Geschlechtsstereotype im Kaufhaus: Der Graben durch die Babyabteilung
Mädchen lieben Rosa, Jungs tragen Blau. Die „Pink Globalization“ der Konsumindustrie ist auch im Jahr 2025 noch ungebrochen.

Montagnachmittag in der Kinderabteilung von H&M: Eine Mutter sucht eine Sporthose für ihr Kind. Die Verkäuferin führt die beiden in die Mädchenabteilung. „Hier haben wir die Leggins; wenn es eher etwas weiter sein soll, gibt es diese pinke Jogginghose.“ Die etwa 10-Jährige presst die Lippen zusammen. „Du wolltest lieber eine andere Farbe, oder?“, fragt die Mutter vorsichtig.
Draußen vor der Tür ist Berlin, wo kaum jemand mit der Wimper zuckt, wenn Menschen ihre Identität abseits von binären Geschlechtervorstellungen frei ausdrücken. Aber hier drinnen müssen Kund*innen sich entscheiden: „IST ES EIN JUNGE ODER EIN MÄDCHEN?“, schreit es einen an, sobald man die Kinderabteilung betritt. Mitten durch die Etage verläuft ein Graben, auf der einen Seite die Rosatöne, Blümchen, Herzchen und Rüschen. Auf der anderen ist es blau und grau, Trecker, Dinos und Raketen zieren die Pullover. Zwischentöne gibt es kaum.
Die „rosa Welle“ ist ungebrochen
Während immer mehr Eltern sich darüber Gedanken machen, wie sie ihren Kindern ein Aufwachsen frei von Geschlechterstereotypen ermöglichen können, rollt die „rosa Welle“ weiter ungebrochen durch die Kaufhäuser. Auf ihrem Weg erfasst sie alles, was der Markt für Kinder so zu bieten hat. Die Produktwelten von Barbie oder Lilifee breiten sich ungehindert aus und durchdringen bei Mädchen fast alle Lebensbereiche, von der Zahnbürste zur Bettwäsche, von der Kleidung bis zu Kinderbüchern, Filmen oder Gesellschaftsspielen.
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„Pink Globalization“ nennt die Anthropologin Christine Reiko Yano das Phänomen, das uns seit den 90ern begleitet. Sie meint, dass diese Form der Globalisierung, statt abzuflauen, immer weiter Fahrt aufnimmt.
Bei den Kleidungsstücken, die in den Kinderabteilungen über den Verkaufstresen gehen, unterscheiden sich nicht nur die Farben und Muster, sondern auch die Schnitte. Für die Jungen gibt es Latzhosen, Jacken aus festem Stoff, für die Mädchen niedliche feine Kleidchen aus Tüll, Miniröcke und Skinny Jeans. Wenn es nach H&M geht, wollen Mädchen der Welt schon ihre Beine präsentieren, wenn sie noch gar nicht richtig laufen können.
Sind Kinder im Minirock eigentlich in der Lage, zu rutschen, rennen oder klettern? Passt er über den Windelpopo? Hat er Taschen, in denen Zweijährige eine Kastanie, einen besonderen Stein oder ein Bonbon aufbewahren können? Designer*innen von Miniröcken für Kleinkinder orientieren sich an Frauenkleidung, die oft körperbetonter ist, tailliert und knapp, also sexualisiert. Ein Krabbelkind im Minirock lernt so, dass auch sein Körper zum Anschauen da ist.
Jungen zum Krieg erziehen
Die Kritik daran ist alles andere als neu. Es gibt sogar einen Negativpreis, den Goldenen Zaunpfahl, der besonders schlimme Beispiele des Gender-Marketings auszeichnet. Unzählige wissenschaftliche Studien, Meinungsartikel, Instagram-Posts und Blogbeiträge haben schon lange festgestellt, dass geschlechtsspezifische Klamotten und Spielzeuge Kinder in plumpe Rollenbilder pressen. Dass diese Kategorisierung immer wieder die Annahme reproduziert und zementiert, dass es nur zwei Geschlechter gibt, männlich und weiblich. Dass nicht nur die Farben, sondern auch Formen, Sprüche, Tiere und Symbole Jungen auf Abenteuer, Risiko – und Krieg – vorbereiten und Mädchen aufs Häusliche, aufopfernd Kümmernde.
„Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es.“ Zum feministischen Kampftag am 8. März wird die wochentaz zur Frauentaz. Auf 52 Seiten blicken wir auf das gesamte Leben einer Frau – von der Geburt bis zum Tod. Auf taz.de widmen wir uns dem Thema ganze drei Tage.
