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Gericht bemängelt Filmen auf DemosPolizei übertreibt Überwachung

Polizisten dürfen auf friedlichen Demonstrationen nicht filmen, urteilt das Verwaltungsgericht. Ein Ohrfeige für die Polizei, die fast jeden Protest mit Kameras verfolgt.

Okay, am 1. Mai wird wohl weiterhin per Video überwacht werden. Bild: dpa, Steffen Kugle

Auf Demonstrationen wird der Anblick von Polizisten mit Kameras seltener werden. Grund dafür ist eine Entscheidung des Berliner Verwaltungsgerichts. Darin erklären die Richter die Videoüberwachung einer Großdemonstration im vergangenen September für rechtswidrig. Geklagt hatten ein Mitveranstalter und ein Teilnehmer.

Rund 50.000 Menschen hatten damals gegen Atomkraft protestiert - friedlich, wie es auch im Vorfeld zu erwarten war. Die Polizei filmte trotzdem und begründete das vor dem Verwaltungsgericht mit der Notwendigkeit, Einsatzkräfte und Verkehr zu lenken. Die Anti-Atomkraft-Demo ist kein Einzelfall: Videoüberwachung durch die Polizei ist in den vergangenen Jahren zum Standard geworden. So fährt nicht nur häufig ein Wagen mit Kamera vorweg. Auch einzelne Polizisten sind mit Kameras ausgestattet. Zahlen, wie viele Demos filmisch überwacht werden, nennt die Polizei nicht.

Die Richter ließen sich von der Argumentation der Polizei nicht überzeugen. Denn das Filmen schränke das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit und das informationelle Selbstbestimmungsrecht ein. "Wer damit rechnet, dass etwa die Teilnahme an einer Versammlung […] behördlich registriert wird, und ihm dadurch Risiken entstehen können, wird möglicherweise auf eine Ausübung seiner entsprechenden Grundrechte verzichten", so die Richter in der am Dienstag bekannt geworden Entscheidung. Eine "einschüchternde Wirkung", so sieht es das Gericht, gehe schon von dem "ständig vorausfahrenden Übertragungswagen" aus.

Für eine Einschränkung des Versammlungsrechts durch eine Videoüberwachung gebe es nur dann eine rechtliche Grundlage, wenn von der Versammlung eine "erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung" ausgeht, erläuterte Michael Dolle, Sprecher des Verwaltungsgerichts. "Wenn man davon ausgehen kann, dass es ein friedlicher Protest wird, darf die Polizei nicht filmen. Insofern hat das Urteil auch Auswirkungen auf andere Demonstrationen."

In Zukunft hängt es also an der Gefährdungsanalyse, die die Polizei im Vorfeld einer Demonstration erstellt, ob die Demo überwacht wird oder nicht. Wie das in der Praxis umgesetzt wird, ist noch offen. Unklar ist beispielsweise, ob der Veranstalter beim Anmeldergespräch im Vorfeld einer Demo über die Videoüberwachung informiert wird und dagegen - wie auch gegen Auflagen - im Eilverfahren vor dem Verwaltungsgericht klagen kann. Bei regelmäßig stattfindenden Demonstrationen wird sich die Einschätzung der Polizei an der jeweils vergangenen Demo orientieren. Verlief also beispielsweise die Liebknecht-Luxemburg-Demonstration im letzten Januar friedlich, müsste die Polizei gute Gründe nennen, um ein Jahr später eine erhebliche Gefahr festzustellen. Denn im Nachhinein gegen die Videoüberwachung vor Gericht zu ziehen, das betont Dolle, können die Veranstalter bereits heute.

"Es wird sicher Fälle geben, in denen wir über die Gefährdungsanalyse streiten werden", sagt Sven Lüders, Geschäftsführer der Humanistischen Union. Der Verband beteiligt sich unter anderem an der Organisation der Datenschutzdemo "Freiheit statt Angst" am 11. September. Im vergangenen Jahr nahmen an der Demonstration rund 25.000 Menschen teil. Da das Urteil des Verwaltungsgerichts noch nicht rechtskräftig ist und Lüders vermutet, dass die Polizei einen Antrag auf Zulassung der Berufung einreichen wird, rechnet er nicht damit, dass die Veranstaltung in diesem Jahr schon überwachungsfrei laufen wird.

Die Polizei teilte lediglich mit, dass das Urteil erst seit Montag vorliege und derzeit noch geprüft werde. Rechtsanwältin Ulrike Donat, die die Kläger vertritt, kündigte allerdings an, mit der Klage notfalls bis vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen.

(Az.: VG 1K 905.09)

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8 Kommentare

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  • EH
    Ernst Hansen

    Während auf jeder Demonstration jeder noch so kleine, asoziale, verlauste und linksalternative Lümmel bis Autonome mit seinem Fotohandy vermeintliche Übergriffe und Fehlverhalten der Polizisten filmen und auf Youtube online stellen darf, wird den Gesetzeshütern das Recht auf Filmen der Demonstration zum Zwecke der Beisaufnahme und eigen Absicherung von seiten des Verwaltungsgerichtes untersagt!

     

    In was für einem Bananenstaat leben wir hier eigentlich?

