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Gescheiterte Koalition in WienDie Stunde der Vernünftigen

Robert Misik
Kommentar von Robert Misik

Österreich sucht verzweifelt nach einer Regierung. Die Demokraten sollten nach den geplatzten Koalitionsverhandlungen ihre zweite Chance nutzen.

Vorerst hat es sich ausgeKICKLt, aber was kommt nun? Foto: Martin Juen/photonews/imago

D er bittere Kelch einer harten, rechts­autoritären Wende ist an Österreich gerade noch einmal vorbeigegangen. FPÖ-Chef Herbert Kickl ist an seiner eigenen Verbissenheit gescheitert, hat mit den Konservativen keine Einigung erzielt und musste den Regierungsbildungsauftrag zurückgeben. In seiner sektenhaften Anhängerschaft gibt man jetzt „den Globalisten“ die Schuld, die mit ihren bösen Netzwerken und dem sinistren Deep State eine Rechtsregierung verhindert hätten.

Auch die WHO sei involviert gewesen, meinen sie, wegen der Impfdiktatur oder so. Insgeheim jedoch wissen selbst die größten Irrlichter, dass es der Charakter von Herbert Kickl war, der die Rechtspartei ihre Chance auf das Kanzleramt hat verspielen lassen. Man muss die Feste feiern, wie sie fallen, ­heutzutage sind schon kleine Freuden selten genug. Aber das politische System Österreichs steht nach bald einem halben Jahr der Koali­tions­verhandlungen noch ramponierter da als zuvor.

Bundespräsident Alexander Van der Bellen drängt jetzt zu Tempo. Konservative, Sozialdemokraten und liberale NEOS, die vor rund sechs Wochen schon einmal in ein Verhandlungsfiasko gestolpert waren, dürften durch einen heilsamen Schock wenigstens geläutert sein. Sie wissen, dass sich die Vernünftigen und Demokraten jetzt wie Erwachsene verhalten müssen und die Zeit für Taktiererei oder die Pflege von Animositäten vorbei ist. Sie müssen sich zusammenraufen.

Am wahrscheinlichsten ist, dass sich Konservative und Sozialdemokraten einigen – zusammen haben sie im Parlament eine hauchdünne Mehrheit von einer Stimme – und sich von den Liberalen oder auch den Grünen stützen lassen. Auch die Grünen könnten wieder zurück im Spiel sein. Werner Kogler, der Parteichef und frühere Vizekanzler, hat in den vergangenen Wochen als einer von wenigen Politikern wirkliches staatmännisches Format gezeigt. Er hat alles unternommen, um den Konservativen Brücken zurück zu bauen.

Mehr als Verwaltung ist notwendig

Denkbar ist aber auch eine „Technokraten“-Regierung aus Elder Statesmen und -women, Ex-Bankern und allseits anerkannten Politikerinnen und Politikern – quasi eine Variante à la Mario Draghi. Eine solche Regierung kann freilich kein bloßes Übergangskabinett sein, es bräuchte auch ausverhandelte parlamentarische Mehrheiten, denn die strauchelnde Wirtschaft und sonstige ­Kalamitäten verlangen mehr als bloß Verwaltung.

Durchaus möglich, dass die Parteien eine solche Variante schmackhaft finden, denn nachdem die Staatsfinanzen aus dem Ruder gelaufen sind und es in jedem Fall einen Konsolidierungskurs braucht, könnte man den Sparkurs einfach ein Technokratenkabinett erledigen lassen.

Eine „echte“ Koalitionsregierung wäre dennoch sinnvoller. Denn die tiefe Krise des Landes ist auch eine Chance. Das Publikum hat jetzt den Hader und die Konsensunfähigkeit satt. Es könnte eine Stunde der Möglichkeiten für Vernünftige, Maßvolle und Demokraten sein. Sie sollten sie nutzen.

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Robert Misik
Geboren 1966, lebt und arbeitet in Wien. Journalist, Sachbuchautor, Ausstellungskurator, Theatermacher, Universaldilettant. taz-Kolumnist am Wochenende ("Der rote Faden"), als loser Autor der taz schon irgendwie ein Urgestein. Schreibt seit 1992 immer wieder für das Blatt. Buchveröffentlichungen wie "Genial dagegen", "Marx für Eilige" usw. Jüngste Veröffentlichungen: "Liebe in Zeiten des Kapitalismus" (2018) und zuletzt "Herrschaft der Niedertracht" (2019). Österreichischer Staatspreis für Kulturpublizistik 2009, Preis der John Maynard Keynes Gesellschaft für Wirtschaftspublizistik 2019.
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7 Kommentare

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  • Eine „rechts­autoritären Wende“ kann durchaus demokratiekonform sein. Das falsche Labeln von Demokraten und Antidemokraten nützt nichts, es schadet der klaren Argumentation gegen Rechts­autoritäre und dem Streben nach Demokratie.

    Demokratie, das war die egalitäre Mitbestimmung der Mitbestimmungsberechtigten in Athen. Als Organisationsform gesellschaftlicher Steuerung steht sie dafür, dass alle Mitglieder einer Organisation/Gesellschaft zusammenkommen, gemeinsam beraten und gemeinsam Entscheidungen treffen. In der repräsentativen Demokratie reicht es, wenn die Mehrheit einer kleinen, gewählten Elite die Beschlüsse fasst. Die Demokratie garantiert keine individuellen Freiheiten noch setzt sie diese voraus.

    Die liberale Idee individueller Freiheiten steht für eine Gesellschaftstheorie, die unterschiedlich modelliert werden kann. Ob und, wenn ja, wie Freiheiten sie begrenzt werden sollten, darüber wurde und wird unter vielen Herrschaftsformen gestritten. Wenn vom Liberalismus die Rede ist, sollte man sich immer klarmachen, dass damit nicht nur das Recht auf Selbstverwirklichung gemeint ist und dass damit immer auch die Konkurrenz um Ressourcen, Anerkennung und Macht einhergeht.

  • Heilsamer Schock?



    Zweite Chance nutzen?



    Wie weit kann ein Artikel an der Realität vorbeigehen???



    Kickl ist nicht "an seiner eigenen Verbissenheit gescheitert" wie der Artikel behauptet, die ÖVP war schlicht nicht bereit der FPÖ angemessen entgegenzukommen. Die ÖVP hat sich in den Verhandlungen aufgespielt als sei sie stärkste Kraft im Land.



    Die FPÖ kann in aller Ruhe abwarten - im September kam sie noch mit 28,8% ins Ziel. Aktuell liegt sie in allen Umfragen bereits zwischen 34 und 37 Prozent...



    Der Streit um Koalitionen zahlt nur auf ein Konto ein - das der FPÖ.



    DAS ist die Realität. Bei Neuwahlen würden sie radikal abräumen und sollten sich Konservative und Sozialdemokraten jetzt im zweiten Anlauf doch noch einigen zahlt auch das nur weiter auf das Konto der FPÖ ein, denn SPÖ und ÖVP sind sich komplett uneins, da droht ein Blockadefiasko wie bei uns unter der Ampel...



    Frankreich, Österreich, Deutschland - überall das gleiche Bild: verbissene Streitereien um Richtung, Ziele und Umgang unter Demokraten - während am Spielfeldrand Rechte genüsslich sitzen und einfach nur auf ihre Einwechslung warten müssen - die wird kommen, so oder so 🤷‍♂️

    • @Farang:

      Ich kann Ihnen nicht so recht folgen.



      Erwecken Sie anfangs den Eindruck, die ÖVP hätte weniger präpotent, ergo der FPÖ doch bitte ein wenig mehr entgegenkommend auftreten sollen, beklagen Sie unten die "verbissenenen Streitereien" unter Demokraten, die nur den Rechten nutzen würden. Nun gehört zu letzteren zweifelsohne die rechtsradikale, kremltreue FPÖ (die man sich in Deutschland allein schon unter außenpolitischen Gesichtspunkt nicht in Regierungsverantwortung wünscht). Ergo gehört - jedenfalls für mich (und mit Misik) - das Scheitern der Koalitionsgespräch doch eher in die Kategorie "kleine Freuden des Lebens". Ja wie nun? Netter zu Kickl, um die "Rechten" fernzuhalten???



      Dass die ÖVP übrigens darauf beharrte, das Innenministerium zu übernehmen, hängt wohl maßgeblich mit Kickls dubioser Amtsführung in seiner Zeit als Innenminister zusammen www.welt.de/politi...m-Verhaengnis.html

      • @Schalamow:

        "Dass die ÖVP übrigens darauf beharrte, das Innenministerium zu übernehmen, hängt wohl maßgeblich mit Kickls dubioser Amtsführung in seiner Zeit als Innenminister zusammen"



        Bin ich bei Ihnen. Kann ich nachvollziehen. Geben aber die Wahlergebnisse nicht her.



        Zum Vergleich - man stelle sich vor die Grünen gehen als stärkste Partei aus den Wahlen hervor und die Union fordert bei Koalitionsverhandlungen das Umweltministerium, ansonsten lassen wir die Verhandlungen platzen...



        Wenn der Zweite das Kernministerium des Wahlsiegers für sich beansprucht ist das schon ein bisschen an der Realität vorbei...



        Dss die FPÖ das Innenministerium will ist klar und als Wahlsieger kann sie das auch einfordern

  • Ja, es ist eine gute Nachricht, dass der Kanzler in Österreich kein Rechtsextremer ist!



    Es wäre gut, wenn sich demokratische Parteien auf eine stabile Regierung einigen könnten.



    Ansonsten können wir die Idee Europas allmählich einmotten.

    • @Philippo1000:

      Nicht nur die Idee, auch das demokratische Fundament....

  • "Es könnte eine Stunde der Möglichkeiten für Vernünftige, Maßvolle und Demokraten sein." KÖNNTE! Doch so wie ich Politiker*innen einschätze -egal ob in Österreich oder in Deutschland- verzichten die nur sehr ungern auf einen schönen Posten und viel Aufmerksamkeit. Für die Demokratie bleibt nur zu hoffen, dass die Faschisten es nicht schaffen...