Gericht stoppt Abschiebeflug nach Ruanda: „Risiko irreversibler Schäden“
In letzter Minute wurde der erste Abschiebeflug von Asylbewerbern aus London nach Ruanda vom Europäischen Menschenrechtsgerichtshof gestoppt.
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Die Verfügung des Gerichts galt für einen von den Verbliebenen, einen Iraker. „Damit können die anderen sechs ähnliche Einwände erheben“, sagte Clare Moseley von der Stiftung Care4Calais der Nachrichtenagentur Reuters. „Wir sind so erleichtert.“
Die Regierung in London will den Plan dennoch weiterverfolgen. Sie sei zwar enttäuscht, werde sich aber „nicht davon abbringen lassen, das Richtige zu tun“, erklärte Innenministerin Priti Patel. Anwälte in ihrem Haus prüften nun jede Entscheidung im Zusammenhang mit dem gescheiterten Abschiebeflug. Die Vorbereitungen auf den nächsten Flug würden jetzt beginnen, ergänzte Patel.
Den Deal mit Ruanda hatte der konservative Premierminister Boris Johnson im April verkündet. Danach sollen illegal nach Großbritannien eingereiste Menschen unabhängig von ihrer Nationalität in das Land in Ostafrika ausgeflogen werden. Werden ihre Asylanträge dort anerkannt, können sie bleiben, eine Rückkehr nach Großbritannien ist allerdings ausgeschlossen.
Die Regierung von Premierminister Boris Johnson will mit dem Verfahren gegen Schleuserbanden vorgehen und unerwünschte Einreisen über den Ärmelkanal unattraktiv machen. Nach Johnsons Plänen erhält Ruanda anfangs 120 Millionen Pfund (etwa 144 Millionen Euro) für die Zusammenarbeit. Vergangenes Jahr sind mehr als 28.000 Migranten und Flüchtlinge über dem Ärmelkanal nach Großbritannien gekommen.
Zwar gab es in Ruanda 1994 einen Genozid mit Hunderttausenden Opfern, doch habe sich das Land seitdem einen Ruf als Hort der Stabilität und des wirtschaftlichen Fortschritts aufgebaut, argumentierte Johnsons Regierung. Kritiker wandten ein, dass diese Stabilität unter massiver politischer Unterdrückung in Ruanda zustande gekommen sei.
Im Übrigen sei es illegal und unmenschlich, Menschen in ein Tausende Kilometer entferntes Land zu bringen, in dem sie nicht leben wollten, monierten Aktivisten. Bischöfe der anglikanischen Kirche, darunter der Erzbischof von Canterbury, Justin Welby, kritisierten die Abschiebepläne in einem offenen Brief als unmoralische Politik, die Großbritannien zur Schande gereiche. Selbst Prinz Charles, der zur politischen Neutralität verpflichtet ist, soll nach Medienberichten sein Entsetzen über das Vorhaben der Regierung geäußert haben.
Dennoch hatte Außenministerin Liz Truss am Dienstag betont, dass der erste Abschiebeflug auf jeden Fall abhebe, unabhängig von der Zahl der Insassen. Anwälte legten für betroffene Migranten und Flüchtlinge bis zuletzt Fall für Fall Berufung ein oder versuchten einstweilige Verfügungen zu erwirken – zum Teil mit Erfolg.
Die Zahl der Menschen auf der Liste der Regierung wurde immer kleiner, obwohl zwei Gerichte die Abschiebungen grundsätzlich erlaubt hatten und der Supreme Court als letzte Instanz noch am Dienstag eine Berufung abgewiesen hatte. Nach dem außergewöhnlichen Einschreiten des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte war am Ende niemand auf der Abschiebeliste für Ruanda mehr übrig. Der Flug wurde abgesagt.
Den Ruanda-Pakt hat das UN-Flüchtlingshilfswerk auch aus der Sorge heraus kritisiert, dass der Plan Schule machen könnte. Politiker in Dänemark und Österreich haben bereits ähnliche Vorschläge gemacht. UN-Flüchtlingskommissar Filippo Grandi bezeichnete den Ruanda-Deal als „völlig falsch“. Wenn die britische Regierung tatsächlich daran interessiert sei, Leben zu schützen, sollte sie mit anderen Ländern gegen Menschenschmuggler vorgehen und Asylsuchenden sichere Routen anbieten – und nicht einfach Migranten in anderen Ländern abladen.
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