Gesetz gegen Spielhallen in Berlin: Ende der Glückssträhne
Am Donnerstag stimmt das Abgeordnetenhaus über eine Verschärfung des Spielhallengesetzes ab. So soll deren Zahl drastisch reduziert werden.
Das Schild über der Tür hat Daniel Buchholz einfach hängen lassen. „Rio Casino“ steht dort in roter Farbe auf blauem Grund. Nur ein kleines „Ex“ hat sich der Form halber zwischen die Worte gezwängt.
Auch die Inneneinrichtung hat der Politiker übernommen, der für die SPD im Abgeordnetenhaus sitzt: Eine gewagte Kombination aus grellem Orange und poppigem Lila schmückt Wände und Teppich seines Bürgerbüros. In der Ecke ist eine mit Lederimitat bespannte Bar installiert; an der Wand lehnen graue Displays, auf denen der Schriftzug „Win. Win. Win“ noch das große Geld verspricht. „Hier hätten die Spielautomaten eingehängt werden sollen“, sagt Buchholz. Stattdessen stehen dort nun Schreibtische. Vor zwei Jahren hat er sein Bürgerbüro in der Spandauer Siemensstadt bezogen. Die Räume waren noch umgebaut, aber nicht mehr als Spielhalle genutzt worden, erzählt er.
Seit 2011 verbietet das Berliner Spielhallengesetz die Neueröffnungen von Hallen, wenn sich in unmittelbarer Nähe bereits ähnliche Angebote befinden. Das war hier der Fall. So profitierte Buchholz als einer der Vorkämpfer dieses Gesetzes gleich von dessen Erfolg. Nicht überall war es jedoch so wirksam wie gewünscht. Daher will das Abgeordnetenhaus am morgigen Donnerstag eine Verschärfung verabschieden.
Ab Ende der nuller Jahre sind Spielhallen in Berlin wie Pilze aus dem Boden geschossen, obwohl das Land die Vergnügungssteuer für die Hallen auf 20 Prozent verdoppelte: 584 Einrichtungen zählte man 2011, es war der Höchststand. Fünf Jahre zuvor hatte es nur 287 gegeben.
Flucht aus der Realität
Und die Hallen eröffneten nicht etwa dort, wo Menschen mit hohem Einkommen ein wenig Geld übrighaben, um es in Automaten zu verzocken. Im Gegenteil. Wenn man eine Karte mit den sozialen Brennpunkten der Stadt auf eine Karte mit den Spielhallen lege, dann seien die Orte deckungsgleich, erklärt Buchholz. „Spielhallen finden sich dort, wo Menschen keine Perspektive sehen, wo sie aus der Realität fliehen wollen – verbunden mit der Hoffnung auf den großen Gewinn.“
Laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung weisen rund 50.000 Berliner ein problematisches Spielverhalten auf; über die Hälfte von ihnen gilt als krankhaft spielsüchtig. Fast eine halbe Million Euro versenken sie jeden Tag in Spielautomaten. Bis zu 3.000 Euro lassen sich pro Automat im Monat verdienen, was das Spiel für die Betreiber zu einem lukrativen Geschäft macht. Illegale Gewinne in Hinterzimmern, die die Branche ebenfalls kennt, sind dabei noch nicht berücksichtigt.
Gut 11.500 Spielautomaten waren 2014 in Berlin angemeldet. Knapp 5.000 von diesen waren in 544 Spielhallen zu finden, von denen mit 127 Exemplaren die meisten im Bezirk Mitte lagen. Spandau fand sich mit 48 Hallen im Mittelfeld. Schlusslicht mit jeweils 10 Hallen bildeten Steglitz-Zehlendorf und Lichtenberg.
Die Mehrzahl der Automaten war jedoch in sogenannten Café-Kasinos untergebracht. Bei diesen handelt es sich um Gastronomie, in der bislang bis zu drei Automaten stehen dürfen, ohne dass die Auflagen so hoch sind wie bei einer Spielhalle.
Die geplante Gesetzesänderung sieht vor, die Zahl der erlaubten Automaten auf zwei zu beschränken. Zudem soll Betreibern das Handwerk gelegt werden, die ihren Laden als Café ausgeben, obwohl die Spielautomaten das Kerngeschäft darstellen. In solchen Fällen sollen in Zukunft die strengen Regeln der Spielhallen gelten. (juw)
Die Zocker hingegen können nur verlieren. „Der typische Spieler ist jung, männlich, hat einen Migrationshintergrund und ein geringes Einkommen“, sagt Buchholz. Die absteigende Spirale, in die er geraten kann, führt von der Spielsucht über Lügen und Streit mit Familie und Freunden bis hin zu einem Schuldenberg. „Gelegenheit macht Spiel“, meint Buchholz. Daher setzt er sich dafür ein, die Zahl der Kasinos stark zu reduzieren.
