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Gesetz zu GemeinnützigkeitMehr Spielraum für Vereine

Die Koalition will steuerlich begünstigten Organisationen mehr politische Tätigkeit erlauben. Ganz einig sind sich SPD, FDP und Grüne aber noch nicht.

Seit dem Urteil gegen die globalisierungskritische Organisation Attac fürchten auch andere Vereine um ihren Status der Gemeinnützigkeit Foto: Christina Sabrowsky/picture alliance

Berlin taz | Einen jahrhundertealten Friedhof will der Förderverein für jüdische Kultur in Tübingen vor dem Verfall bewahren. Aber auch in die größeren gesellschaftlichen Diskussionen mischt man sich ein. Um „Gesicht zu zeigen gegen Antisemitismus und Judenhass“ initiierte der Verein ein Aktionsbündnis, nachdem die palästinensische Hamas vergangenes Jahr Israel angegriffen hatte.

Doch nun machen sich die Aktiven Sorgen, ob diese Kombination aus konkreten Projekten und politischen Debatten weiterhin möglich sein wird. Zusammen mit über 100 weiteren Organisationen schickten sie deshalb einen offenen Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Darin wird gefordert, die steuerliche Gemeinnützigkeit, eine wesentliche Basis der Vereinstätigkeit, mit einer Gesetzesänderung abzusichern.

Dazu hat das Bundeskabinett mittlerweile gewisse Verbesserungen auf den Weg gebracht. Bei einem größeren Schritt, den auch der Tübinger Verein verlangt, herrscht jedoch Uneinigkeit in der Koalition. Die Grünen sind dafür, die SPD würde wohl mitmachen, die FDP aber sträubt sich.

Der Status der Gemeinnützigkeit, über den die Finanzämter entscheiden, hat für viele Vereine und Organisationen große Vorteile. Sie müssen dann weniger Steuern zahlen. Bürgerinnen und Bürger können außerdem ihre Spenden von der eigenen Steuer absetzen. Das erhöht die Spendenbereitschaft – und die Mittel, die den Vereinen zur Verfügung stehen.

AfD nutzt Attac-Urteil

Seit zehn Jahren allerdings herrscht unter gemeinnützigen Organisationen eine zunehmende Unsicherheit. Damals entzog das Finanzamt dem globalisierungskritischen Netzwerk Attac den begehrten Status. In der folgenden juristischen Auseinandersetzung fällte der Bundesfinanzhof 2019 ein weitgehendes Urteil: Der förderfähige Zweck der Volksbildung, auf den Attac seine Gemeinnützigkeit stützte, erlaube keine regelmäßigen „allgemeinpolitischen“ Äußerungen zur Durchsetzung subjektiver politischer Ziele.

Dieses Urteil hat mittlerweile auch die hartrechte AfD entdeckt. Mitunter schwärzt die Partei Organisationen beim Finanzamt an, die sie kritisieren. Das Ziel: Die Kritiker sollen ihre politischen Äußerungen gegen die Rechten einstellen – aus Angst, sonst die Gemeinnützigkeit zu verlieren.

Dieses Problem aus der Welt zu schaffen, vereinbarten SPD, Grüne und FDP 2021 in ihrem Koalitionsvertrag. Einen Schritt in diese Richtung enthält der Entwurf des kürzlich veröffentlichten Gesetzes zur Fortentwicklung des Steuerrechts von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP). Dort heißt es unter anderem, dass sich künftig „eine Körperschaft außerhalb ihrer Satzungszwecke gelegentlich zu tagespolitischen Themen“ äußern dürfe.

Mit dieser Formulierung will die Koalition die Handlungsmöglichkeiten der gemeinnützigen Organisationen erweitern. Der Tübinger Verein für jüdische Kultur könnte dann zum Beispiel von Zeit zu Zeit auch gegen die AfD wettern, ohne sich Sorgen machen zu müssen, dass das Finanzamt seinen Steuerstatus infrage stellt.

Organisationen wollen mehr

Das halten viele Aktivistinnen und Aktivisten für einen echten Fortschritt. Gleichzeitig plädieren sie jedoch dafür, das Problem grundsätzlicher anzugehen. Gemeinnützige Zwecke sollten nicht nur sporadisch, sondern immer auch „durch die Mitwirkung an der öffentlichen Meinung“ insgesamt verfolgt werden dürfen, verlangt die Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“, ein Bündnis zahlreicher Organisationen.

Ihre zweite Forderung lautet, die Liste der förderungswürdigen Zwecke in der sogenannten Abgabenordnung zu ergänzen. Dort ist festgelegt, welche Anliegen als gemeinnützig gelten – zum Beispiel die Förderung von Wissenschaft, Religion, Kunst, Kultur, Umweltschutz oder Volksbildung. Die Allianz plädiert dafür, neue Zwecke aufzunehmen, etwa das Engagement für die Menschenrechte.

So sieht es auch die grüne Bundestagsabgeordnete Sabine Grützmacher: „Erstens sollte klargestellt werden, dass gemeinnützige Organisationen ihre politischen Positionen regelmäßig in öffentliche Debatten einbringen dürfen.“ Und zweitens brauche man „zusätzliche förderfähige Zwecke, etwa das Engagement für Menschenrechte und Demokratie“.

Verhandlungen nach dem Sommer

Ihre Kollegin Nadine Heselhaus von der SPD ist etwas zurückhaltender, aber offen: „Während des parlamentarischen Verfahrens, das nach der Sommerpause beginnt, werden wir prüfen, ob der Gesetzentwurf unseren Anforderungen gerecht wird oder ob weitere Anpassungen notwendig sind.“

FDP-Parlamentarier Maximilian Mordhorst hält den Vorschlag von Finanzminister Lindner dagegen für ausreichend. Die Möglichkeit regelmäßiger allgemeinpolitischer Äußerungen „würde das rechtliche Abstandsgebot zu Parteien verletzen und der undurchsichtigen Wahlkampfhilfe durch staatlich begünstigte Vorfeldorganisationen Tür und Tor öffnen“, erklärt er. Eine Einigung, die auch die allgemeinpolitische Tätigkeit des Tübinger Vereins für jüdische Kultur grundsätzlich absichern könnte, scheint damit erst einmal fraglich.

Vielleicht gibt es aber einen gewissen Verhandlungsspielraum. Mordhorst möchte zusätzlich E-Sport – Wettkämpfe in Computerspielen – in die Zweckliste aufgenommen sehen. Möglicherweise schaffen es auf diesem Weg auch noch die Menschenrechte hinein.

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11 Kommentare

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  • Die Frage ist ja, was denn genau ein Verein sein und tun soll, der sich für Menschenrechte einsetzt.

    Eine auf autoritäre Staaten im Ausland ausgerichtete Organisation?

    Dass Deutschland endlich die UN-Charta der Menschenrechte anerkennt, hat sich als politisches Ziel längst erledigt ...

    Deutschland ist ein Rechtsstaat, in dem allen die Menschenrechte grundsätzlich zukommen, da juristisch automatisch - im Gegensatz zu legitimen Zielen.

    Mit anderen Worten:



    "Menschenrechte" als förderungswürdiges Ziel anzuerkennen, löst ein großes Interpretationskarussell aus und lädt letztendlich zur missbräuchlichen Verwendung ein.



    Am Ende sind schließlich alle für Menschenrechte.

    • @Frauke Z:

      Die Menschenrechte haben sich auch in Deutschland noch lange nicht erledigt.

      Das Recht auf Wohnen, auf humane Arbeitsbedingungen, auf saubere Umwelt, auf soziale Absicherung, auf Meinungsäußerung ohne Zensur, auf Datenschutz, auf Mitbestimmung etc. FÜR ALLE sind in Deutschland nicht nur nicht verwirklicht, sondern geraten sogar in immer weitere Ferne.

      Warum also in die Ferne schweifen zu autoritären Staaten anderswo, wenn es im eigenen Land schon nicht stimmt?

      Bei den Menschenrechten dreht sich auch nichts im Kreise; die sind nämlich ziemlich gut definiert.

  • "Die Möglichkeit regelmäßiger allgemeinpolitischer Äußerungen „würde das rechtliche Abstandsgebot zu Parteien verletzen und der undurchsichtigen Wahlkampfhilfe durch staatlich begünstigte Vorfeldorganisationen Tür und Tor öffnen“, erklärt er."



    /



    Fakt ist hier zu konstatieren:



    Wer hier kann nicht profitieren,



    Beginnt zu desavouieren,



    Hier was liberalisieren



    Hieße öffnen neue Türen,



    Was vielleicht kann dazu führen,



    Dass sie Mandate verlieren.



    (Einfach zu analysieren❗)



    /



    www.sueddeutsche.d...r-steuer-1.6318200

  • Meiner Meinung nach sollte "Dort heißt es unter anderem, dass sich künftig „eine Körperschaft außerhalb ihrer Satzungszwecke gelegentlich zu tagespolitischen Themen“ äußern dürfe." ausreichen, wobei es mir noch lieber wäre, wenn es keine Änderung in der Vereinsordnung gäbe.

    Ich gehe davon aus, dass alles Weitere zu mehr Streitereien und zusätzlicher Polarisierung unter den Vereinsmitgliedern bis hin zu Austritten führen wird. Die Spaltung in der Gesellschaft ist schon zu weit fortgeschritten, als dass politische Konflikte auf diese Weise verstärkt in Vereine getragen werden sollten.

    Gegenwärtig sehen wir, dass die Positionen beispielsweise bezüglich Nah-Ost verhärtet sind und fast überall zu Konflikten führen, die ich den Vereinen, sofern möglich, gerne ersparen möchte. Ich würde meinen Verein verlassen, wenn er sich politisch in einer Weise äußert, die nicht meiner Überzeugung entspricht.