Konsumartikel, die extra für Jungen oder Mädchen sind, haben eine lange Tradition: Schon die Griechen setzten in der Antike Spielzeug ein, um Jungen zum Krieg zu erziehen, sagt Spielzeugforscher Volker Mehringer. Mit dem Aufkommen des Bürgertums kam die farbliche Geschlechtertrennung dazu. Männer trugen Anzüge in gedeckten Farben, Frauen und Kinder als Wohlstandnachweis prächtige bunte Kleidung.
In den 1930er Jahren entdeckte die US-Bekleidungsindustrie Kinder als Konsument*innen, sagt der Soziologe und Kindheitsforscher Daniel Thomas Cook. In Kaufhäusern entstanden Kinderabteilungen, in denen Konsumgüter für Jungen und Mädchen erstmals räumlich getrennt wurden. In der Wirtschaftskrise nutzte die Kinderbekleidungsindustrie die Differenzierung dann als Marketingstrategie: immer neue Must-haves für jedes Alter, neue Kindergrößen, die sich heute noch in den Kinderabteilungen finden. So wie bei H&M.
Zur Orientierung der 4-Jährigen
Der schwedische Modekonzern selbst erklärt, die getrennten Abteilungen für Mädchen und Jungen diene in erster Linie zur Orientierung der Kund*innen. Diese würden es bevorzugen, so einzukaufen. Die Nachfrage bestimmt das Angebot, erklären auch andere Marken. Die Multi-Milliarden-Konzerne zeigen also auf 4-Jährige und ihre Eltern und sagen: Die da wollen das so!
Tatsächlich wünschen sich Kinder oft ihren Geschlechtern zugeordnete Kleidung und Spielzeug. Zwischen 3 und 7 interessierten sie sich meist für die Kategorie Geschlecht, seien auf der Suche nach „Schlüsseln für die Unterschiede“, sagt Entwicklungsforscher Tim Rohrmann. Orientieren würden sie sich an dem, was tatsächlich da ist. Wenn sie also auf eine Konsumwelt treffen, die durch Werbung, Medien und Produkte in zwei Kategorien geteilt ist, ordnen sie sich zu.
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taz talk zum Frauentag 2025

Live am 7.3.25 ab 19 Uhr
Sind Kund*innen ohne rosa-blaue Signale im Kleidungsgeschäft also orientierungslos? Wohl kaum. Viel wahrscheinlicher ist, dass Unternehmen ein finanzielles Interesse daran haben, dass Geschwister Kleidung und Spielzeug nicht teilen können. So steigt der Umsatz auf dem deutschen Kinderkleidungsmarkt konstant um etwa 1,2 Prozent pro Jahr. Etwa 8,24 Milliarden Euro werden dort 2025 umgesetzt, schätzt Statista.
„Fast Fashion“, also Mode zum Wegwerfen, ist auch hier angekommen. Ungefähr 16 Teile Kinderkleidung kaufen die Deutschen jährlich pro Kopf, für jedes in Deutschland lebende Kind müssten das beinahe 100 Bekleidungsstücke sein.
Bei den Erwachsenen geht's weiter
Nach dem H&M-Besuch begleiten viele Kinder ihre Eltern noch durch die Konsumwelt der Erwachsenen. In Drogerien und Supermärkten setzt sich das gegenderte Marketing nahtlos fort. Es gibt rosa Rasierer, Shampoo für Frauenhaare und Männerkopfhaut, Hautcreme für echte Kerle, Schokolade aus Blechdosen, die an Werkzeugkästen erinnern.
Sogar in der Apotheke liegen krampflösende Tabletten, die gegen Menstruationsschmerzen noch mal in einer pinken Verpackung angeboten werden – mit dem gleichen Wirkstoff, der auch gegen männliche Magenkrämpfe hilft. Studien zeigen, dass Produkte, die für Frauen vermarktet werden, oft teurer verkauft werden.
Doch nicht nur Mädchen verlieren durch die Trennung – vor allem für Jungen ist der Konformitätsdruck stark. Mädchen dürfen auch Blau tragen, können mit Werkzeug spielen und bekommen Lob, wenn sie beide Rollen erfüllen, also im Prinzessinnenkleid auf den Baum klettern. Jungen, die Röcke tragen, Nagellack mögen oder mit Puppen spielen wollen, begegnet dagegen oft Spott und Ausgrenzung, von Erwachsenen und von anderen Kindern, die sich in die Rollenbilder eingefunden haben.
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