  • T
    Timocracy

    Wer vor nachfolgendem Hintergrund nach mehr Überwachungskameras verlangt, muss wohl Aktionär der Überwachungskameraproduktion sein:

     

    http://www.merkur-online.de/lokales/nachrichten/kamera-brunners-s-bahn-funktionierte-nicht-841183.html

     

    So wie es aussieht, dienen Überwachungskameras doch eher der Manipulation als der Aufklärung.

  • R
    Rolf

    Na denn! Nun brauchen wir noch mehr 'Staatsdiener' die im Umfeld von Demonstrationen Gewalt produzieren, damit die Polizei einen Grund zum Filmen hat. Die Kamerawagen der Polizei sind doch sowieso nur Schau um ihre Macht im Staate zu demonstrieren. Kameras koennen heute so klein sein, dass selbst geschulte Augen sie nicht mehr ausmachen. Mit diesen werden auch kuenftig die Buerger beschnueffelt werden. K. Amera

  • L
    Lenny

    Warum sollte sich die Polizei bei Demonstrationen plötzlich an Gesetze und Urteile halten? Hat sie bei der Einkesselung von Menschen nicht getan (Aktz. 39 XIV 164/02 L3) und auch dieses Urteil wird sicher nicht befolgt.

     

    Im übrigen ist jede Art von Demonstration eine "erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung" im Sinne der Polizei, bzw. der Politiker, oder nicht?

     

    Und ein Agent Provokateur ist schließlich auch schnell eingeschleust und gängiges Mittel.

  • R
    RedHead

    Die Polizei erstellt die Gefärdungsanalyse, dh. es ändert sich im wesentlichen gar nichts. Wenn eine Demo letztes Jahr noch friedlich war, kann die Polizei auch behaupten, dies hätte ja gerade an der Videoüberwachung gelegen, es wäre also mit Gewalt zu rechnen, sobald die Überwachung weg fällt, also muss überwacht werden.

    Außerdem kommt mir das Urteil sehr bekannt vor, wurde nicht schonmal vor ein paar Jahren festgestellt, dass allgemeine Videoüberwachung von Demos illegal ist? Das war doch damals schon an die Gefahrenprognose gekoppelt und die Polizei hat einfach weiterhin alles überwacht. Außer ihre eigenen Gewaltorgien natürlich, da wird die Kamera mal eben weggeschwenkt.

    Mich würde es überraschen, wenn sich irgendwas ändert.

    Achja, klagen im Nachhinein ist jetzt bereits möglich. Soll das ein Witz sein? Was bringt das?

    Man sollte auch mal gerichtlich die Frage klären, ob Hooligans in vollgepanzerter Polizeiuniform bereits einen einschüchternden Effekt auf die Demoteilnehmer haben, also deren Demonstrationsfreiheit einschränken. Auch ein Wanderkessel hat nicht mehr viel mit Demonstrationsfreiheit zu tun und ist der Normalfall bei allen Demos, die sich nicht ausschließlich als dankender Bittsteller an den Staat richten.

  • VD
    verprügelter demonstrant

    "Auf Demonstrationen wird der Anblick von Polizisten mit Kameras seltener werden." muhahah,

     

    als ob nicht irgendwelche scheinbehauptungen aufgrund "unmittelbar neu abzuwegender gefahrenlage" oder "sich die gefährungslage entscheident verändert hat" irgendetwas an der bestehenden praxis ändern würde, scheint mir vermessen.

    solange einsatzleiter und andere verantwortliche als rechtsbruch ihre rente/pension früher bekommen, bzw. dieses mal garkeine sanktionen gibt, wird sich nix ändern, außer das normale bürger die nach der kamera fragen (die sie filmt), auch aufs maul bekommen.

    Angst vor der polizei zuhaben ist hoffentlich (noch) nicht gewollt.

  • J
    Jan

    Oh, da kann man wohl bald billige hochwertige Kamerasachen kaufen.

    In Freiburg hat die Polizei oft mehrere teilweise meterlange Teleobjektive (mit entsprechendem Durchmesser) auf 5-6-geschossigen Häusern montiert.

    Da erkennt man jede Hautpore genauer, als man es eigentlich will...

     

    Wobei die Ordnungshüter teilweise so übereifrig gehütet haben, daß es schon nicht mehr mit der Präambel des GG konveniert (Stichwort Freiburg Polizeikessel - einfach mal googeln)

     

    Schön, daß Richter so geurteilt haben.

  • K
    Kritiker

    Da das Filmen von Veranstaltungen mit "zu erwartendem Gewaltpotenzial" dennoch erlaubt bleibt, wird das ein Schuss ins Knie:

     

    So wird nämlich auch Demonstranten bzw. Teilnehmern einer Veranstaltung das Filmen von PolBeamten über kurz oder lang verboten.

     

    Das darüber hinaus die Einsatzleitung IMMER einen Grund finden wird, um im Vorfeld einer Veranstaltung "Gewaltpotenzial zu erwarten" (sei es noch so abwegig) und deshalb auch zu filmen, bietet die Hintertür, die dieses Abkommen absolut nutzlos macht.