Wie sich die Spielhallen in Siemensstadt breitgemacht haben, zeigt ein Spaziergang. Keine 100 Meter muss der SPD-Abgeordnete von seinem Büro aus bis zur Ecke Nonnendammallee laufen, dann steht er vor dem „J. F. Casino“. Die Fensterscheiben sind mit blau-schwarzer Folie beklebt. So schreibt es das Gesetz vor, damit der Anblick der Automaten Passanten nicht zum Spielen animiert. „Der Spaß hört nie auf!“, steht darüber. „Als müsste man immer viel Geld ausgeben, um Spaß zu haben“, kommentiert Buchholz.
Er folgt der Allee nach rechts, passiert nach 100 Metern eine weitere Spielhalle, steuert auf ein Einkaufszentrum zu und stoppt erneut vor bunt verklebten Fenstern. „Früher war hier eine Disko. Heute teilen sich die Räume zwei Spielhallen.“ Beide gehören demselben Betreiber. Indem er zwei Hallen eröffnete, durfte er die Zahl der Automaten verdoppeln.
Weiter geht es durch das Center, das 1961 als erstes Einkaufszentrum Berlins eröffnete und heute mit diversen Leerständen einen traurigen Eindruck macht. Gegenüber dem Ausgang steht Buchholz erneut vor einer Doppelhalle. „Das macht sechs Spielhallen in einem Umkreis von etwa 500 Metern“, sagt er. So weit sollten eigentlich zwei Hallen voneinander entfernt liegen.
Das sieht das 2011 verabschiedete Spielhallengesetz des Landes vor. Zudem dürfen pro Spielhalle statt zwölf nur noch acht Automaten stehen. Auch wurden die Sperrzeiten verlängert, und das Personal musste fortan geschult werden, um etwa Süchtige zu erkennen und sie aus dem Verkehr ziehen zu können. Diese können sich seitdem selbst für einzelne Hallen sperren lassen. Mit der nun geplanten Gesetzesänderung wird diese Regelung zu einer berlinweiten Sperrdatei ausgeweitet.
Das alte Gesetz sah zudem einen Bestandsschutz für bestehende Hallen vor. Zum 31. Juli läuft der nun aus. Im Umfeld des Siemensstädter Einkaufszentrums dürften von den sechs maximal zwei Hallen erhalten bleiben, schätzt Buchholz. Berlinweit könnten es ungefähr 150 von derzeit mehr als 500 sein.
Kahlschlag erwartet
Die Branche muss sich also auf einen Kahlschlag einstellen. Freiwillig das Feld räumen wird aber wohl niemand. Daher wurde in den vergangenen Monaten ein mehrstufiges Auswahlverfahren erarbeitet, das den im Gesetz vorgeschriebenen Mindestabstand durchsetzen soll, ohne als politische Erdrosselung des Spielgewerbes zu gelten.
In einem ersten Schritt müssen die Betreiber bis Ende Juli eine Lizenz beantragen. Wem das nicht ordnungsgemäß gelingt, der ist raus. Bei den Verbliebenen wird in einer zweiten Stufe geprüft, ob sie sich in der Vergangenheit an die Regeln gehalten haben. Das dürfte für viele zum Problem werden. „Die Beanstandungsquote bei Kontrollen liegt bei bis zu 98 Prozent“, berichtet Buchholz. Die einen ignorieren das Rauchverbot, andere die Schließzeiten. Beliebt ist es auch, Alkohol und kostenloses Essen auszugeben, um die Spieler länger an den Geräten zu halten, obwohl das genau aus diesem Grund verboten ist. „Bislang bezahlen die Betreiber die Bußgelder aus der Portokasse“, sagt der SPD-Politiker. Das neue Gesetz will diese verzehnfachen. Im Extremfall werden dann 500.000 Euro fällig.
Durch den Ausschluss der schwarzen Schafe dürfte sich das Feld bereits stark lichten. Bei den verbliebenen Hallen gilt es dann noch zu prüfen, ob diese 500 Meter voneinander und 200 Meter von einer Oberschule entfernt sind, für die ebenfalls Abstandsregeln gelten. Falls es noch zu Überschneidungen kommen sollte, entscheidet das Los. Anfang 2017 werden die ersten Hallen schließen, glaubt Buchholz. „Wir gehen davon aus, dass dagegen geklagt werden wird. Das war auch schon so bei der Einführung des Spielhallengesetzes 2011“, sagt er. Bislang habe das Land Berlin jedoch in allen Instanzen gewonnen. Aktuell liege das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht.
Mehr Leben für die Kieze
„Wir wollen das Spielen nicht verbieten“, meint Buchholz. „Wir wollen es nur in geordnete, legale Bahnen lenken.“ Die qualitative Auswahl soll dabei helfen. Zudem hofft er, dass in die Kieze wieder mehr Leben zurückkehrt, wenn die Hallen mit den verklebten Fenstern verschwunden sind. „Kitas suchen dringend Standorte“, meint er. Das kommerzielle mit dem Kinderspiel zu ersetzen sei doch eine sympathische Entwicklung.
Bleibt nur die Frage, wo die Spieler bleiben, wenn die Zahl der Hallen schrumpft? Viele werden ins Internet abwandern, wo schon jetzt unzählige Angebote warten. Buchholz will dem mit Prävention und Aufklärung entgegentreten. Gegen Perspektivlosigkeit dürfte aber auch das wenig helfen.
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