Gescheiterte neue Verfassung in Chile: Pinochets Erbe

Chile hat sich gegen eine neue Verfassung entschieden. Es zeigt: Die Ideologie des Neoliberalismus ist in der Gesellschaft tief verankert.

Chiles Präsident Gabriel Boric.

Das Scheitern der Verfassungsreform ist auch sein Scheitern: Chiles Präsident Gabriel Boric Foto: Gabriel Boric/reuters

„Der Neoliberalismus wurde in Chile geboren und wird in Chile sterben“, war einer der Protestrufe der sozialen Revolte in Chile 2019 und 2020. Mit der Ablehnung der neuen Verfassung von einer überwältigen Mehrheit (62 Prozent) scheint dieses Vorhaben in weite Ferne gerückt. Der neue Verfassungstext sollte den Staat dazu verpflichten, soziale Grundrechte zu garantieren, Umweltschutz, Rechte von Frauen und Indigenen. Warum haben so viele Menschen dagegen gestimmt?

Die neoliberale Politik, die das Land seit der Pinochet-Diktatur prägt, haben nicht nur zu Privatisierungen im Bildungs-, Renten- und Gesundheitssystem geführt, zu sozialer Ungleichheit und prekären Arbeitsbedingungen. Der Individualismus und die Ansicht, jeder sei für seine Probleme selbst verantwortlich, sind tief in der chilenischen Gesellschaft verankert.

Es ist eine Gesellschaft, in der die Menschen bis heute nur ungern über Politik sprechen – eine Folge der Diktatur, während der politisch Andersdenkende systematisch verfolgt, gefoltert und getötet wurden. Es ist eine Gesellschaft, die seit der Kolonialisierung von einem rassistischen Diskurs geprägt ist, der Indigene und Mi­gran­t*in­nen abgewertet und ihnen ihre Rechte aberkennt. Es ist eine Gesellschaft, in der viele an das falsche Versprechen glauben: Wenn du dich nur genug anstrengst, kannst du alles schaffen.

Die soziale Revolte 2019 und 2020 leistete zwar einen großen Beitrag dazu, ein kollektives politisches Bewusstsein für soziale Probleme zu erzeugen. Die Menschen gründeten Basisversammlungen, um gemeinsam ihre Probleme zu lösen anstatt jeder für sich alleine. Aber ein paar Monate haben nicht ausgereicht, um gegen Jahrzehnte der Einflussnahme anzukämpfen. Die Pandemie vergrößerte erneut die Distanz zwischen den Menschen und die Distanz zur Politik, auch zum Verfassungskonvent.

Fernsehsender und Zeitungen, die von einer Gruppe konservativer Unternehmer kontrolliert werden, begleiteten den verfassungsgebenden Prozess nicht, sondern verunglimpften ihn. Falschinformationen auf sozialen Netzwerken vergrößerten die Verunsicherung und die Angst vor Veränderung. 40 Jahre Neoliberalismus haben ihre Spuren hinterlassen.

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