Gerichtsurteil für Teenager in Wien: Knast statt Dschihad
Ein 14-Jähriger wollte den Wiener Westbahnhof in die Luft jagen und dann nach Syrien reisen. Ein Gericht verurteilt ihn zu zwei Jahren Haft.
Der Jugendliche war im Oktober vergangenen Jahres festgenommen worden, nachdem die Mutter und ein aufmerksam gewordener Lehrer der Polizei die zunehmende Radikalisierung des Jugendlichen gemeldet hatten. Gegen strenge Auflagen entlassen, war er untergetaucht und hatte dann versucht, einen 12-jährigen Freund für den Dschihad zu rekrutieren. Er wurde aber erwischt und saß seither in Untersuchungshaft.
Die Staatsanwaltschaft konstatierte damals weder Reue noch Schuldbewusstsein. Der Sonderschüler hatte via Internet Kontakt zum IS aufgenommen, dessen Webauftritt auf Deutsch sehr effektvoll ist. Ebenfalls über Internet hatte er sich Anleitungen zur Herstellung von Sprengstoff geholt. Als mögliches Anschlagsziel machte er den stark frequentierten Westbahnhof in Wien aus.
Die Öffentlichkeit war mit Rücksicht auf den künftigen Lebensweg des Jungen von der Verhandlung ausgeschlossen. Er erschien im blauen Kapuzenpulli, Jeans und Turnschuhen. Sein Gesicht verbarg er hinter einer blauen Mappe, als er an der Presse vorbei in den Verhandlungssaal geschleust wurde.
„Einer Propagandamaschinerie aufgesessen“
Verteidiger Rudolf Mayer wies darauf hin, dass sein Mandant die Strafmündigkeit gerade erst erreicht habe. Dessen Radikalisierung versuchte er mit der Erfahrung der Ausgrenzung zu erklären. Aufgewachsen ohne Vater bei der kaum Deutsch sprechenden Mutter, habe er auf der Suche nach Geborgenheit Trost in der Religion gefunden und sei „der Hetzkampagne des IS zum Opfer gefallen“.
Instabile Jugendliche, die sich als Verlierer der Gesellschaft sehen, würden sich von den Versprechen der Dschihadisten angesprochen fühlen. Sie würden viel Geld bekommen und mit willigen Frauen belohnt werden.
Mit Rücksicht auf das jugendliche Alter des Angeklagten ersuchte Mayer um ein mildes Urteil. Denn in intensiven Gesprächen mit der Bewährungshilfe habe sein Schützling erkannt, dass er einer Propagandamaschinerie aufgesessen sei.
Acht Monate Haft, dann Therapie
Ganz so mild fiel das Urteil dann doch nicht aus. Das Gericht wertete zwar das Geständnis als strafmindernd und schöpfte den Strafrahmen von fünf Jahren nicht aus. Der Möchtegern-Dschihadist, der laut Anwalt inzwischen geläutert sei, kam mit zwei Jahren davon. Acht Monate davon muss er absitzen und sich einer Psychotherapie unterziehen. Der Angeklagte nahm das Urteil an. Die Staatsanwaltschaft überlegt noch, ob sie in Berufung gehen will.
Bis Ende 2014 waren laut Schätzungen des Innenministeriums etwa 150 Männer und Frauen aus Österreich in den Dschihad gezogen. Darunter viele Jugendliche. Exemplarisch die Mädchen Samra und Sabina, deren Schicksal immer wieder die Boulevardpresse beschäftigt. Derzeit sitzt ein als Hassprediger verdächtiger Imam aus Graz in Untersuchungshaft. Er soll aktiv für den Kampf in Syrien und im Irak rekrutiert haben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei