Gerhart Baum zum NSU-Prozess: „Vertrauen ist schwer messbar“
Beate Zschäpe behält ihre drei Pflichtverteidiger. Mit dieser Entscheidung habe sich das Gericht auf dünnem Eis bewegt, sagt Ex-Innenminister Gerhart Baum.
taz: Herr Baum, Beate Zschäpe wollte neue Pflichtverteidiger haben. Ist das ein legitimer Wunsch?
Gerhart Baum: Im Prinzip ja. Entscheidend ist, ob dies ein ernstes Anliegen der Angeklagten ist und nicht bloß eine Laune.
Das Gericht hat anders entschieden. Beate Zschäpe muss ihre drei Verteidiger behalten. Ist das richtig?
Wie es um das Vertrauensverhältnis von Zschäpe zu ihren Anwälten bestellt ist, das lässt sich von außen natürlich nur schwer beurteilen. Vertrauen ist aber auch für das Gericht nur schwer messbar und nachprüfbar. Das Gericht hat sich auf sehr dünnem Eis bewegt.
Inwiefern?
Das Heikle ist, dass das Gericht, um das Vertrauensverhältnis beurteilen zu können, tiefe Einblicke in das Verhältnis der Angeklagten zu ihren Anwälten benötigt. Die Beziehung zwischen Angeklagten und Verteidigern ist aber tabu und durch die Strafprozessordnung geschützt. Das Gericht darf da eigentlich keine Einblicke haben.
Sonst droht was?
Es ist ja denkbar, dass Angeklagte und Anwälte Differenzen über die Prozessstrategie haben – das darf das Gericht nichts angehen. Trotzdem musste es das Verhältnis von Mandantin und Verteidigung ausleuchten, um entscheiden zu können, wie tief das Vertrauen gestört ist. Das ist im Grunde nicht akzeptabel. Ich denke: Vertrauen ist entweder vorhanden – oder nicht.
81, saß 22 Jahre lang als Abgeordneter der FDP im Bundestag. Von 1978 bis 1982 war er Innenminister der sozialliberalen Regierung. Heute engagiert sich der Jurist bei Amnesty International und Human Rights Watch. Derzeit gehört er zu den Beschwerdeführern gegen das Vorratsdatenspeicherungsgesetz.
Und nun?
Das Gericht hat nun mit dieser Entscheidung große Verantwortung übernommen. Denn es riskiert den Eindruck, dass es die Angeklagte bevormundet.
Macht es nicht misstrauisch, dass Beate Zschäpe erst nach 128 Prozesstagen auffällt, dass sie ihren Anwälten misstraut. Ist das nicht reine Verzögerungstaktik?
Das kann man nicht ausschließen. Wenn Zschäpe ihren drei Anwälten aber wirklich dauerhaft misstraut, ist das eine Schwächung ihrer Verteidigung. Wie wird sie nun mit ihren Anwälten umgehen? Wie gehen die Anwälte mit einer Mandantin um, die ihnen, zumindest zeitweise, das Vertrauen entzogen hat? Der Prozess wird in eine schwierige Phase kommen.
Ist die Ablehnung von Beate Zschäpes Wunsch nach neuen Anwälten ein Revisionsgrund?
Das kann für ein Revisionsverfahren ein wichtiger Aspekt sein. Eine wirksame Verteidigung ist die fundamentale Voraussetzung jedes rechtsstaatlich organisierten Prozesses.
Das Gericht hat offenbar eine andere Gefahr gesehen. Wenn man nach 128 Prozesstagen die Verteidigung wechselt, bedeutet das de facto, dass das Verfahren von vorn beginnt …
Ob mit neuer Verteidigung der ganze Prozess hätte wiederholt werden müssen, bezweifle ich.
Aber es wäre eine nachhaltige Verzögerung …
Ja, und das ist für die Opferangehörigen eine kaum erträgliche Vorstellung. Deshalb muss das Gericht strenge Maßstäbe für einen Verteidigerwechsel anlegen. Das hat bei der Entscheidung des Gerichts wohl eine Rolle gespielt. Aber: Falls Zschäpe ihren Verteidigern langfristig misstraut, muss man, so schwer es fällt, auch dies in Kauf nehmen. Die Interessen von Nebenklägern und Angehörigen der Opfer können bei dieser Entscheidung nicht ausschlaggebend sein.
Beate Zschäpe weigert sich standhaft, auszusagen.
Das schmerzt die Opfer, ebenso wie ihr provozierendes Auftreten vor Gericht. Es wäre mehr als erfreulich, wenn sie endlich zu Zeugenaussagen Stellung nehmen würde. Aber: Kein Angeklagter kann gezwungen werden, auszusagen. Das ist ein eherner Grundsatz unseres Strafrechts.
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