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Geschichten von WanderschuhenAdiós, treue Begleiter

Irgendwann kann man Schuhen die vielen Reisen ansehen. Dann naht der unangenehme Moment mit nagelneuen Tretern in eine Berghütte hineinzustiefeln.

Vorbei ist vorbei, besser nicht zu sentimental werden Foto: Thomas Trutschel/photothek

Nun sind sie endgültig am Ende. Ganz zuletzt war das Innenfutter gerissen, nachdem die Sohle schon bis auf ein paar flache Höcker abgerieben war. Die schwarze Matsche des Curauer Moores hatten ihnen den Rest gegeben, fast vor der eigenen Haustüre gaben sie auf.

Acht Jahre lang waren meine Wanderschuhe meine wichtigsten nichtmenschlichen Reisefreunde gewesen. Acht Jahre lang haben sie ihre teuer erkaufte Schuldigkeit mehr als getan. Über die Felsen der Tatra sind sie mit mir gepoltert, durch den Sand von Fehmarn gepflügt und sogar über das Pflaster von ­Bangkok getrommelt. So manchen Käfer haben sie in den Regenwäldern von Honduras zertreten, wurden schwer wie Blei im Dauerregen von Sumatra, schwarz und glitschig in Neufundlands Sümpfen.

Etwas beschämt waren sie nur das eine Mal, als wir zusammen die weiten Hänge zum Gipfel des Kilimandscharo hochstapften und unsere Träger schwerbeladen vorauseilten – an den Füßen nichts anderes als Latschen aus Schaumgummi.

Wie oft habe ich sie mir abends von den Füßen gerissen, stöhnend, erleichtert, und doch dankbar für all die knöchelmordenden Schläge, die sie abgefangen hatten. Und wie sie dampften dann am Feuer!

Das Reiseleben hatte sie gezeichnet: Schrundig, zerkratzt und vernarbt standen sie in den Fluren der Hütten und blickten voller Herablassung auf ihre jüngeren, piekfeinen Kameraden. Und verströmten trotz ihrer Geschichte, wofür ich ihnen immer dankbar war, olfaktorisch gesehen ein weitaus zarteres Odeur als die meisten ihrer Nachbarn. Zudem bewahrten sie stets eine gewisse blasierte Eleganz: Selbst beim Regierungsempfang in Usbekistan sah man sie mir nach.

Wenig Platz für Sentimentalitäten

Nun war es nicht etwa so, dass ein alter Schuhmacher mit Nickelbrille aus einem ungarischen Pusztadorf, der Letzte seiner Zunft, sie mir im kleinen Kämmerlein in monatelanger Handwerkelei gefertigt und mit wehmütig Abschied nehmendem Lächeln ausgehändigt hätte. Sie waren Hightech-Produkte, hergestellt nicht mit Liebe, sondern mit dem wissenschaftlichen Background zeitgemäßer Wanderschuhproduktion. In der modernen Welt des Intensivreisens ist wenig Platz für Sentimentalitäten.

Ihre Nachfolger, mit Bauxitpolster, schock­absorbierender Dual-Grip-Sohle, Lüftungskanälen und ionisiertem Silber als Geruchsbremse buhlen schon um meine Gunst. Die Zeit der Entscheidung naht. Was danach kommt, wird hart: Nichts ist schlimmer, als mit nagelneuen Schuhen in eine Berghütte hineinzustiefeln.

Ihr aber, Freunde, ab mit euch ins Austragsstüberl. Zu den vollgestempelten Pässen, dem verbeulten Hut, den vollen Notizbüchern. Für Euch gilt ab sofort: Stillgestanden! Rührt Euch nicht mehr! Ihr habt es hinter euch. Ich darf – hoffentlich bald – weiter.

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