Georgiens Clubszene nach der Wahl: Zusammen tanzen, zusammen kämpfen
In Georgien hat sich die rechte Regierungspartei zur Siegerin der umstrittenen Wahl erklärt. Ein Besuch bei den oppositionellen Raver:innen in Tbilissi.
Grigoriadis hat sich direkt vor das DJ-Pult gestellt. Er versucht, sich abzulenken, indem er der Musik zuhört: „Ich hab keine Ahnung, was jetzt passieren wird“, bringt er raus, sonst bleibt er an diesem Abend sehr ruhig. Auf Instagram postete er später aber: „Wer anfängt, jetzt nihilistisch zu sein, hat den Kampf schon verloren!“
Hier in dem Club kennt jeder Lazare Grigoriadis. Ständig wird er gegrüßt. Viele wollen seine Hand schütteln. In Georgien ist er berühmt geworden, als er 2023 bei den Protesten gegen das Agentengesetz festgenommen wurde. Es ist ein Gesetz nach russischem Vorbild, das der Regierung die Möglichkeit geben würde, ihr unangenehme Organisationen und Parteien zu verbieten. 2023 rufen die Clubs dazu auf, gegen das geplante Gesetz zu demonstrieren. Grigoriadis folgt. Es kommt zu Ausschreitungen. Demoteilnehmer:innen werden festgenommen – auch Lazare Grigoriadis. Die Behörden werfen ihm vor, einen Molotowcocktail auf ein Polizeiauto geworfen zu haben. Er bestreitet das, wird aber zu neun Jahren Haft verurteilt. Nach einem Jahr begnadigt ihn die Präsidentin. Unter seinen Augen hat er sich lange schwarze Wimpern tätowiert. Inspiriert von dem Anime „Attack on Titan“. In der Serie greifen gigantische Titanen die letzten Reste der Menschheit an.
Wahrscheinlich würde jede:r hier im Club Left Bank alles geben für eine Zukunft in der EU. Aber niemand aus der Techno-Community musste einen so hohen Preis zahlen wie Grigoriadis.
Wimpern gegen Titanen
„Ich war sehr einsam “, sagt er über die Zeit im georgischen Gefängnis. Drinnen bekommt er nicht viel davon mit, wie sein Fall weitere Menschen dazu inspiriert, gegen die russische Einflussnahme im Land zu kämpfen. Überall in der Stadt tauchen Graffitis mit seinen Augen und den Wimperntattoos auf.
Hier, in Tbilissi, gibt es den berühmten Spruch „We dance together, we fight together“. Zusammen tanzen, zusammen kämpfen. Er stammt aus der Zeit von 2018. Damals, als der Techno-Club Bassiani von der Polizei gestürmt wurde. Die Regierung verfolgte eine strenge Drogenpolitik und der Angriff auf das Bassiani führte zu Protesten von Tausenden Raver:innen.
Grigoriadis war damals 16 und hat die Techno-Welt gerade erst für sich entdeckt. Bei den Protesten hielt er sich noch raus. Aber die Umgebung, die Gespräche, die haben ihn politisiert – und radikalisiert. „Diese Zeit in den Clubs hat mich sehr verändert. Ich habe verschiedene Perspektiven kennengelernt. Ich habe viele andere Dinge gelernt, und wenn ich zu einer Demonstration gehe, sehe ich dort viele Leute aus den Clubs. Wir sind alle über den Club hinaus miteinander verbunden, wie eine große Familie.“ Zusammen tanzen, zusammen kämpfen.
Dieser Spruch gilt auch im Left Bank. Den Club gibt es erst seit 2020 und hier will man alles ein bisschen anders machen. Während im Bassiani immer mehr Tourist:innen tanzen, ist das Left Bank ein Ort für die Community in Georgien. Neben den Dancefloors gibt es Bereiche, wo man sich austauschen und unterhalten kann.
Das weirde Hobby des Oligarchen
Nika Khotcholava arbeitet im Left Bank und legt als Resident DJ unter den Namen Routes not Roots und Boioboinik regelmäßig auf: „Dieser Ort soll anders sein, besonders. „Wir veranstalten hier regelmäßig Liveevents. Haben sogar eine Bühne für Bands, für HipHop-Artists aus Georgien oder experimentelle Musik.“
Regelmäßig gibt es zum Beispiel Filmabende. Zuletzt wurde ein Film über die Baum-Sammel-Obssesion des georgischen Oligarchen Bidzina Ivanishvili gezeigt. Ein guter Freund von Putin und mit Abstand der reichste Mensch Georgiens. Er ist der Hauptsponsor der nationalistisch-konservativen Regierungspartei Georgischer Traum und sogar Ehrenvorsitzender. Sein weirdes Hobby: alte und seltene Bäume per Schiff in seinen Garten bringen. Hier in der Club-Community hasst ihn wahrscheinlich jede:r.
Unter der Woche ist im Left Bank nicht viel los. Ein paar sitzen an der Bar. Im Außenbereich an einer Tischtennisplatte aus Beton wird Pingpong gespielt. Aus dem Club hört man ruhigen Downbeat-Techno. Das Wahlergebnis hat Nika genauso schockiert wie den Rest der Technoszene. Alle waren davon ausgegangen, dass sie gewinnen würden. Dass sie endlich wegkommen von Russland. Dass Georgien eine Zukunft in der EU hat. Jetzt haben sie Angst vor der Zukunft.
Erst im Sommer 2024 hatte die georgische Regierung ein neues Anti-LGBT-Propaganda-Gesetz verabschiedet – auch nach russischem Vorbild. Seitdem ist es in Georgien unter anderem verboten, sich öffentlich zu versammeln, um „queere Identität zu fördern“. In Russland werden auf Grundlage dieses Gesetzes immer wieder Clubs gestürmt.
Davor hat auch Left-Bank-DJ Nika Khotcholava Angst. „Das ist offensichtlich die direkte Verbindung zu uns. Es ist halt das, was wir hier machen: Genderpropaganda!“ Er sagt das mit einem Augenzwinkern, lacht kurz, meint es aber sehr ernst. Er glaubt nicht, dass die Regierung alle Clubs von jetzt auf gleich schließen lassen wird. „Vielleicht erst mal einen und dann den nächsten. Bis sich niemand mehr traut, einen Club zu betreiben.“
Davor hat auch Grigoriadis Angst. Er sitzt zu Hause am Küchentisch. Der Kühlschrank brummt und es riecht nach frischem Kaffee. Zu den Wimperntattoos haben sich Augenringe gesellt. Vor allem die Zukunft der Clubs macht Lazare Sorgen: „Unsere Community, unsere Bubble, würde ihr zweites Zuhause verlieren, und wir haben gerade erst unsere Stimme verloren.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste