Gerichtsurteil über Abschluss-Zeugnis: Fehlstunden sind Privatsache
Hamburger Berufsschulen vermerken versäumte Schulstunden in Abschluss-Zeugnissen. Schülerin sah sich bei Job-Suche benachteiligt und klagte mit Erfolg.
„Das Urteil hat grundsätzliche Bedeutung“, sagt Christian von Humboldt, der Anwalt der Schülerin. Denn in Hamburg ist es Praxis, in den Abschlusszeugnissen von Berufsschülern die Fehlzeiten einzutragen. Alle jene, die darin einen Hinweis auf Fehlstunden haben und deren Zeugnisse noch nicht älter als ein Jahr sind, könnten nun noch Widerspruch einlegen und verlangen, dass die Zeugnisse geändert werden, sagt von Humboldt.
Die junge Frau hatte sich mit ihrem Zeugnis mehr als 50-mal beworben und keinen Erfolg. Sie hatte 220 entschuldigte und 57 unentschuldigte Fehlstunden. Der Mitarbeiter einer Personalfirma sagte ihr, dass sie damit keine Chance auf Anstellung habe, da Chefs auf Fehlstunden besonders genau achten würden.
„Das ist ungerecht“, argumentiert ihr Anwalt. Denn bei den Hamburger Abiturienten stehen keine Fehlstunden in den Abschluss-Zeugnissen. Und auch Berufsschüler aus anderen Ländern, mit denen die Hamburger um Jobs konkurrieren, etwa aus Schleswig-Holstein, haben keine solchen Einträge.
Im Hamburg unterbinden die Ausbildungsverordnungen für das Abitur und die Abschlüsse der Stadtteilschulen und Gymnasien, dass in Abschlusszeugnissen Fehlzeiten vermerkt sind.
In der Ausbildungsverordnung für Hamburger Berufsschulen fehlt dieser Passus.
In Schleswig-Holstein werden die Fehlzeiten in Abgangs- und Abschlusszeugnissen der Berufsschulen nicht aufgeführt.
In Niedersachsen werden keine Fehltage auf den Abschlusszeugnissen berufsqualifizierender Berufsfachschulen vermerkt, lediglich nach Klasse 1 des mehrjährigen Bildungsgangs.
In Bremen werden in den Abschlusszeugnissen der Berufsbildenden Schulen die unentschuldigten Fehltage aufgeführt.
Die Richter sahen das ähnlich. Bei Fehlzeiten handle es sich um „datenschutzrechtlich sensible Daten“, deren Eintragung in einem Abschlusszeugnis für den Betroffenen „nachteilige Konsequenzen“ haben könne, was „insbesondere für behinderte und chronisch kranke“ Schüler der Fall sein dürfte. An den allgemeinen Schulen der Stadt werden die Fehlzeiten nur im Laufe der Schulzeit in Zeugnissen vermerkt, nicht aber in Abschlusszeugnissen.
Diese Unterscheidung ist nach Auffassung des Gerichts sinnvoll. Denn während die einen ja weiter zur Schule gehen, müssen Abgänger sich um eine Ausbildung, eine Arbeit oder ein Studium bewerben. Hier sei der Fehlzeiten-Eintrag auch ein Eingriff in die grundgesetzlich geschützte Berufsfreiheit.
„Wir begrüßen dieses Urteil“, sagt Christian Kröncke, Bildungsreferent der DGB-Jugend. Das Abgangszeugnis sei ein wertvolles Dokument und Fehlzeiten darin nicht aussagekräftig. Es sei gut, dass jetzt die Sonderrolle der Berufsschüler gerichtlich überprüft wurde.
Die Hamburger Schulbehörde erwägt jetzt „die Praxis zu ändern und in allgemeinbildenden und beruflichen Schulen einheitlich zu verfahren“, wie deren Sprecherin Claudia Pittelkow sagt. Noch sei nicht entschieden, ob dabei auf die Ausweisung von Fehlzeiten ganz verzichtet wird oder doch noch die unentschuldigten Fehlzeiten ausgewiesen werden.
Die Regelung für die Berufsschulen sei seinerzeit getroffen worden, weil entschuldigtes Fehlen Leistungseinbrüche erklären könne. Und unentschuldigte Fehlzeiten stellten eine „wichtige Information zum Arbeitsverhalten eines Schülers“ dar. Vor Gericht hatten die Juristen der Behörde auch noch argumentiert, man könne mit den Fehlzeiten-Einträgen eine „zweckmäßige Disziplinierung“ mit Blick auf „regelmäßigen Unterrichtsbesuch“ erzielen.
Die Behörde sieht sich nun nicht in der Pflicht, neue Abgangszeugnisse zu erstellen. Denn die Entscheidung habe keine allgemeine Wirkung und gelte nur für diesen Fall. Dennoch, sagt Pittelkow, könnten Abgänger, die im laufenden Schuljahr ein Abschlusszeugnis mit Fehlzeiten erhielten, „auf ein großzügiges Vorgehen der Behörde hoffen“.
Rechtsanwalt von Humboldt empfiehlt der Behörde, in Zukunft die Fehlzeiten-Ausweisung ganz wegzulassen. Da dies Grundrechte verletze, gäbe es sonst „bald neue Klagen.“
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