    Außerdem sollten Vereine, meiner Meinung nach, nicht zum verlängerten Arm von Aktivisten jedweder Richtung und von diesen ggf. übernommen werden.

    Es kann aber auch sein, dass meine Befürchtungen unberechtigt sind.

    • @*Sabine*:

      In letzter Zeit wird sehr oft der Begriff "Aktivismus" genannt und zwar in sehr negativer Bewertung und insbesondere im Zusammenhang mit Vereinen und Publikationen.

      Nun ist ja politischer Aktivismus - ob innerhalb oder außerhalb von Vereinen - an sich nichts Negatives, wenn es darum geht, die Gesellschaft voran zu bringen. Anders gesagt: Politischer Aktivismus kann ein Symptom dafür sein, dass in der Gesellschaft zu wenig voran geht und politischer Stillstand herrscht.

      Natürlich sind die Ziele der Compact-Betreiber alles andere als progressiv; vielmehr geht es denen um völkische, nationalistische und antilinke Bestrebungen.

      Aber wenn Vereine das Ziel haben, Menschenrechte, Tierrechte, Umweltschutz, eine friedliche internationale Zusammenarbeit und Zusammenleben aller Völker oder auch den Weltfrieden zu fördern, dann kann man sagen: so ein Aktivismus muss belohnt werden, denn er wird in der offiziellen Politik schmerzlich vermisst.

      Fazit: Wenn es um die Bewertung von Aktivismus geht, so dürfen dessen Ziele nicht einfach unter den Tisch gekehrt werden, sondern müssen mit in die Bewertung einfließen.

      Geht es um progressive oder rückschrittliche Ziele? Das ist doch der Punkt.

      • @Uns Uwe:

        "Geht es um progressive oder rückschrittliche Ziele? Das ist doch der Punkt."

        Wie "progressiv" und wie "rückschrittlich" müssten dann jeweils die Gerichte entscheiden.

        Ich stimme Ihnen punktuell zu, bleibe jedoch dabei, dass dies sehr viel Unfrieden und Streit in Vereine tragen wird, bis hin zu Auflösungserscheinungen und Austritten.

      • @Uns Uwe:

        Sie wünschen sich also ein parteiisches Steuerrecht, einen Staat, der "progressive", also dem Herrn Uns Uwe genehme, Positionen einseitig fördert.

        Das widerspricht natürlich der Gleichheit vor dem Gesetz und der Meinungsfreiheit.



        Mit einem Wort:



        Der Ansatz ist extrem rückschrittlich.

        • @Frauke Z:

          Wenn für Sie Compact und attac gleich sind, dann kann ich Ihnen auch nicht mehr helfen.

  • Es gibt bereits eine Vereinsform, die



    - steuerlich begünstigt ist



    - und politisch tätig sein darf.



    Sie nennt sich "Partei".

    Wir brauchen keine Schattenparteien.

    • @Frauke Z:

      Gemeinnützige Zwecke



      "...wenn ihre Tätigkeit darauf gerichtet ist, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern.“



      /



      Im Anschluss werden eine ganze Reihe von gemeinnützigen Zwecken aufgelistet. Von der „Förderung der Tierzucht, der Pflanzenzucht, der Kleingärtnerei, des traditionellen Brauchtums einschließlich des Karnevals, der Fastnacht und des Faschings“ bis zur „Förderung des Naturschutzes“, auf den sich Greenpeace wohl bezieht.



      /



      Quelle cicero.de



      /



      Ich halte es hier gern mit folgendem Zitat:



      /



      „Alles ist Kunst. Alles ist Politik“, lautet ein Zitat von Ai Weiwei, der in seinem Schaffen autoritäre Systeme eindrücklich kritisiert und als Aktivist unermüdlich für die Humanität und Solidargemeinschaft eintritt."



      /



      Quelle:



      www.fresko-magazin.de/ai-weiwei/

  • Das ganze Gemeinnützigkeitsrecht mit dem zentralen Element der Abgabenordnung (AO) ist doch längst zu einem Gängelungs- und Steuerwerkzeug verkommen.



    Die Interpretation was im Sinne der AO gemeinnützig ist, ist der Willkür ausgeliefert und die Finanzämter (die darüber nach weitgehend freiem Gutdünken entscheiden) drücken auch gerne Mal ein Auge zu wenn der Vorsitzende ein namhafter Politiker ist oder ein gutmeindender Geschäftsmann.

    Mein Paradebeispiel ist immer der "Deutsche Richerbund e.V.". Von den Zielen dieses Vereins findet sich kein Einziges in der AO (§52).

    Aber genau dafür gibt es dort den Satz:

    "Sofern der von der Körperschaft verfolgte Zweck nicht unter Satz 1 fällt, aber die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet entsprechend selbstlos gefördert wird, kann dieser Zweck für gemeinnützig erklärt werden. "

    Und genau das ist der springende Punkt.