Geschichtsstunde im taz-Café: Spannende Entspannungspolitik
Im Gespräch mit Klaus Wowereit stellte Egon Bahr seine Autobiografie vor - und bot überraschende Einblicke ins Innenleben eines Politikers, der als Kalter Krieger begann.
Er war beim Mauerbau der Pressechef von Willy Brandt, später wurde er zum Architekten von Brandts Ostpolitik: So kennt man den mittlerweile 90-jährigen Egon Bahr, der sich ins politische Tagesgeschehen nicht minder einmischt als sein Parteifreund und Altkanzler Helmut Schmidt.
Im taz-Café präsentierte sich am Donnerstag morgen ein anderer Egon Bahr, und das hatte vor allem mit dem Moderator zu tun. Klaus Wowereit, für anderthalb Stunden mal nicht Regierender Bürgermeister, verwickelte sein Gegenüber in ein Gespräch, in dem sich persönliches Erleben, politische Bewertung und Geschichtenerzählen munter abwechselten, und das in unmittelbarer Nachbarschaft zum Checkpoint Charlie, an dem sich im Oktober 1961 amerikanische und sowjetische Panzer gegenüberstanden.
Natürlich war Wowereit in die taz gekommen, um Bahrs neues Buch „Ostwärts und nichts vergessen“ zu promoten. Aber er war auch neugierig. „Warum bist du als Westberliner nach der Teilung nicht in die CDU eingetreten?“, fragte er Bahr, der gestand, damals „ein Kalter Krieger“ gewesen zu sein. Adenauer aber sei noch schlimmer gewesen, weil er die Einheit nicht wollte: „Wenn der die Elbe überquerte, glaubte er, er sei in Sibirien.“
Bahrs Schilderung, wie Brandt und er selbst 1961 vom Mauerbau überrascht wurden, offenbarte dann, wie aus einem existenziellen Bedrohungsgefühl ein politischer Kompass wurde. „Die CDU hat gesagt, mit Gefängniswärtern redet man nicht. Wir haben mit der anderen Seite über Passierscheine geredet. Das waren kleine Risse in der Mauer.“ Aus den kleinen Rissen wurde schließlich eine Politik des „Wandels durch Annäherung“, die in die Ostverträge und das Viermächteabkommen mündeten.
„Kooperation statt Konfrontation“ – das ist heute noch die politische Botschaft von Egon Bahr. Deshalb hält er auch im Konflikt zwischen Israel und dem Iran an seiner Überzeugung fest: „Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts.“
Ganz auf der Seite von Günter Grass ist Bahr deshalb, wenn es darum geht, vor einem israelischen Atomschlag zu warnen. „Es kann aber sein“, räumt er ein, „dass Grass mit seinem Gedicht antisemitische Neigungen unterstützt hat.“ Im Grunde müssten sowohl die Atommacht Israel als auch der Iran unter internationale Kontrolle gestellt werden. „Aber das schaffen nicht mal die Amerikaner, wie soll es dann der Günter Grass schaffen.“
Mit politischen Ratschlägen für die Kriege in Afghanistan oder den Umgang mit autoritären Regimen hielt sich der alte weise Mann der SPD-Außenpolitik ansonsten zurück – das unterscheidet ihn angenehm von denen, die mit „letzter Tinte“ ihr Vermächtnis abzirkeln.
Die Kritik an seiner Entspannungspolitik weist er freilich mit Entschiedenheit zurück. „Der 17. Juni, Ungarn und Prag 1968 haben gezeigt, dass alle Veränderungen von unten von den Regimen niedergeschlagen wurden.“ Bahrs Schlussfolgerung: „Wir mussten mit den Moskowitern reden, weil die bestimmten, was in der DDR passierte.“
Eine Ausnahme aber räumte er am Ende ein. „Ohne die Polen und ihre Solidarnosc hätte es auch die Revolution von 1989 in Deutschland nicht gegeben.“
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