart. Faeser hatte zuletzt Betroffenen von rechtem Terror versprochen: der Staat schulde ihnen „eine transparente und lückenlose Aufarbeitung“.

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9 Kommentare

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  • Es geht hier um's Prinzip. Für mich hat der NSU-Komplex gezeigt, dass der Verfassungsschutz versagt hat. Egal was dabei herauskommt, hier muss aufgeklärt werden. Es erinnert etwas an den Prozess um Oury Jalloh. Dort wurde wegen unterlassener Hilfeleistung ermittelt, dabei gab es wohl eine aktive Beteiligung von Beamten am Tod des Sierra-Leoners. Doch die NSU Schredder-Aktion, die in mehreren Bundesländern parallel lief, ist deutlich schwerer zu werten. Allerdings hat mich Bodo Ramelow schwer enttäuscht. Auch von seiner Seite hat es keine merkliche Aufklärung gegeben. In Hessen sind die Grünen nicht im Innenministerium. Es ist für Koalitionspartner stets schwer, in den Fachbereich des anderen zu schauen. Wir alle glauben, hessischer Verfassungsschutz und hessische Polizei sind rechtsradikal unterwandert. Beweise gibt es keine, doch solche zählen nur vor Gericht. Es geht um das Vertrauen in die Behörde, das schwer gestört ist. Natürlich können die Hessen weiter blocken. Nur werte ich das als Schuldeingeständnis. Den Hessen sind also weitere Kontakte des NSU bekannt und man möchte die geheim halten. Insofern macht man sich zum Komplizen. Schon früher gab es Forderungen, den Verfassungsschutz durch ein Bürgergremium mit weniger Befugnissen zu ersetzen, das dafür transparenter für die Bevölkerung ist. Es bräuchte eine Art Mafia-Jäger, der die Front der Umerta aufbricht. Es gibt Mittel und Wege, die Wahrheit zu erfahren.

  • Wer gibt eigentlich den politischen Volksbetrügern in den Parteien das Recht über öffentlich geführte Prozesse den Mantel des schweigens zu decken.Da kann es doch nur um die Aufdeckung von parteipolitischem Versagen gehen.Wir sind leider einer Willkürherrschaft von einer Beamtenmafia, in verbindung mit einer unfähigen Parteienlandschaft, ohne Möglichkeit einer Gegenwehr unterworfen.Demokratie sieht für mich wesentlich anders aus.

  • Also, Frau Faeser macht ja nun viele merkwürdige Sachen.

    Aber an dieser Stelle macht sie genau das Richtige.

    Ein Typ vom hessischen Verfassungsschutz war bei einem der NSU Morde am Tatort. Und will nichts gemerkt haben. Das gehört aufgedeckt und aufgeklärt.

    Entweder vermutet die Öffentlichkeit zu Recht, dass der NSU im Wesentlichen auch eine Inszenierung des hessischen Verfassungsschutzes war und von dort verhindert worden ist, dass das gestoppt wird.

    Oder es kann durch die Offenlegung der Akten widerlegt werden.

    Ohne Offenlegung der Akten bleibt die Vermutung, dass der NSU auch von staatlichen Stellen langjährig geduldet worden ist.

  • Sehr gut Frau Fäser, aber hoffentlich hören Sie dort nicht auf, sondern verlangen ebenso die Öffnung der Akten zu Anus Amri und dem Anschlag vom Breitscheitplatz. Dann bekämen Sie meine volle Hochachtung!

  • Ist das geil !

    Du musst nur an der richtigen Stelle sitzen und PENG kannst du den Dreck am Stecken schwupps im Marianengraben versenken!

    Wie ist das eigendlich so formaljuristisch ?

    Welches Rechtsgut geht vor?



    Das der Gerichte sich ein Bild von der Wahrheit zu machen oder das eher diffuse und durchaus auch der Willkür ausgesetzte derer die was zu verbergen haben ?

    Der Ausschluß der Öffentlichkeit wäre ja durchaus ein probates Mittel Geheimes geheim zu halten ...

  • Hessen braucht Druck! Die schaffen das nicht alleine: NSU, Hanau,. Lübke, NSU 2.0 ...

    Und auch die mutigsten Frauen braucehn einfach mal echte Untestützung!

    (,,Die Ermittler fanden mindestens 70 Verdachtsfälle rechtsradikaler Polizisten in Hessen und weitere in anderen Bundesländern. Tausende illegale, bis dahin kaum kontrollierte und sanktionierte Datenabfragen bei deutschen Polizeibehörden wurden bekannt. Daher werden rechtsradikale Polizisten als Urheber oder Beihelfer der Drohschreiben vermutet. " de.wikipedia.org/wiki/NSU_2.0),



    ,, Ditfurth betonte, sie erlebe solche Bedrohungen seit den 1980er Jahren und habe nun über ihren Anwalt Strafanzeige gestellt. Ihr fehle jedoch das Vertrauen, dass die hessische Polizei die Sache aufklären könne oder wolle.'' de.wikipedia.org/wiki/Jutta_Ditfurth



    ,,Am 18. Februar 2021 kündigte die Stadt Wiesbaden an, ihr einen Preis für Zivilcourage zu verleihen. Am nächsten Tag, dem Jahrestag des Terroranschlags in Hanau mit zehn Mordopfern, erhielt sie eine weitere Drohmail von „NSU 2.0“ an ihre neue Adresse. Başay-Yıldız vermisste Opferschutz für ihre Familie und verwies darauf, dass der Mörder von Hanau seine Tatwaffen legal besessen hat'' de.wikipedia.org/wiki/NSU_2.0



    ,,Am 5. März 2019 hatten drei Polizeibeamte unberechtigt Baydars persönliche Daten von einem Polizeicomputer abgefragt:[28] einer im 4. Revier in Wiesbaden" de.wikipedia.org/wiki/NSU_2.0



    ,,Als Abgeordnete im Hessischen Landtag erhielt Faeser zwei Drohbriefe, die mit NSU 2.0 unterschrieben waren.[" de.wikipedia.org/wiki/Nancy_Faeser

  • Was steht denn darin, dass die CDU die Akte 120 Jahre unter Verschluss halten will? Es kann sich ja nur um Verfehlungen in der höheren Justiz und der Polizeiarbeit handeln.

    • @Kappert Joachim:

      Die Presse hat die Akte ja schon eingesehen und der Inhalt ist oben zusammengefasst. Wenn der Inhalt aber sowieso schon bekannt ist, verstehe ich das Problem auch nicht ganz. Wieso soll man dann 120 Jahre warten?

      • @Günter Picart:

        Frag Bouffier, der weiß das ganz genau.