Geschichtsklitterung in Ungarn: Bashing bis zum Anschlag
Für die Regierung sind die Deutschen an allem schuld. Der Holocaust und die Verteilung von Flüchtlingen werden in einem Atemzug genannt.
Mitten in diesem Gespräch voll von Unwahrheiten und bösen Unterstellungen trifft einen ein Satz von Schmidt wie ein Schlag ins Gesicht. „Die Deutschen haben schon einmal entschieden, mit wem wir nicht zusammenleben dürfen, und jetzt wollen sie entscheiden, mit wem wir zusammenleben müssen.“
Schmidt verknüpft die Judenvernichtung mit der Verteilung von Flüchtlingen und Schutzbedürftigen in der Europäischen Union. Sie kreidet den Holocaust fälschlicherweise allein den Deutschen an, wie sie auch die Flüchtlingsverteilung allein Berlin anlastet.
Was Anne Applebaum darauf geantwortet hat, wissen wir nicht. Denn das Gesprächsprotokoll stellte Schmidt in ungarischer Fassung ins Netz. Applebaum war mit der Veröffentlichung nicht einverstanden. Weil sie kein Ungarisch spricht, erkennt sie die Echtheit des Textes nicht an.
Monströser Satz
Das ändert aber nichts an diesem monströsen Satz. Die Museumsleiterin der ungarischen Gedenkstätte für die Gräueltaten der Kommunisten (Haus des Terrors) verschweigt die Wahrheit über das Schicksal der ungarischen Juden.
Als die Wehrmacht im Frühjahr 1944 ohne einen Schuss abzugeben das Land besetzte, waren schon vier Judengesetze in Kraft. Das erste wurde 1920 erlassen. Die ungarische Armee trieb beim Feldzug gegen die Sowjetunion Tausende jüdische Mitbürger als Arbeitspflichtige in den Tod.
Als Adolf Eichmann 1944 nach Budapest kam, gelang die Deportation von Hunderttausenden Richtung Auschwitz nur mithilfe der ungarischen Behörden. Und es waren ungarische Pfeilkreuzler, die nicht hinnehmen konnten, dass die Deportation der Budapester Juden misslang, und massenhaft Menschen am Ufer der Donau exekutierten.
Es schmälert nicht die deutsche Schuld, auch die ungarische zu benennen. Aber es kommt einer Leugnung nahe, wenn jemand die Vernichtung als eine aufgezwungene Entscheidung charakterisiert, bei der es darum geht, wer mit wem zusammenleben darf. Und Schmidt grenzt mit der Formulierung der Koexistenz die assimilierten ungarischen Juden der Vorkriegszeit wieder aus.
Segen der Gemeinde
Schmidt sollte schon seit einiger Zeit das neue Holocaustmuseum von Budapest leiten. Das Gebäude an einem früheren Bahnhof ist bereits seit einigen Jahren fertig, aber die Regierung wagt nicht, es zu eröffnen.
Sie will erst den Segen der jüdischen Gemeinden in Ungarn. Diese verweigern sich aber. Sie sehen die Gefahr einer Geschichtsfälschung. Schmidt hat jetzt noch ein weiteres Argument geliefert, ihr das Museum nicht anzuvertrauen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Deutungskampf nach Magdeburg
„Es wird versucht, das komplett zu leugnen“
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Gedenken an den Magdeburger Anschlag
Trauer und Anspannung
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen